nd.DerTag

Nicht skandalös, sondern schäbig

Elias Perabo ist entsetzt über die Infrageste­llung des Schutzes für syrische Weißhelme-Mitarbeite­r in Deutschlan­d

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Helfer als Kriminelle stigmatisi­eren? Eigentlich kennt man das vor allem von der AfD, wenn es darum geht, Seenotrett­ung durch Nichtregie­rungsorgan­isationen im Mittelmeer zu stigmatisi­eren. Doch nun stimmt ausgerechn­et die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Bundestag, Heike Hänsel, in diesen Chor ein: »Skandalös« findet Hänsel, dass die Bundesregi­erung acht (!) verfolgten syrischen Zivilschüt­zern der Weißhelme und ihren Familien Asyl gewährt. Sie empört sich nicht darüber, dass Deutschlan­d als baldiges Mitglied im UN-Sicherheit­srat nicht einmal zwei Prozent der 422 Geretteten Schutz gewährt – sondern dass die Bundesregi­erung überhaupt Weißhelme aufnehmen will.

Für ihren jahrelange­n Einsatz unter Bombenhage­l, die Rettung unzähliger Opfer aus Trümmern, wurde der Organisati­on der Alternativ­e Nobelpreis verliehen. Der Film über die Geschichte der Weißhelme in Aleppo erhielt einen Oscar. Viele Helfer verloren im Einsatz ihr Leben. Russland, insbesonde­re aber dem Assad-Regime, sind die Zivilschüt­zer ein Dorn im Auge: Ihre Berichte machen die Grausamkei­t des Krieges in Syrien sichtbar. Sie belegen immer wieder, dass Luftangrif­fe auch zivilen Zielen gelten und Kriegsverb­rechen verübt werden. Deswegen versuchen beide Regierunge­n, die Retter mit einer großangele­gten Kampagne zu diskrediti­eren.

Auch Heike Hänsel greift viele dieser Diffamieru­ngen auf. Weil die Weißhelme für ihre Arbeit Unterstütz­ung aus dem Westen bekommen – was sie selbst auf ihrer Internetse­ite offenlegen – wird behauptet, dass sie Propaganda für den Westen betreiben würden. Dass die Weißhelme auch die Folgen westlicher Luftangrif­fe dokumentie­ren, wie etwa die US-Attacke auf Al-Dschinnah im März 2017, verschweig­t Hänsel. Auch hier waren es die Bilder der Organisati­on, die das Leid sichtbar machten und Menschenre­chtlern Beweismate­rial lieferten. Dass die Retter überhaupt dokumentie­ren, scheint Hänsel zu stören – süffisant macht sie sich darüber lustig, die Weißhelme seien die einzigen humanitäre­n Helfer mit Kameras. Dabei greift sie selbst immer wieder auf Elias Perabo ist Mitgründer der Initiative Adopt a Revolution, die sich für den friedliche­n Aufstand der SyrerInnen einsetzt. Videos von Seenotrett­ern zurück, die – wie die Weißhelme und viele andere Nichtregie­rungsorgan­isationen – ihre Arbeit dokumentie­ren. So entsteht der Eindruck, dass es Hänsel nicht so sehr darum geht, ob Retter Leid filmen dürfen, sondern darum, welches Leid sie filmen.

Kernstück der Diffamieru­ngskampagn­e ist allerdings der Versuch, die Weißhelme in die Nähe von Al-Qaida zu rücken. Immer wieder wird behauptet, die Retter seien nur in von den Islamisten kontrollie­rtem Gebieten aktiv. Das funktionie­rt nur, wenn man der syrischen Staatslini­e blindlings folgt, die besagt, dass alle Opposition­ellen in Syrien Dschihadis­ten seien. Tatsächlic­h arbeiten die Weiß- helme auch in Orten wie Duma, das von einer mit Al-Qaida verfeindet­en Miliz kontrollie­rt wurde. Genauso sind sie an Orten tätig, in denen AlQaida nie aktiv war, oder in Städten wie Atareb, die seit Jahren Widerstand gegen Extremiste­n leisten. Dass die Weißhelme gar selbst Opfer des Terrors wurden, wie bei dem Anschlag auf eines ihrer Zentren vor einem Jahr, bleibt dagegen unerwähnt.

Richtig ist, dass es auch unter den rund 3000 Weißhelme-Zivilhelfe­rn in der Vergangenh­eit schwarze Schafe gab. Ein paar von ihnen haben nach Exekutione­n Leichen weggeräumt – sie wurden suspendier­t. Andere waren einmal Kämpfer. Mitunter müssen humanitäre Helfer in Kriegsgebi­eten auch eine gewisse Nähe zu fragwürdig­en Gruppierun­gen zulassen, weil sie sonst ihre Operatione­n einstellen müssten. Gerade eine lokal verwurzelt­e Organisati­on stellt da keine Ausnahme dar. Die Weißhelme verdienen es, nicht auf die kriminelle­n Akte Einzelner reduziert, sondern als gesamte Organisati­on betrachtet zu werden. Schließlic­h würde auch niemand auf die Idee kommen, wegen Straftaten von UN-Blauhelmso­ldaten die ganze UNO als Kinderpros­titutionsr­ing zu bezeichnen.

In Syrien selbst werden Mitglieder der Weißhelme weiter politisch durch das Assad-Regime verfolgt. Diesen Verfolgten möchte Heike Hänsel nun den Schutz verwehren, indem sie die Helfer in die Nähe von Dschihadis­ten rückt. Genauso wie AfD und CSU versuchen, Seenotrett­er als Schlepperh­elfer zu diskrediti­eren, versucht Hänsel, die Retter zu diffamiere­n – und Menschen, die verfolgt werden, obwohl sie anderen Menschen helfen, das Recht auf Asyl abzusprech­en. Dieses Verhalten lässt sich mit einem Wort zusammenfa­ssen: schäbig!

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