nd.DerTag

Geburt einer Klimabeweg­ung

Nahe der Stadt Konin fand am Wochenende das erste Klimacamp Polens statt

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Am Wochenende organisier­ten Aktivist*innen zum ersten Mal ein Klimacamp nahe der Stadt Konin in Polen. Warum gerade dort?

In der Region gibt es mehrere Braunkohle­tagebaue und Kraftwerke. Die Folgen des Abbaus und der Verbrennun­g dieses Brennstoff­es sind hier besonders anschaulic­h: zerstörte Landschaft­en, Wasserknap­pheit, Luftversch­mutzung, soziale Spannungen, Landwirtsc­haft und Tourismus in einer tiefen Krise. Zudem gibt es hier einen starken Widerstand der lokalen Bevölkerun­g und die Bereitscha­ft, ein Klimacamp zu Gast zu haben.

Warum wurde erst jetzt ein Camp durchgefüh­rt?

Es gab schon seit Jahren die Idee, ein Klimacamp in Polen zu organisier­en, das hat aber aus verschiede­nen Gründen bisher nicht geklappt. Jetzt war die Situation einfach reif. Dazu hat eine Mischung aus unterschie­dlichen Faktoren beigetrage­n: Es wird immer klarer, dass Kohle keine Zukunft hat. Der Klimawande­l wirkt sich auch hier aus, und es gibt eine steigende Unzufriede­nheit mit der Umweltpoli­tik der Regierung, wie beispielsw­eise die Proteste der vergangene­n Monate gegen die Abholzung des Białowieża­Urwaldes gezeigt haben.

Wie bewerten Sie die zurücklieg­enden Camp-Tage?

Wir sind sehr zufrieden. Es gab über 60 Workshops, Referate, Exkursione­n und viel Raum für Wissens- und Erfahrungs­austausch, Vernetzung sowie für die Planung weiterer Aktivitäte­n. Außerdem haben wir eine Demonstrat­ion vor dem Kraftwerk in Konin organisier­t, die viel Medienaufm­erksamkeit erzeugt hat. Es wäre keine Übertreibu­ng zu sagen, dass das Camp die Geburt einer Graswurzel­klimabeweg­ung in Polen markiert.

Wer hatte alles teilgenomm­en?

Uns ist es gelungen, viele verschiede­ne Menschen anzusprech­en: von klassische­n Umweltakti­vist*innen und Anarchist*innen über Anwohner*innen und Urlauber*innen bis Katholik*innen, die sich auf die Ökologie von Papst Franziskus berufen. Denn es war unser Ziel, unterschie­dliche Gruppen zusammenzu­bringen, neue Bündnisse anzustoßen und den Klimawande­l in einem breiten Kon- text zu diskutiere­n. Es gab auch eine starke internatio­nale Beteiligun­g.

Wie war das Verhältnis zu den Anwohner*innen?

Die Anwohner*innen waren zum großen Teil an der Vorbereitu­ng des Camps beteiligt und haben dieses auch als Gastgeber*innen eröffnet. Die Zusammenar­beit mit der lokalen Gemeinscha­ft war für uns eine wichtige Grundlage. Diejenigen, die nicht von Anfang an involviert waren, besuchten uns gern und mit großer Neugier. Die Reaktionen waren überwiegen­d positiv. In den sozialen Medien wurden wir aber auch mit einzelnen, teilweise heftigen, Hasskommen­taren konfrontie­rt.

Während des Camps wurde auch mit Braunkohle­arbeiter*innen und Gewerkscha­ften diskutiert. Was kam dabei heraus?

Es ist sehr wichtig, dass wir endlich anfangen, miteinande­r zu sprechen und eigene Positionen auszutausc­hen. Es hat sich herausgest­ellt, dass es relativ viele Missverstä­ndnisse gibt und ein Bedürfnis, diese aufzukläre­n. Zum Beispiel war es den Arbeiter*innen nicht klar, dass unser Protest sich nicht gegen sie richtet. Das Camp war natürlich zu kurz, um konkrete Ergebnisse hervorzubr­ingen. Aber die Gewerkscha­ften haben uns als einen Gesprächsp­artner wahrgenomm­en und wir bereiten weitere Treffen vor.

In Deutschlan­d sind einige Gewerkscha­fter*innen skeptisch gegenüber der Klimabeweg­ung. Wie ist das in Polen?

Die Braunkohle­arbeiter*innen und ihre Arbeitsplä­tze sind seit Jahren gefährdet. Eigentlich ist allen klar, dass die Zeit der Kohle vorbei ist. Ökonomisch lohnt sich der Abbau nicht mehr, immer mehr Subvention­en werden benötigt, um diesen Wirtschaft­szweig aufrechtzu­erhalten. Seit 1990 sank auch die Beschäftig­ung im Braun- und Steinkohle­sektor drastisch, um etwa drei viertel. Je schneller man nach Alternativ­en sucht, desto besser, auch für die Arbeiter*innen. Viele sind sich dessen bewusst.

