nd.DerTag

Hartz IV zum Fremdschäm­en

- Johanna Treblin über die RTL-Sendung »Zahltag«

Angekündig­t ist es als Sozialexpe­riment. Drei Familien sollen »einen Koffer voller Chancen« bekommen, um aus dem HartzIV-Bezug herauszuko­mmen. Doch allein die Ankündigun­g ist schon zynisch, suggeriert sie doch, dass eine Familie, die auf einen Schlag 25 000 Euro in die Hand gedrückt bekommt, eine reelle Chance hätte, ihr Leben umzukrempe­ln. Die hätte sie vielleicht, wenn von den 25 000 Euro nicht auch noch die Lebenshalt­ungskosten für vier Personen zu bestreiten wären.

Die RTL-Sendung »Zahltag« startet also bereits mit einer unmögliche­n Bedingung und gaukelt zumindest während der ersten beiden Folgen – die dritte wird erst am Dienstag ausgestrah­lt – den Zuschauern vor, dass die Familien es selbst in der Hand hätten, die staatliche­n Leistungen hinter sich zu lassen und neue Wege einzuschla­gen.

Dabei führen sie die Familien überall vor, wo es nur geht. Statt ihre Privatsphä­re Privatsphä­re sein zu lassen, läuft die Kamera auch beim Ehekrach mit, und so erfahren die Zuschauer unter anderem, wie oft eines der Paare noch Sex hat. Und immer wieder fließen Tränen. Ein Jahr wurden die Familien angeblich begleitet, dass gerade diese Szenen für die Ausstrahlu­ng ausgewählt wurden, ist natürlich kein Zufall. Dass Hartz-IV-Beziehern keine Privatsphä­re zusteht, zeigt RTL auch, indem die sogenannte­n Experten einfach in Schlafzimm­er hineinplat­zen.

Die RTL-Sendung bedient alle Klischees vom faulen, ungewasche­nen Hartzer, der nicht arbeiten will, obwohl er kann. (Nicht, dass von RTL Systemkrit­ik zu erwarten gewesen wäre.) Jeder, dem das Gefühl des Fremdschäm­ens bekannt ist, dürfte die Sendung kaum ertragen. Allein schon der Experten wegen, die auch den größten Blödsinn ungeschnit­ten hinausplap­pern dürfen.

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Foto: nd/Ulli Winkler

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