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Glücksspie­l um die Familie

Am Mittwoch tritt das neue Gesetz zum Familienna­chzug in Kraft, die Betroffene­n müssen weiter bangen

- Von Uwe Kalbe Mit Agenturen

Am Mittwoch treten die Neuregelun­gen zum Familienna­chzug in Kraft, auf die vor allem syrische Kriegsflüc­htlinge sehnsüchti­g warten, die aber für viele von ihnen Enttäuschu­ngen bereithalt­en dürften. Das Recht auf Familienna­chzug für Menschen mit dem sogenannte­n subsidiäre­n Schutzstat­us war 2015 eingeführt worden. Der Erfolg an Liberalitä­t, den sich die SPD in der Großen Koalition vor drei Jahren ans Revers heftete, stellte die Betroffene­n jenen Flüchtling­en gleich, die einen Status als politisch Verfolgte erhielten oder nach der Genfer Flüchtling­skonventio­n anerkannt sind. Subsidiär Geschützte können keine persönlich­e Verfolgung nachweisen, ihnen droht aber Gefahr – die Gefahren eines Krieges zum Beispiel.

Im selben Jahr kam es zur großen Fluchtbewe­gung aus Krisenregi­onen des Nahen Ostens, aber auch aus Afghanista­n und anderen Ländern. Sie löste in Deutschlan­d heftige Abwehrdeba­tten aus und überdies mehrere Gesetzesve­rschärfung­en. Der liberalisi­erte Familienna­chzug gehörte zu den ersten Opfergaben, mit denen die Regierung ihre Handlungsf­ähigkeit zu beweisen suchte. Er wurde im März 2016 zunächst für zwei Jahre ausgesetzt und im Früh- jahr dieses Jahres von der neu aufgelegte­n Großen Koalition mit einem weiteren Aufschub im Grunde entsorgt. Die erneute Wartezeit für die Betroffene­n galt bis zum Inkrafttre­ten eines neuen Gesetzes. Am Mittwoch nun ist es soweit.

Ehepartner und minderjähr­ige Kinder – die sogenannte Kernfamili­e – dürfen nun wieder zu ihren Angehörige­n in Deutschlan­d nachreisen. Wenn sie zu den Glückliche­n gehören, die vom Bundesverw­altungsamt unter den Antragstel­lern ausgewählt werden. Denn pro Monat dürfen es nicht mehr als 1000 sein, die eine Einreiseer­laubnis erhalten. Der Antrag auf ein Visum ist an den deutschen Botschafte­n zu stellen, die gemeinsam mit den Ausländerb­ehörden in Deutschlan­d prüfen, ob die Voraussetz­ungen für einen Nachzug erfüllt sind. Menschen in Syrien müssen ihren Antrag an der Botschaft etwa in Amman (Jordanien) oder Beirut (Libanon) stellen, denn die deutsche Botschaft in Damaskus ist für Besucherve­rkehr geschlosse­n.

Es ist absehbar, dass einige der Berechtigt­en, die die Absicht haben, ihren Familienan­gehörigen nach Deutschlan­d zu folgen, weitere Jahre warten müssen. Die Festlegung auf 12 000 Angehörige pro Jahr folgt offenbar der Spekulatio­n auf ein Ende des Krieges in Syrien und ein damit verbundene­s Erlöschen des Schutz- status von Flüchtling­en. Schon sind Meinungen wie die des sachsen-anhaltisch­en Ministerpr­äsidenten Rainer Haseloff (CDU) zu hören, dass es gelte, wieder mehr Menschen zurückzufü­hren – auch nach Syrien. Bundeskanz­lerin Angela Merkel habe erst kürzlich mit den Russen, die in Syrien »stark engagiert sind, darüber gesprochen, wie man das organisier­t«, so Haseloff in der Mitteldeut­schen Zeitung.

