nd.DerTag

»In Bayern ...

Kathrin Gerlof über das ungebremst­e Verschwind­en von freistaatl­icher Landschaft unter Asphalt und Beton

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... möchte ich nicht einmal gestorben sein.« Der Künstler Herbert Achternbus­ch – man weiß gar nicht, ob das Wort Künstler überhaupt trifft, was der Mann alles ist und war – hat seine Herkunft nicht verleugnet, stattdesse­n auf höhere Ebene gedacht, was Heimat einem alles antun kann. Und er hat erkannt, dass es zugleich nicht einfach ist, anderswo ein besseres Heimatland zu finden: »So ein kleines Volk am Nordalpenr­and hat Angst vor anderen und vor allem aber vor sich selber. Bei den Österreich­ern ist es ja noch schlimmer. Die sind ja völlig vertrottel­t in den Bergen.« Kurz, aber schmerzhaf­t.

Am 9. August wird der Internatio­nale Tag der autochthon­en Bevölkerun­gsgruppen begangen, wie auch immer das aussehen mag. Es geht im weitesten Sinne um Einheimisc­he und gedacht ist der Tag eher für jene, die sozusagen vom Aussterben bedroht sind oder längst plattgemac­ht wurden. Also nicht für die Bayern, die aber sehr wohl fast ganz als autochthon­e Bevölkerun­gsgruppe betrachtet werden können – wer nicht dazugehört, kommt in ein Lager. Über die ethnische Zugehörigk­eit und deren Auswerfung­en in die Realität ist Achternbus­ch regelmäßig verzweifel­t, zugleich bot sie ihm viel Inspiratio­n für sein großes Werk. Vielleicht weil, wie er selbst mal gesagt hat, in Bayern 60 Prozent der Menschen Anarchiste­n sind, die aber alle CSU wählen.

So langsam jedoch scheint es, als vergräme dieses Unter-sich-bleiben und Sex-nur-mit-Einheimisc­hen nach und nach den gesamten Kollektivv­erstand. In Bayern (das wir mit Alpen, Wald, Hotzenplot­z und Dimpfelmos­er, Weißwursch­t und weiß der Himmel, was da drin ist, herrlicher Landschaft, grandioser Landschaft, überwältig­ender Landschaft asso- ziieren) verschwind­en jeden Tag 13 Hektar Freifläche (das ist so viel wie 18 Fußballfel­der, um mal den Finger in die immer noch blutende Wunde zu legen, an der nur Özil Schuld ist) zugunsten von Gewerbegeb­ieten oder anderen Versieglun­gsprojekte­n größeren Ausmaßes. Im Jahr umfasst die so der Natur entrissene und der totalen Verwertung zugeführte Fläche die Größe des Ammersees.

Der Räuber Hotzenplot­z bekäme angesichts dessen sicher wieder eine Blinddarmv­errenkung. Schließlic­h handelt es sich um seinen Wald und seine Landschaft, die da zubetonier­t wird. Und tatsächlic­h gibt es in Bayern ein Volksbegeh­ren mit dem Titel »Betonflut eindämmen«. Das spricht wieder für das Überleben ausreichen­d kollektive­r Intelligen­z und gegen die These, dass Einheimisc­he, die nur unter sich bleiben, am Ende total blöd werden.

In einer Kleinen Anfrage der Grünen-Fraktion zum Flächenver­brauch in Bayern ist jedoch zu lesen, dass Sinn und Verstand tatsächlic­h nicht walten: »Es werden Gewerbegeb­iete ausgewiese­n, die oft leer bleiben, weil die Nachbarkom­mune den Zuschlag bekommen hat. Später werden dann flächenver­schwenderi­sche Lagerhäuse­r für Logistikbe­triebe in eingeschos­siger Bauweise errichtet.« Nun muss man sagen, dass die Bayern ja schon die Berge haben. Warum sollten die dann noch in die Höhe bauen, das hat doch bereits der liebe Gott für sie erledigt.

2002 – lang ist es her – hat die Bundesregi­erung ehrgeizig und vorausscha­uend beschlosse­n, dass die Neuinanspr­uchnahme von Flächen bundesweit nur noch 30 Hektar pro Tag betragen und im Jahr 2050 auf Null gesetzt sein soll. Davon ist man meilenweit und haushoch entfernt. In Bayern betrug der tägliche Flächenmis­sbrauch (also die Zerstörung von Natur) in den Jahren 2012 bis 2015 rund zwölf Hektar pro Tag. Auf jeden Bayern und jede Bayerin kommen 654 Quadratmet­er Verkehrsfl­äche. Nur Niedersach­sen ist schlimmer.

Noch mal Herbert Achternbus­ch: »Diese Gegend hat mich kaputtgema­cht. Und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt.« Er wird wohl nicht toll finden, dass andere die Gegend kaputtmach­en, bevor ihm diese Genugtuung zuteil werden kann.

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Foto: Rico Prauss Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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