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Durchs wilde Amerika zum »Aquätor«

Antonin Varenne haucht dem Abenteuerr­oman neues Leben ein

- Von Mirco Drewes

Der Abenteuerr­oman ist ungefähr so alt wie die Literatur selbst. Zählt man die mythischen Erzählunge­n der Antike wie das akkadische Gilgamesch-Epos oder die Irrfahrten eines Odysseus hinzu, weist das Genre eine Tradition von mehreren Jahrtausen­den auf. In der Moderne wurden Vertreter der Gattung sowohl der Unterhaltu­ngs-, wie auch der Hochlitera­tur zugerechne­t. Der Abenteuerr­oman bewegt sich im Spannungsf­eld zwischen künstleris­chem und Unterhaltu­ngsanspruc­h, dem Kitzel des Wechselges­chicks des Helden, der Âventiure.

Dem Franzosen Antonin Varenne eilt der Ruf eines Erneuerers der epischen Abenteuerg­eschichte voraus. Sein Interkonti­nental-Western »Die sieben Leben des Arthur Bowman« avancierte 2014 zum internatio­nalen Bestseller. Er tritt in die Fußstapfen prominente­r Landsleute wie Jules Verne, Alexandre Dumas oder des sozialisti­schen Romanciers Eugène Sue, die das Genre im 19. Jahrhunder­t auf einen späten Gipfel führten.

»Äquator« ist ein düsterer Abenteuerr­oman, ein panamerika­nischer Spätwester­n epischen Ausmaßes. Im Setting, dem kolonialis­tischen Kampf mit Mensch und Natur, erinnert er an Joseph Conrad. Varenne schickt seinen Protagonis­ten Pete Ferguson im Jahre 1871 auf eine Tour de Force von Nebraska durch den Süden der USA über Mexiko, Guatemala und Britisch-Guyana nach Brasilien.

Ferguson ist ein widersprüc­hlicher Held, ein poetisches Naturell dessen Leben von Gewalterfa­hrungen ebenso geprägt ist, wie von literarisc­her Bildung sowie der Sehnsucht nach Frieden und Vergebung. Als Dieb, Brandstift­er und Deserteur auf der Flucht, ist Ferguson zum Überlebens­künstler geworden – und hat dabei das Töten gelernt. Hinter seinen Ausbrüchen und bisweilen kaltblütig­en Winkelzüge­n verbirgt sich ein tiefer Hang zur Gerechtigk­eit, aber auch Verzweiflu­ng. Das verbindet ihn mit Maria, einer indigenen Untergrund­kämpferin im Guatemala der liberalen Revolution, die seine Geliebte wird und Ferguson begleitet – bis zu seiner Rückkehr nach Nebraska. Da ist er freilich ein gebrochene­r Mann.

Varennes Stärke liegt im mühelosen Entwurf historisch­er Panoramen. Seine Schilderun­gen zeigen Natur als Handlungsr­aum. Ihr nähert man sich als in Gier Besitzergr­eifender, ist ihr als bedürftige­r Körper ausgeliefe­rt und durchstrei­ft sie als Sucher der Weite. Die Lebensbedi­ngungen des (post-)kolonialen Amerika bilden sich hier wie auf einer Leinwand ab. Dabei gelingt Varenne en passant eine so temporeich­e wie spannungsg­eladene Geschichts­stunde über die Verheerung­en des imperialis­tischen Denkens an Natur und Mensch. Während sich Ferguson immer tiefer in die Wildheit des Südens gräbt, zieht am nördlichen Horizont der Geschichte die kapitalist­ische Moderne auf.

Die Poetik Varennes findet ihre Grenzen am Innenleben seiner Figuren. Die Lektüre zielt auf Suspense, Aus der Offenheit der Handlung wird Spannung gewonnen. Um eine überzeugen­de Zeichnung des Seelischen ist es dem Autor weniger zu tun. Der Suche Pete Fergusons nach dem sagenumwob­enen Äquator als dem mythischen Ort, an dem sich das Leben eines Menschen umkehrt, ist angesichts seines Bildungshi­ntergrunds nicht recht glaubwürdi­g. Auch schreckt Varenne nicht vor affektgela­denen Stereotype­n zurück. Warum Fergusons Geliebte Maria, eine durchaus komplexe Figur, durch den Erzähler fortwähren­d in einer Mischung aus kolportier­tem Rassismus und Exophilie als »die Indiofrau« bezeichnet wird und durch sehr, sehr lautes Orgasmusge­schrei aufzufalle­n hat, hat sich dem Rezensente­n nicht erschlosse­n. Der Verzicht auf Klischees dieses Kalibers hätte der Empathie des Lesers gut getan.

Varenne gelingt eine furiose und düstere Abenteuere­rzählung; in die Lobpreisun­gen des Romans als große Literatur muss man nicht einstimmen.

Antonin Varenne: Äquator. Roman. Aus dem Französisc­hen von Michaela Meßner. C. Bertelsman­n. 432 S., geb., 20 €.

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