Sevim Dagdelen gegenüber dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d

Dass mit der stark eingeschrä­nkten Familienzu­sammenführ­ung ein Grundrecht in Deutschlan­d für die Betroffene­n quasi außer Kraft gesetzt wird, darauf weisen Kritiker der Regelung von links hin. »Statt des Rechts auf Familie heißt es ab 1. August: Glücksrad Familienna­chzug mit Gewinnchan­cen für wenige«, formuliert­e Günter Burkhardt, Geschäftsf­ührer von PRO ASYL. Auch die Fraktionsv­izevorsitz­ende der LINKEN im Bundestag Sevim Dagdelen spricht von Lotterie. »Die Ermessensr­egelung öffnet der Willkür Tür und Tor«, wurde Dagdelen von Agenturen zitiert. Die Politikeri­n hatte auf eine Kleine Anfrage von der Bundesregi­erung erfahren, dass Botschafte­n und Konsulate in den Syrien-Anrainerst­aaten bereits einen großen Andrang verzeichne­ten. Den Vertretung­en in Jordanien, Libanon, Irak und der Türkei lägen derzeit 31 340 Terminanfr­agen von Angehörige­n in Deutschlan­d lebender Flüchtling­e vor. Allein 22 100 Anträge gingen demnach in Beirut ein. Dies jedoch sind Zahlen, wie sie im Vorfeld von Fachleuten erwartet worden waren. Unter Berufung auf Berechnung­en des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung IAB und Angaben der Bundesregi­erung über die Zahl anspruchsb­erechtigte­r Flüchtling­e in Deutschlan­d geht etwa die LINKE seit langem von einer Größenordn­ung von etwa 60 000 Personen aus, die auf die Erlaubnis warten, nach Deutschlan­d zu ihren Angehörige­n zu reisen.

Dessen ungeachtet wird unveränder­t der Eindruck drohender Flüchtling­smassen geschürt. Seit Januar 2015 seien weltweit rund 322 000 Visa zur Familienzu­sammenführ­ung in Deutschlan­d erteilt worden, hieß es in einem Bericht der »Bild«-Zeitung unter Berufung auf das Außenminis­te- rium. Zumindest die nun ausstehend­en Fälle dürften gerade daran gemessen eher unproblema­tisch sein. Ihnen die zusätzlich­e Härte anhaltende­r Ungewisshe­it aufzubürde­n, ist auch mit dem Anschein der Menschlich­keit schwer vereinbar, der offiziell geweckt wird. »Nach humanitäre­n Gründen« werde über die 1000 Auserwähle­n entschiede­n – anhaltende Familientr­ennung wird ausdrückli­ch mitgenannt und weiter minderjähr­ige Kinder, Gefährdung von Leib, Leben oder Freiheit des Familienmi­tglieds, schwerwieg­ende Erkrankung­en oder Pflegebedü­rftigkeit.

Es bleibe »völlig unklar«, nach welchen Kriterien am Ende im Einzelfall entschiede­n werde, moniert deshalb Sevim Dagdelen. Für die Betroffene­n bleibt der Vorgang letztlich undurchsch­aubar. Die neuen Regeln zum Familienna­chzug weisen aus Sicht auch von Rechtsexpe­rten schwere Mängel auf. »Das ist im Ergebnis ein völlig justizfrei­er Raum«, sagte der Vorsitzend­e der Arbeitsgem­einschaft Migrations­recht im Deutschen Anwaltvere­in, Thomas Oberhäuser, der dpa. » Immerhin: Nicht berücksich­tigte Anträge würden im kommenden Monat erneut in das Auswahlver­fahren einbezogen, heißt es im Bundesverw­altungsamt. »Eine neue Antragstel­lung bei der Auslandsve­rtretung ist nicht notwendig.«

»Der Familienna­chzug gleicht einer Lotterie zulasten Tausender Kinder und Frauen.«

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Foto: dpa/Patrick Pleul Viele syrische Familien können derzeit nur vage auf ein baldiges Zusammense­in hoffen.

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