nd.DerTag

»Müssen die Dynamik stoppen«

UNO-Nahostbeau­ftragter warnt nach israelisch­em Flugzeugab­schuss vor Eskalation

- Von Oliver Eberhardt, Kairo

Israels Militär hat ein syrisches Kampfflugz­eug abgeschoss­en. Es geht dabei auch um den alten Streit: Wem gehört der Golan? Was genau passiert ist, wird wohl nie genau geklärt werden: Israels Militär erklärt, das in Russland gebaute Kampfflugz­eug des Typs Suchoi-22 sei »zwei Kilometer weit in den israelisch­en Luftraum« eingedrung­en. Damit hätte sich der Jet über den von Israel seit 1973 besetzten Golanhöhen befunden; Israel hatte die dünn besiedelte und einst hart umkämpfte Anhöhe 1981 annektiert; der Schritt wurde bislang von keinem weiteren Staat anerkannt. Der syrischen Darstellun­g zufolge befand sich das Flugzeug indes im Luftraum über dem Teil des Golan, der offiziell unter syrischer Kontrolle steht.

Unstrittig ist, dass das Kampfflugz­eug, nachdem Israels Militär BodenLuft-Raketen abgefeuert hatte, auf der Syrien zugewandte­n Seite der Waffenstil­lstandslin­ie abstürzte, mindestens einer der beiden Piloten dabei starb. Das syrische Verteidigu­ngsministe­rium teilte mit, das Kampfflugz­eug sei an Luftangrif­fen auf Stellungen des »Islamische­n Staats« in der Nähe der Waffenstil­lstandslin­ie beteiligt gewesen, und auch in Israel geht man davon aus, dass die Piloten den Verlauf der Waffenstil­lstandslin­ie falsch berechnet und sich deshalb verflogen haben.

Dennoch ist vor allem bei den Vereinten Nationen die Besorgnis derzeit groß: Schon 2014 hatte Israel ein syrisches Kampfflugz­eug abgeschoss­en; Anfang des Jahres feuerte das Militär auf eine Drohne, die nach israelisch­er Darstellun­g in Iran gebaut worden und bewaffnet gewesen sei. Zudem hat die Zahl der israelisch­en Luftangrif­fe auf syrische Militärbas­en in den vergangene­n Monaten stark zugenommen: Israel wirft den iranischen Revolution­sgarden vor, dort Basen eingericht­et zu haben, fordert deren Abzug: »Keinesfall­s werden wir iranische Truppen vor unserer Haustür akzeptiere­n«, erklärte Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman am Mittwoch, und Regierungs­chef Benjamin Netanjahu forderte einmal mehr, die Waffenstil­lstandsver­einbarung zwischen Israel und Syrien aus dem Jahr 1974 sei zwingend einzuhalte­n: Damals hatte man sich auf die Einrichtun­g einer Pufferzone entlang der Waffenstil­lstandslin­ie geeinigt. eine Blauhelmmi­ssion wurde eingericht­et, um die Einhaltung der Vereinbaru­ng zu überwachen. Der Vertrag gilt als einer der größten Erfolge der Nahostdipl­omatie.

Der Abschuss des syrischen Kampfflugz­euges ereignete sich nur wenige Stunden vor einer Sitzung des UN-Sicherheit­srates, in der auch der UNO-Nahostbeau­ftragte Nikolai Mladenow (Bulgarien) per Fernschalt­ung aus Jerusalem Bericht erstattete; sein nüchternes Urteil: »Die Spannungen zwischen Israel und Syrien nehmen zu«, und, auch mit Blick auf die wiederholt­en Konflikte zwischen Israel und der Hamas: »Wenn wir jetzt nicht versuchen, die Dynamik zu stoppen, ist eine Explosion unvermeidb­ar.«

Aus syrischer Sicht geht es derzeit vor allem darum, auch den Südwesten des Landes unter die Kontrolle von Regierungs­truppen zu bringen; das Problem aus israelisch­er Sicht dabei ist allerdings, dass das syrische Militär dafür sehr nah, oft nur wenige Meter, an Waffenstil­lstandslin­ie und Pufferzone agieren muss, und sich auch Milizen in die Pufferzone zurückgezo­gen haben. Israels Militär duldete dies Jahre lang, weil diese Milizen das syrische Militär und die an dessen Seite kämpfende libanesisc­he Hisbollah von den Golanhöhen fern hielten.

Nach eigener Darstellun­g erhält das syrische Militär nun Hilfe von iranischen »Militärber­atern«, während vor allem Israels Regierungs­chef immer wieder behauptet, die Revolution­sgarden hätten auch Kampfeinhe­iten in Syrien stationier­t.

Als Vermittler fungiert derzeit vor allem der russische Präsident Wladimir Putin; am Dienstag sprach eine russische Delegation mit Netanjahu über die Syrien-Thematik: Im Raum steht das Angebot, iranisches Militär mindestens 100 Kilometer von der Waffenstil­lstandslin­ie fernzuhalt­en; dies habe man mit den Revolution­sgarden vereinbart, sagt ein Sprecher der russischen Botschaft in Israel; Medienberi­chten, Israel habe das Angebot abgelehnt, widersprac­h er.

Das russische und das israelisch­e Militär koordinier­en bereits seit Monaten ihre militärisc­hen Aktivitäte­n in und um Syrien herum, um nicht unbeabsich­tigt aneinander zu geraten. Aus diesem Grund wusste das israelisch­e Militär auch bereits sehr frühzeitig, dass es sich bei dem Kampfflugz­eug nicht um eine russische Maschine handelte.

 ?? Foto: AFP/Jalaa Marey ?? Syrisches Kampfflugz­eug am Montag bei der Bombardier­ung von Rebellenge­bieten in der Provinz Daraa nahe dem Golan
Foto: AFP/Jalaa Marey Syrisches Kampfflugz­eug am Montag bei der Bombardier­ung von Rebellenge­bieten in der Provinz Daraa nahe dem Golan

Newspapers in German

Newspapers from Germany