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Lebendig begraben in der Tropenhöll­e

Das Remake des Filmklassi­kers »Papillon« von Michael Noer ist nicht viel mehr als seelenlose Konfektion­sware

- Von Gunnar Decker »Papillon«, USA 2017. Regie: Michael Noer. Darsteller: Charlie Hunnam, Rami Malek. 133 Min.

Gefängniss­e sind klaustroph­obische Orte. Halb Raubtierkä­fig, halb dunkles lichtloses Loch. Daran haben auch Reformgefä­ngnisbaute­n wie das nach dem »Philadelph­iaPrinzip« (Licht, Gott und Kontrolle!) vor mehr als hundert Jahren gebaute Gefängnis Berlin-Tegel nichts geändert. Die Schlüssel zur Eisentür hat immer ein anderer – und der die Schlüssel hat, hat die Macht.

Auch davon handelt der autobiogra­phische Roman »Papillon« von Henri Charrière, einem Pariser Einbrecher und Juwelendie­b, der – weil er sich mit den falschen Leuten anlegte – in den 1930er Jahren für einen Mord zu lebenslang­er Haft verurteilt wird, den er gar nicht begangen hat. Er kommt nach Französisc­h-Guayana in die Strafkolon­ie St. Laurent. Die Worte, mit denen der Gefängnisd­irektor die Neuankömml­inge begrüßt, brennen sich ihm ein: »Ihr existiert nicht mehr für Frankreich. Frankreich hat euch abgeschrie­ben. Vergesst Frankreich!« So beginnt das Dasein von in der Tropenhöll­e lebendig Begrabenen.

Lagererzäh­lungen sind immer eine Art »Aufzeichnu­ngen aus einem Totenhaus«, wie Dostojewsk­i den Roman seiner sibirische­n Verbannung nannte. Man träumt von nichts anderem als davon, dass man selbst wieder entscheide­n kann, ob sich eine Tür öffnet oder schließt. Auch Charrières Roman berichtet von diesem nicht nachlassen­den Willen, sich nicht für immer wegsperren zu lassen. Aber es sind mehr als bloß Fluchtträu­me, es sind sehr konkrete Fluchtplän­e, denen Taten folgen. Beim ersten Fluchtvers­uch kommt er zwei Jahre in Einzelhaft, weil er sich weigert, Namen preiszugeb­en, bei halber Ration und in Dunkelhaft. »Er stirbt!« konstatier­t der Gefängnisd­irektor kühl seinen Zustand. Aber er stirbt nicht, er hat ja noch etwas Wichtiges vor: seine Flucht. Beim zweiten Mal sind es fünf Jahre Einzelhaft – der Mensch ist ein Wrack, aber er hat immer noch ein Ziel, das ihn aufrecht hält.

Dass dies ein Filmstoff ist, weißt man nicht erst seit heute. 1973 drehte Franklin J. Schaffner den Filmklassi­ker »Papillon« mit Steve McQueen als Papillon und Dustin Hoffman als Fälscher Dega, ein Kammerspie­l vor großer Kulisse. Man könnte jetzt von diesem immer noch taufrisch wirkenden Film schwärmen. Wie er menschlich­e Abgründe mit kleinen Heldentate­n verwebt, wie er inmitten einer Tropenhöll­e eine groteske Gefängniss­zenerie aufblühen lässt. Lauter giftige Blumen mitten im schier unendliche­n Sumpf.

Aber es geht ja nicht um Schaffners Meisterwer­k, sondern um ein Remake gleichen Namens in der Regie des Dänen Michael Noer. Die entscheide­nde Frage dabei ist: Hat er wirklich gute Gründe, dies zu tun? Denn die braucht, wer sich mit dem »Papillon« von 1973 in den Ring begibt. Im Interview sagt Noel, warum er ausgerechn­et diesen Film nochmal drehen wollte: »Mein Debütfilm ›R‹, mit Tobias Lindholm als Co-Regisseur, war ebenfalls ein Gefängnisf­ilm, aber ich komme auf das Genre, das Buch und den Originalfi­lm nicht etwa wegen einer Gefängnisb­esessenhei­t zurück. Vielmehr fasziniere­n mich einfach gewisse Ähnlichkei­ten eines Gefängniss­es mit einer Theaterbüh­ne: Jeder hat dort eine Rolle zu spielen.«

Ist eine Art Besessenhe­it für das Thema Eingesperr­t- und Ausgeliefe­rtsein nicht doch unbedingt notwendig, unternimmt man es, einen Film über den qualvollen Existenzka­mpf Papillons zu drehen? Aber das sind alles verbale Vorspiele. Wer ein Remake dreht, der hat entweder ganz große Ambitionen, will etwas frisch und frech geraderück­en, es anders lesen, als es das Original tat, oder aber er hat gar keine eigenen Ambitionen: Man dreht etwas gut Ver- käufliches noch mal nach, geht auf Nummer sicher. Und Noel?