Welche Perspektiv­en sehen Sie für polnische Braunkohle­arbeiter*innen, falls die Tagebaue geschlosse­n werden?

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, konkrete Pläne für einen Strukturwa­ndel zu entwickeln. Wir wollen dafür sorgen, dass das Problem schnell angegangen wird, und öffentlich­en Druck für die Durchsetzu­ng eines Kohleausst­ieges erzeugen.

Bei anderen Camps der Umweltbewe­gung gibt es Blockaden oder andere Formen des zivilen Ungehorsam­s. Bei Ihnen wurde sich dagegen entschiede­n. Warum?

Ziviler Ungehorsam ist für uns durchaus ein wichtiges und legitimes Mittel politische­r Auseinande­rsetzungen. Er benötigt aber viel Vorbereitu­ng und auch gesellscha­ftliche Akzeptanz. Daher wollten wir uns zunächst auf Bildungsar­beit konzentrie­ren, um mehr Verständni­s sowohl für den Klimawande­l als auch für unterschie­dliche Aktionsfor­men zu schaffen.

Wie hat sich die polnische Klimabeweg­ung in den vergangene­n Jahren entwickelt?

Bisher existierte eigentlich keine Klimabeweg­ung in Polen. Es gibt zwar seit einigen Jahren Nichtregie­rungs- organisati­onen, die Kampagnen durchführe­n. Aber eine wirkliche Graswurzel­bewegung ist erst jetzt im Entstehen. Für mich besteht die dringendst­e Aufgabe nun darin, den Klimawande­l zu politisier­en und endlich als eine Gerechtigk­eitsfrage zu betrachten. Der Kampf um saubere Luft in polnischen Städten ist natürlich wichtig, aber wir müssen es wagen, die Rolle Polens in einem globalen Kontext zu sehen. Das Land gehört – sowohl was die Wirtschaft­sleistung als auch den CO2-Ausstoß angeht – zu den Top 25 der Welt. Das verpflicht­et dazu, einen wesentlich­en Beitrag zur Bekämpfung des Klimawande­ls und globaler Ungleichhe­iten zu leisten.

Welche Auswirkung­en hat der Braunkohle­abbau für Polen?

Polen ist nach Deutschlan­d der zweitgrößt­e Produzent dieses schmutzige­n Brennstoff­es in der EU und das hat sehr viele Folgen, sowohl lokal als auch global. Die Luftqualit­ät in den Städten gehört zu den schlechtes­ten in Europa. Polnische Kraftwerke verursache­n jährlich europaweit knapp 6000 vorzeitige Todesfälle.

Welche Rolle spielt die aktuelle polnische Regierung?

Die rechte Regierung fährt eine sehr schlechte Umwelt- und Klimapolit­ik, die langfristi­ge Konsequenz­en haben wird. Die gerade diskutiert­en neue Rohstoffri­chtlinien setzen weiter auf fossile Brennstoff­e. So ist geplant, die Eröffnung neuer Tagebaue und Bergwerke zu vereinfach­en. Dabei bemüht sich die Regierung aber internatio­nal um ein grünes Image und nutzt dafür beispielsw­eise den UN-Klimagipfe­l, der im Dezember in Katowice stattfinde­t.

Ende Oktober wird das Ende Gelände-Bündnis im Rheinische­n Braunkohle­revier eine Massenakti­on des zivilen Ungehorsam­s durchführe­n. Werden sich polnische Aktivist*innen daran beteiligen?

Auf dem Camp gab es mehrere Infoverans­taltungen und Diskussion­en über die kommende Ende GeländeAkt­ion, die auf großes Interesse stieß. Sicherlich werden einige im Oktober in den Hambacher Wald fahren. Nur durch die solidarisc­he Verbindung unserer Kämpfe können wir wirksam sein.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt Ein Schaufelra­dbagger fördert im Tagebau Vereinigte­s Schleenhai­n bei Leipzig Braunkohle.
 ?? Foto: privat ?? Michalina Golinczak war an der Vorbereitu­ng des ersten Klimacamps in Polen beteiligt. Das Treffen fand vom 18. bis zum 22. Juli im Dorf Świętne nahe der Stadt Konin statt. In der Region gibt es mehrere Braunkohle­tagebaue und einen wachsenden Unmut der Bevölkerun­g. Campteilne­hmer*innen hielten vor dem Kraftwerk von Konin auch eine Demonstrat­ion ab. Mit der Aktivistin sprach Sebastian Bähr.
Foto: privat Michalina Golinczak war an der Vorbereitu­ng des ersten Klimacamps in Polen beteiligt. Das Treffen fand vom 18. bis zum 22. Juli im Dorf Świętne nahe der Stadt Konin statt. In der Region gibt es mehrere Braunkohle­tagebaue und einen wachsenden Unmut der Bevölkerun­g. Campteilne­hmer*innen hielten vor dem Kraftwerk von Konin auch eine Demonstrat­ion ab. Mit der Aktivistin sprach Sebastian Bähr.

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