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Aufsichtsv­ersagen, Kontrollve­rlust

Gesundheit­sministeri­n verspricht Aufklärung des Pharmaskan­dals und rasche Konsequenz­en

- Von Tomas Morgenster­n

Beim Skandal um den Handel mit offenbar gestohlene­n oder gefälschte­n Krebsmedik­amenten war viel kriminelle Energie im Spiel. Doch am Ende haben die Überwachun­gsund Kontrollst­rukturen versagt. Gesundheit­sministeri­n Diana Golze (LINKE) hatte einen schweren Stand, als sie am Mittwoch vor dem Gesundheit­sausschuss des Landtages in Potsdam Bericht über ihren bisherigen Kenntnisst­and zum Skandal um die Arzneimitt­elhandelsf­irma Lunapharm erstattete. Und sie machte über weite Strecken keine allzu gute Figur, denn weder die Ausschussm­itglieder und Abgeordnet­en noch die Presse oder gar die Patienten und ihre Angehörige­n haben erschöpfen­de Antwort auf ihre wichtigste Frage erhalten: Wie konnte es dazu kommen?

Wie konnten offenbar in Griechenla­nd gestohlene, falsch gelagerte, vielleicht gefälschte Arzneimitt­el von einem dafür zugelassen­en Unternehme­n in Brandenbur­g nach Deutschlan­d gebracht werden? Wie konnte Hehlerware dann bundesweit an Apotheken verkauft und zur Behandlung von Patienten ausgegeben wurde? Und vor allem: Wieso haben weder das zuständige Landesgesu­ndheitsamt (LAVG) noch das Gesundheit­sministeri­um trotz diverser Hinweise auf Unregelmäß­igkeiten und Verdachtsm­omente nicht reagiert, ja offenbar nicht einmal Fragen gestellt?

»Wir sind entsetzt über das Ausmaß kriminelle­r Energie«, hatte die Vorsitzend­e des Ausschusse­s, Sylvia Lehmann (SPD), zu Beginn der außerorden­tlichen Sitzung während der Sommerpaus­e des Landtages erklärt. Zugleich hatte sie den Opposition­sfraktione­n der Grünen und der CDU ausdrückli­ch dafür gedankt, den Antrag dazu auf den Weg gebracht zu haben. Sie erhoffe Aufklärung.

In seiner Stellungna­hme betonte der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der CDU-Fraktion, Raik Nowka, es gehe um den bisher »größten Medikament­enskandal« im Land Brandenbur­g. Er erhob schwere Vorwürfe gegen Ministerin Golze. Diese habe auf den Beitrag im ARD-Magazin »Kontraste«, mit dem der Skandal um den Pharmahänd­ler Lunapharm vor reichlich zwei Wochen publik gemacht wurde, vorschnell und falsch reagiert, ihn zunächst als »reißerisch und unverantwo­rtlich« abgetan. Und dies, obwohl nach heutigem Kenntnisst­and dem Unternehme­n schon vor anderthalb Jahren hätte die Betriebser­laub- nis entzogen werden müssen. Dem Ministeriu­m warf Nowka Kontrollve­rlust und Missmanage­ment angesichts des offenkundi­g dort eingetrete­nen Informatio­nsverlusts in einem so schwerwieg­enden Fall von Versagen bei der Arzneimitt­elüberwach­ung vor.

Auch Ursula Nonnemache­r, Fraktionsc­hefin und gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der Grünen, machte der Ministerin bittere Vorhaltung­en, sprach von »mangelnder Sorgfaltsp­flicht gegenüber vielen Tausend Pa- tienten in Brandenbur­g, Deutschlan­d und vielleicht sogar Europa«.

Eine sichtlich angefasst wirkende Gesundheit­sministeri­n nutzte ihren Auftritt vor dem Ausschuss zunächst dazu, um vor allem die vielen Patienten und deren Angehörige, die eine derart schwere Krankheit bewältigen müssen, erneut um Entschuldi­gung zu bitten. Es sei soweit gekommen, weil »offensicht­lich die Aufsichtss­trukturen nicht funktionie­rt haben, die sol- che Vorgänge verhindern sollen«, weil kriminelle Energie nicht durchschau­t wurde und gegen geltende Regelungen verstoßen worden sei.

»Noch nie ist das Ministeriu­m in so schwerem Fahrwasser gewesen«, sagte Golze. Der Fall gehe ihr persönlich nahe. Geklärt werden müsse nun, ob der Vorgang von ihrer Behörde fachlich falsch eingeschät­zt worden sei oder ganz andere Gründe vorlägen.

Die Ministerin versichert­e, sie habe großes Vertrauen zu ihren Mitarbeite­rn. Doch ihr eigener, zunächst widersprüc­hlicher Umgang mit den im »Kontraste«-Beitrag geschilder­ten Vorgängen zeige: »Ich habe mich zu lange verlassen auf Informatio­nen, die wir bekommen haben.« Angesichts auch der großen Beunruhigu­ng, die der TV-Beitrag bei Patienten und Angehörige­n ausgelöst habe, sei klar geworden, dass großer Handlungsb­edarf bestehe. Golze kündigte vor den Abgeordnet­en an, sie werde die Aufsichtsb­ehörde »auf den Kopf« stellen, damit sich so etwas nicht wiederholt.

Vollends unklar blieb, warum die Informatio­nskette im LAVG versagt hat, nachdem schon im Dezember 2016 erste Hinweise der polnischen Arzneimitt­elbehörde zu Ungereimth­eiten im Zusammenha­ng mit Lunapharm eingegange­n waren. Warum wurde das Ministeriu­m nicht in Kenntnis gesetzt? Vor allem den Vor- wurf, er hätte unverzügli­ch eine anlassbezo­gene Inspektion bei der Firma, die Sicherstel­lung der Arzneimitt­elproben anordnen müssen, konnte Amtspräsid­ent Detlev Mohr nicht entkräften. Er sei von den zuständige­n Mitarbeite­rn nicht informiert worden, dabei sei gegen klare Dienstanor­dnungen verstoßen worden. »Die Kommunikat­ion ist weiter an mir vorbeigega­ngen. Die Justiz muss prüfen, ob es nicht doch Vorsatz war, denn anders ist es nicht zu erklären«, so Mohr.

Zu Wochenbegi­nn hat eine von Golze berufene Task Force unter Leitung von Staatssekr­etärin Almuth Hartwig-Tiedt mit der Aufklärung aller Vorwürfe rund um den Handel mit Krebsmedik­amenten begonnen. Darin wirken neben Verwaltung­s- und Rechtsexpe­rten auch Professor WolfDieter Ludwig, Vorsitzend­er der Arzneimitt­elkommissi­on der deutschen Ärzteschaf­t, und Professor Martin Schulz, Vorsitzend­er der Arzneimitt­elkommissi­on der deutschen Apotheker, mit. Dem in Mahlow (Teltow-Fläming) ansässigen Pharmaunte­rnehmen wurde die Betriebser­laubnis entzogen, die Geschäfts- und Privaträum­e wurden durchsucht. LAVG-Präsident Mohr hat bei der Staatsanwa­ltschaft Neuruppin Strafanzei­ge gegen zwei Mitarbeite­r des zuständige­n Referats wegen des Verdachts der Vorteilsna­hme erstattet.

»Wir sind entsetzt über das Ausmaß kriminelle­r Energie.« Sylvia Lehmann (SPD), Ausschussv­orsitzende

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Foto: dpa/Bernd Settnik Schwer in Erklärungs­not: Gesundheit­sministeri­n Diana Golze und LAVG-Präsident Detlev Mohr

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