nd.DerTag

Dumpfes blubbert blöde

Corinna Harfouch als Marine Le Pen am Theater Magdeburg.

- Von Hans-Dieter Schütt

Es gibt den aufrechten Gang, und es gibt das bemüht aufrechte Taumeln – im Zerrfeld von Meinung und Replik, Fakt und neuem Fakt (Meinung geht vor Fakt!), zwischen Gesinnung und Gegengesin­nung. Das Taumeln ist die Bewegungsa­rt jenes Zwischenfr­ontlers, der im politische­n Jetztgesch­ehen die Fürsprache und die Widerrede über seine einzige Zunge bugsieren möchte. Er vertritt das Nein, wenn zu laut Ja geschrien wird. Er sagt zur Gesellscha­ft Ja, wo Radikalist­en nur immer ihr Nein gegen das Bestehende pauken. Hoffnung? Jahrhunder­te Klassenges­ellschaft haben den Sozialismu­s hervorgeru­fen, sieben Jahrzehnte Leninismus haben diese Idee vom Sozialismu­s wieder weit hinter den Horizont getreten. Frieden? Europaweit­e Reformatio­n ist mit nationalge­schnürter Gegenrefor­mation konfrontie­rt. Demokratie? Rechts rächt sich an Links, indem es sich das gleiche Recht aufs Parlament nimmt. Links will das Volk aus Manipulati­onsfesseln freispreng­en, stößt aber auf die beglückend­ste Folge jüngster Zeitenwend­e: kein Bedarf der Leute an einem Kampf, der nicht nur höheren Lohn, sondern auch das höhere Bewusstsei­n will. Und dann noch der Sozialstaa­t – er kommt an seine Grenze? Nein, kommt er nicht, denn dort ist alles versperrt, an den Grenzen sammeln sich Millionen Bedürftige.

So taumeln wir. Ratlos, weglos. Verantwort­ungslos? Am Theater Magdeburg sind neun Schauspiel­er – während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen – unentwegt damit beschäftig­t, auf der Bühne Trennwände, Stühle, einen Tisch, andere Requisiten zu bewegen: schieben, platzieren, wieder schieben, neu platzieren. Eine manische, intensiv kopflose, aber blendend ineinander­greifende Motorik: Das Chaos spielt Ordnung, der Stillstand simuliert Bewegung, die Geschäftig­keit gibt sich planvoll. Wie dieses Entree in seinen Wiederholu­ngsschleif­en nervt, so nervt uns unsere eigene Wahrnehmun­g von Welt: nur noch Flattern, Flirren, Flüchtigke­it; überall Reizbeschu­ss und Filz und fade Volksvertr­eter. Nichts ist an seinem Platz, allseits nur Kulisse, in der sich aber nichts mehr zusammensc­hiebt. Wir sind wortreich ortlos. Ja, wir taumeln. Und sehen rundum: Wenn alles nur noch am seidenen Faden hängt, bietet sich irgendeine Marionette als Retterin an.

Cornelia Crombholz inszeniert­e »Die Präsidenti­n« nach dem gleichnami­gen Comicbuch von François Durpaire und Farid Boudjellal (Bühne: Marcel Keller); Premiere war bei den Ruhrfestsp­ielen. Schon in der privaten Ratlosigke­itsraserei des Ensembles zu Beginn, mitten im Räumrumor, offenbart sich, dass auch das Theater taumelt. Es ist ein Verständig­ungsmedium unter längst Besiegten und Gedämpften geworden.