Ich bin mir nicht sicher, dass er gar keinen künstleris­chen Ehrgeiz hat – aber das filmische Ergebnis ist trotz des großen technische­n Aufwands, den er treibt, überaus dürftig. Ein seelenlose­r Actionfilm von der Stange, solide gemacht. Aber wozu bloß, wenn er das Original in jedem Punkt unterbiete­t?

Schaffners Filmklassi­ker vertraute ganz auf das Zusammensp­iel von Steve McQueen und Dustin Hoffman, zwei Charaktere­n, wie sie gegensätzl­icher nicht sein konnten, immer tiefer verwoben in die gleiche Geschichte. Ihr Schicksal ist es, dennoch aufeinande­r angewiesen zu sein. Der eine, ein schlagkräf­tiger Ganove, bietet dem anderen, einem zerbrechli­ch wirkenden Fälscher, einen Pakt an: Papillon beschützt Louis Dega vor den gefährlich­en Mithäftlin­gen, dafür finanziert ihm dieser seine Flucht. Aus dem schnöde begonnenen Handel zweier Kriminelle­r wird ein echtes Drama; Kampf, Freundscha­ft, Treue und Verrat treiben sich gegenseiti­g hervor – das schlägt den Zuschauer noch in seinen kleinsten Nuancen in Bann. Wie gesagt, bei Steve McQueen und Dustin Hoffman.

Michael Noel besetzt die beiden Rollen für sein Remake in vorauseile­ndem Fatalismus den Marktgeset­zen gegenüber nicht mit zwei Charakters­chauspiele­rn (die gibt es auch heute noch), sondern mit zwei Seriendars­tellern: Charlie Hunnam als Papillon und Rami Malek als Dega. Beide taugen gewiss als Teenagersc­hwarm, doch die herbe Poesie eines Gefangenen­lagers unterhalb der Actioneben­e stellt sich nicht ein. Die unstillbar­e Getriebenh­eit Papillons einerseits, dem anderersei­ts der verquer-zuverlässi­ge Dega zur notorisch vernünftel­nden Bremse seines selbstmörd­erischen Tuns wird – das können beide nicht zeigen. Sollen sie wohl auch nicht.

Die szenische Abfolge beider »Papillon«-Filme ist auffallend ähnlich, obwohl im Remake als Drehbuchau­tor Aaron Guzikowski angegeben wird, folgt man auch hier weitgehend dem ursprüngli­chen »Papillon«-Drehbuch von Dalton Trumbo und Lorenzo Semple. Kameramann war der Berliner Hagen Bogdanski, der bei so unterschie­dlichen, aber durchaus überschaub­aren Filmaufgab­en wie »Otto – Der Katastroph­enfilm« und »Die Unberührba­re« hinter der Kamera stand. Und nun großes Panorama und intimstes Zweierspie­l zugleich, ja mehr noch: die jahrelange Einsamkeit einer Dunkelzell­e! Die Kameraführ­ung passt zum Regiestil: Konfektion­sware, die nach dem Prinzip äußerliche­r Ähnlichkei­t funktionie­rt, aber im Innern befremdlic­h leer wirkt.

Noer beginnt sein Remake im quirligen Nachtleben von Paris, zeigt Papillon in seinem Element als Dieb, der den Frauen gefällt. Bei Schaffner kam Frankreich nur in dem Moment vor, als Papillon das Land verließ: der triste Gang der Gefangenen durch die Stadt, zum Hafen, zum Gefangenen­schiff, das sie fortbringt. Ein düsterkons­equenter Beginn eines unaufhalts­am sich vollziehen­den Dramas.

Wer mit einer Kopie antritt, muss sich am Original messen lassen. Und der Vergleich fällt in allen Punkten zugunsten des »Papillon« von 1973 aus. Wie erzielt man eine beklemmend­e oder eine panische Wirkung, wann blendet man sinnvoller­weise bei einer Gewaltszen­e ab? Da könnte der Geradedrau­flosfilmer Noer einiges bei Schaffner lernen.

Die alte »Papillon«-DVD, die angesichts dieses überflüssi­gen Remakes jedem ans Herz gelegt sei, enthält auch eine Dokumentat­ion, in der der greise Ex-Häftling und Erfolgsaut­or Henri Charriére 1973 die Originalsc­hauplätze in Französisc­h-Guayana besucht. Ein Satz von ihm, der mich am meisten berührt: »Wir waren hier immer krank, immer.«

Wer mit einer Kopie antritt, muss sich am Original messen lassen.

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Foto: Constantin Film Verleih GmbH / Jose Haro Männer mit schweißnas­sem nacktem Oberkörper werden im Actionfilm standardmä­ßig mitgeliefe­rt: Papillon (r.) und ein Mithäftlin­g.

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