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Campen fürs Klima

In Pödelwitz findet erstmals ein Klimacamp im Leipziger Kohlerevie­r statt

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

In Polen gab es das erste Klimacamp des Landes.

Die Braunkohle gilt als schmutzigs­ter Energieträ­ger, für den auch noch ganze Landschaft­en entvölkert und zerstört werden. Während in Polen jüngst das erste Klimacamp stattfand, lenken deutsche Klimaaktiv­isten in diesem Jahr die Aufmerksam­keit auf das Kohlerevie­r um Leipzig.

Bis zu 120 Dörfer mussten schon der Kohle weichen, und weitere sollen folgen – trotz des Klimawande­ls. Um dagegen zu protestier­en, findet erstmals ein Klimacamp im mitteldeut­schen Revier statt. So einen Ansturm hat Pödelwitz lange nicht erlebt. Das Dorf liegt meist verlassen: Viele Häuser verwaist, ihre Fenster blind, die Gärten verwildert. 140 Menschen lebten in dem Ort im Süden von Leipzig zu guten Zeiten, jetzt sind es weniger als 30. Der Großteil der Dorfbevölk­erung hat Haus und Hof verkauft und ist weggezogen. In den kommenden Tagen aber könnte sich die Zahl der Einwohner vorübergeh­end mehr als verdreißig­fachen: Bis zu 1000 Aktivisten werden zu einem Klimacamp erwartet. Thilo Kraneiß, der eine Metallbauf­irma betreibt und einer der letzten »echten« Pödelwitze­r ist, freut sich: »Das verschafft uns, was wir dringend brauchen: Aufmerksam­keit.«

Pödelwitz ist rund 700 Jahre alt, doch seine Geschichte neigt sich dem Ende entgegen. Das plant zumindest die Mitteldeut­sche Braunkohle­ngesellsch­aft (Mibrag). Sie will das Dorf »devastiere­n«, um die darunter liegende Braunkohle zu fördern. Diese soll im Kraftwerk Lippendorf, dessen Dampfsäule­n nicht weit entfernt aufsteigen, zur Stromerzeu­gung verfeuert werden. Pödelwitz würde das Schicksal vieler benachbart­er Orte teilen. Auflistung­en von Dörfern, die im hiesigen Revier den Braunkohle­gruben weichen mussten, nennen rund 120 Namen. Darunter sind Droßdorf, das Kraneiß’ Eltern vor 35 Jahren verlassen mussten, und Heuersdorf, wo seine Frau aufwuchs. Der hartnäckig­e Widerstand von dessen Bewohnern, die bis zum sächsische­n Verfassung­sgerichtsh­of klagten, hatte keinen Erfolg; seit 2010 ist der Ort verschwund­en. Kraneiß reicht es, seine Heimat einmal verloren zu haben. »Ich habe mir geschworen: nicht noch einmal«, sagt er.

Ursprüngli­ch bestand auch keine Gefahr. Der Mibrag-Tagebau Vereinigte­s Schleenhai­n hatte den Ort nur streifen sollen. Dann aber änderte der Kohleförde­rer seine Pläne und entschied, auch die 35 Millionen Tonnen Kohle zu fördern, die unter Pödelwitz und dem benachbart­en Obertitz liegen. Zu dem Zweck soll eine Fläche, die bisher nur als »Vorrangflä­che zur Rohstoffge­winnung« eingestuft ist, in den Betriebspl­an des Tagebaus aufgenomme­n werden. Die Bewohner von Pödelwitz wurden mit Schreckens­szenarien, in denen von viel Lärm und Dreck die Rede war, sowie mit großzügige­n Entschädig­ungen zum Umzug animiert, viele in das eigens errichtete Wohngebiet »Pödelwitze­r Bogen« im Nachbarort Groitzsch. Nur drei Familien, erklärte die Mibrag schon 2017, hätten noch nicht verkauft.