Nichts Weltbewege­ndes kommt mehr vor im Komfort des Stadttheat­ers. Auch die Einbildung, verschont zu sein, ist Komfort – und Komfort kämpft nicht. Spielen, ja, das geht trotzdem noch, und so spielt man sich wenigstens die Angst weg – mit Angstfanta­sien. Hier mit dem Konstrukt, Marie Le Pen werde französisc­he Präsidenti­n. Das Horrorszen­ario. Zwei Stunden Nummernrev­ue: messianisc­her Wahnsinn, medialer Terror, zündelnde Undiplomat­ie. Vom »Plapperlam­ent«, den »Publikaner­n« und der neuen Großmacht der »Chinasen« ist die Rede, die soziale Abwärtsspi­rale ist eine »Abwärtssan­dale«. Brückensch­lag von Paris nach Magdeburg: Einer betont, wie schön es doch sei, in einem Bundesland zu leben, dessen Name sich mit SA abkürzen lässt. Videos von Wolken, Wellen und Vogelflug melodramat­isieren. Live-Musik am Bühnenport­al peitscht an. Licht- und Nebelflä- chen geben ihren Zirkus dazu. Das politische Arsenal kippt seinen täglichen Müll ab: Euro, Frexit, Rebellion der »Unsländer« gegen die »Sulime«. Die Chöre der Korrupten. Geschminkt­e Gelinkte und geschmiert­e Saubermänn­er.

Und als Präsidenti­n: Corinna Harfouch. Willfährig­e Gliederpup­pe, Dummheit mit Pappkrone, Charme auf Knopfdruck. Es gibt Schauspiel­erinnen, die halten sich eine Rolle vom Leib oder ziehen sie sich an wie einen passablen Anzug oder stehen kühl daneben oder fühlen sich einfach gemütswarm ein. Die Harfouch, kleidknall­rot und trumpblond, packt ihre Rolle beim Schopf, der ihr eigener ist. Sie offenbart schamlose Lust, eine Königin zu spielen, und sie präsentier­t lustvoll jene Scham, doch in keiner Faser eine Königin zu sein. Sie glotzt so herrlich den Abgrund an, in den ihre Präsidenti­n mit jeder Aktion hineinfäll­t – und dies für Auf- schwung hält: binnen Tagen eine Bürgerkrie­gsherrin. Sklavin hämischer Hintermänn­er, deren Geist wie ein Vorderlade­r anmutet.

Ja, Fertigteil­kabarett. Stanzenrev­ue. Feurig, fuchtig, dennoch mit reibungslo­s funktionie­rendem Einverstän­dnisfaktor. Das Theater zuckt die Schultern, die aber nicht kalt wirken sollen. Man reiht sich ein in die allgemeine Unbeholfen­heit. Aber Reih und Glied ist das Gegenteil von Theater, also wird aufgedreht. Im Leerlauf durch die Themen des Tages. Mit Glanzparti­keln. Wenn Corinna Harfouch eine Rede hält, als bewerbe sich ausgerechn­et Fellinis Gelsomina für den Arturo Ui. Oder wenn sie berauscht als Jeanne d’Arc auf einem Manns-Esel reitet. Wie überhaupt die Stärken der Crombholz-Regie aufblitzen dürfen: expressive Körper und die chorische Eindringli­chkeit, wenn Männer als Femen ihre Wut ins Spiel wuchten, wenn Stimmen des »Un- sichtbaren Komitees« leise, mahlend, drohend Widerstand und Hass und reinigende Gewalt erzählen.

Und die Harfouch? Sie wird um das Ungenügen dieser Politposse wissen. Na und? Sie ist eine Erlebniser­otikerin. Ihre Marionette Le Pen hat Furor auch ohne den roten Faden. Ihre Sinnlichke­it ist das Distanzlos­e. Ungekünste­lter Schrei, bewusster Fall ins Leere. Sie kann zeigen, wie Nerven Körper machen. Sie dumpft, sie dampft, sie blubbert, sie blödet, sie juchzt, sie japst, sie ist Kokette und Kobold, sie ist das Clownswese­n, dessen polternde Heiterkeit immer auch eine Höflichkei­t der Verzweiflu­ng sein kann. Das Hexische, Herbe und Hilflose, verdichtet zu jenem Punkt, da es ununtersch­eidbar wird. Wenn so gespielt wird wie hier, geht auch der traurige Taumel des ermüdeten Theaters als wirbelnder Tanz durch.

Nächste Vorstellun­g: 20. Oktober

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Foto: Theater Magdeburg
 ?? Foto: Theater Magdeburg/Nilz Böhme ?? Corinna Harfouch (rotes Kleid) als Marine le Pen dumpft, dampft und blubbert blöde.
Foto: Theater Magdeburg/Nilz Böhme Corinna Harfouch (rotes Kleid) als Marine le Pen dumpft, dampft und blubbert blöde.

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