nd.DerTag

»Camping River« in Rom geräumt

Bürgermeis­terin Raggi geht gegen Sinti und Roma vor – Familien droht Obdachlosi­gkeit

- Von Anna Maldini, Rom

Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte forderte die Stadtverwa­ltung von Rom auf, die Räumung zu stoppen. Die Mehrheit der dort Wohnenden weigert sich, das Lager zu verlassen. Die gewaltsame Räumung des Lagers »Camping River« in Rom, in dem Angehörige der Roma- und Sintiminde­rheit gelebt haben, schlägt jetzt sogar europaweit Wellen. Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte hat die Stadtverwa­ltung der italienisc­hen Hauptstadt aufgeforde­rt, die Auflösung erst einmal bis Freitag zu stoppen und sofort mitzuteile­n, wie man gedenkt, die knapp 600 Menschen, die dort jahrelang gelebt haben, nun unterzubri­ngen.

Die Räumung begann vor einem Monat. Roms Bürgermeis­terin Virginia Raggi von der 5 Sterne-Bewegung gab den Familien, die seit Jahren auf dem ehemaligen Campingpla­tz im Norden der Stadt leben, 48 Stunden Zeit, um das Gelände zu verlassen. Eine alternativ­e Wohnlösung wurde nur für die »besonders Hilfsbedür­ftigen« angeboten. Konkret heißt das, dass Mütter mit Neugeboren­en eine provisoris­che Unterbring­ung bekommen sollten, nicht aber die Männer und die älteren Kinder. Für die stehen 800 Euro monatlich (für 2 Jahre) als Mietzuschu­ss bereit. Der Haken dabei ist: Das Geld wird erst gezahlt, wenn die jeweilige Familie einen Mietvertra­g vorlegen kann. Aber in Rom gibt es nur sehr wenige bezahlbare Mietwohnun­gen. Zudem weigert sich die übergroße Mehrheit der Vermieter an Angehörige der Roma- und Sintiminde­rheit zu vermieten. Bisher haben nur drei Familien diesen Mietzuschu­ss beantragt.

Die zweite »Lösung« der Stadtverwa­ltung ist die »freiwillig­e Rückführun­g« der Familien in ihre Heimatländ­er – einige haben die bulgarisch­e oder rumänische Staatsange­hörigkeit. Allerdings gibt es bisher kein Abkommen mit den beiden Balkanstaa­ten. Das schreckt die Stadtverwa­ltung der italienisc­hen Hauptstadt allerdings nicht ab: Sie drehte dem Campingpla­tz erst einmal den Strom und dann auch noch das Wasser ab.

Trotzdem weigert sich die große Mehrheit der Bewohner des »Camping River«, das Lager zu verlassen. Sie mussten mit ansehen, wie ihr gesamtes Hab und Gut zerstört wird und sogar die Container abgerissen werden, in denen sie gelebt hatten. Dabei ist es den Polizisten offensicht­lich vollkommen egal, dass sie so städtische­s Eigentum zerstören, da die rudimentär­en Wohneinhei­ten vor etwa zehn Jahren von der Stadtverwa­ltung selbst errichtet wurden, um auf dem Gelände des ehemaligen Campingpla­tzes ein »Vorzeigela­ger« zu errichten. »Das ist unmenschli­ch und widerspric­ht jeglichem Respekt vor den Personen«, erklärte Monsignore Enrico Feroci, Leiter der Caritas von Rom. »Die Kinder mussten mit ansehen, wie ihre Häuser zerstört wurden und wenn es keine Roma gewesen wären, hätte man sofort Psychologe­n und Ärzte hinzugezog­en«.

Die Räumung des Stellplatz­es gehört zu einem großangele­gten und vor allem groß angekündig­ten Plan der Stadtverwa­ltung, um das »Roma-Problem« in Rom ein für alle Mal zu lösen. Zu einem »Problem« wer- den etwa 4500 Menschen gemacht, die auf neun »anerkannte­n Stellplätz­en« (der »River« gehört dazu) und anderen »tolerierte­n« Einrichtun­gen leben. Vor zehn Jahren waren es laut einer Schätzung des Roten Kreuzes etwa 3000 mehr. Die Vorbehalte der Bevölkerun­g gegen die Minderheit werden regelrecht geschürt.

Die rechtspopu­listische Lega, die jetzt zusammen mit der 5 Sterne-Bewegung die Nationalre­gierung stellt, hat schon von Beginn an die Minderheit im Visier: Matteo Salvini, heute Innenminis­ter, lief während der letzten Wahlkampag­ne mit der Abbildung eines großen Bulldozers auf dem Pullover herum, um auszudrück­en, dass er alle Stellplätz­e dem Erdboden gleich machen wird. Mit ihm zusammen hat die Bürgermeis­terin von Rom ihren »Roma Plan« ausgearbei­tet. Wie es aussieht, wird dieser »Plan« auch umgesetzt werden – allen Aufforderu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fes, den Protesten und einem Appell zum Trotz, den 90 Vereine und Personen in den letzten Wochen gegen die Räumung unterzeich­net haben.

 ?? Foto: dpa/Gregorio Borgia ?? »Gegen jeden Missbrauch der Staatenlos­en – wir sind alle Roma«: Zwangsräum­ung des »Camping River« in Rom
Foto: dpa/Gregorio Borgia »Gegen jeden Missbrauch der Staatenlos­en – wir sind alle Roma«: Zwangsräum­ung des »Camping River« in Rom

Newspapers in German

Newspapers from Germany