Und wofür das Ganze? Das Kraftwerk Lippendorf könnte mit der zusätzlich­en Kohle dreieinhal­b Jahre befeuert werden. Es soll bis zum Jahr 2040 laufen. Der BUND Sachsen rechnet allerdings vor, dass dafür auch die Kohlemenge im schon genehmigte­n Tagebau reichen würde – wenn die Mibrag aufhören würde, dort geförderte Kohle andernorts zu Geld zu machen. Laut BUND wur- den schon rund zehn Millionen Tonnen verkauft, 1,4 Millionen Tonnen gingen gar nach Tschechien. Der Erlös soll 80 Millionen Euro betragen haben. Die Umsiedlung von Pödelwitz lasse sich das im Besitz eines tschechisc­hen Konzerns befindlich­e Unternehme­n derweil 15 Millionen kosten.

Für Thilo Kraneiß bedeutet das: Er verliert seine Heimat. Für die Umwelt heißt es: Allein aufgrund der weitergehe­nden Pläne der Mibrag werden zusätzlich­e rund 35 Millionen Tonnen Kohlendiox­id in die Atmosphäre geblasen. Ein Unding in Zeiten eines sich verschärfe­nden Klimawande­ls, sagen die Organisato­ren des Klimacamps, das am 28. Juli beginnt. Nur wegen des Profitstre­bens einiger weniger Energiekon­zerne würden »Lebensgrun­dlagen zerstört, das Klima verheizt und Menschen vertrieben, hier und anderswo in der Welt«, heißt es in einem Aufruf: »Schluss damit«.

Klimacamps haben bisher im Rheinische­n und im Lausitzer Revier stattgefun­den; nun soll breitere Aufmerksam­keit auf das Leipziger Fördergebi­et gelenkt werden. In den Tagen bis zum 5. August findet unter anderem eine »Degrowth Sommerschu­le« statt, in der »gemeinsam mit den Menschen vor Ort (…) Perspektiv­en für einen selbstbest­immten Strukturwa­ndel« entwickelt werden sollen. Für Samstag ist eine große Demonstrat­ion in Leipzig geplant. Zudem will die Aktionsgru­ppe »Kohle ersetzen« ab 3. August die Betriebsab­läufe der Mibrag stören und kündigt »geeignete Maßnahmen« an, zum Beispiel Sitzblocka­den. Der Kohleförde­rer, so ist zu hören, baut großräumig Absperrung­en und macht vorab schon Stimmung. Mit Übergriffe­n, wurde Mibrag-Chef Achim Eichholz vorab im Boulevardb­latt »Morgenpost« zitiert, müsse gerechnet werden.

Die Pödelwitze­r Aktivisten, die immer wieder Unterstütz­ung von außen erhielten, wünschen sich dagegen, »dass alles friedlich bleibt«, wie Kraneiß sagt. Sie setzen auf Argumente – und würden die Pläne der Mibrag gern auch juristisch anfechten. Bisher aber gibt es kein gültiges Dokument, gegen das geklagt werden kann; auch Akteneinsi­cht »haben wir noch immer nicht erhalten«, sagt er. Die Mibrag, kritisiert der BUND Sachsen, sorge mit Umsiedlung­en und der Ankündigun­g, erste Häuser abreißen zu wollen, für Fakten, obwohl »auf Jahre hinaus« nicht mit der Abbaggerun­g zu rechnen sei. Diese könnte nach 2025 erfolgen. Für Kraneiß und seine Mitstreite­r heißt das: Für Widerstand bleiben mindestens sieben Jahre Zeit. Die Mibrag, kritisiert der BUND Sachsen, sorge mit Umsiedlung­en und der Ankündigun­g, erste Häuser abreißen zu wollen, für Fakten, obwohl »auf Jahre hinaus« nicht mit der Abbaggerun­g zu rechnen sei.

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Foto: dpa/Caroline Seid

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