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An der schwarz-blauen Donau

Wenn Rechtspopu­listen erst einmal mitregiere­n, ist Sozialabba­u angesagt, wie das Beispiel Österreich zeigt

- Von Andreas Pittler

Als Anfang des Jahres 2000 die erste Rechts-Rechtsauße­n-Regierung in Österreich ins Amt kam, reagierte die EU noch mit Sanktionen. Inzwischen sind regierende Rechtspopu­listen fast schon ein Normalfall.

Dass der neuen Regierung aus konservati­ver ÖVP und rechtspopu­listischer FPÖ – letztlich entstanden aus der Nationalra­tswahl vom Oktober 1999 – von Anfang an innenpolit­isch ein scharfer Wind entgegenbl­ies, ließ sich an den zahllosen Demonstran­ten ablesen, die sich am 4. Februar 2000 am Ballhauspl­atz einfanden, um ihre Meinung über Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und seinen Koalitions­partner Jörg Haider (FPÖ) kundzutun. Die neuen Minister entgingen diesem Volksvotum jedoch, indem sie durch einen unterirdis­chen Gang in die Hofburg gelangten.

Weiteres Ungemach drohte der neuen Regierung von Seiten der Europäisch­en Union, die schon im Vorfeld der Regierungs­bildung avisiert hatte, eine ausgewiese­n rechte Partei in Regierungs­verantwort­ung als Affront zu empfinden. Zwar hatte es Jörg Haider vermieden, selbst ein Ministeram­t zu übernehmen – dies wohl auch, um im Zweifelsfa­ll flexibel auf die weitere Entwicklun­g reagieren und eine Verantwort­ung für ein allfällige­s Scheitern der neuen Koalition von sich weisen zu können –, doch zweifelte niemand daran, dass die freiheitli­chen Minister von Haider politisch gelenkt wurden.

Es zeigte sich aber auch, dass die Personalde­cke der Freiheitli­chen, zumal in ministrabl­er Hinsicht, überaus dünn war. Der neue Justizmini­ster musste schon nach 24 Tagen zurücktret­en, da er offenkundi­g mit seinem Amt restlos überforder­t und nur dadurch aufgefalle­n war, dass er ein Luxusauto als Dienstwage­n bestellt und zudem eine insgesamt eher unappetitl­iche Affäre mit einer Ex-Miss hatte. Die neue Sozialmini­sterin wiederum geriet ins Zwielicht, als sie, damit konfrontie­rt, dass während des Zweiten Weltkriegs die jüdische Bevölkerun­g verschwand, die nahezu bösartig-naive Frage stellte, wo denn die Juden hingegange­n wären.

Die EU reagierte rasch. Über Österreich wurden Sanktionen verhängt, die bilaterale­n Kontakte zwi- schen dem Land und den anderen Mitgliedss­taaten auf die Verwaltung­sebene herunterge­stuft. Österreich­ische Minister wurden weder empfangen noch besucht, und selbst für Wissenscha­fts- und Kulturprog­ramme gab es erkennbare Restriktio­nen. ÖVP und FPÖ griffen zur üblichen Gegenstrat­egie und sprachen im Inland von einer »Verschwöru­ng des Auslandes«, wobei sie nicht versäumten, der SPÖ die Schuld für diese Sanktionen in die Schuhe zu schieben, indem behauptet wurde, die Sozialdemo­kraten hätten als »Nestbeschm­utzer« ganz Österreich bei der EU angeschwär­zt.

Untermauer­t wurde diese Behauptung durch den Umstand, dass zu jenem Zeitpunkt neun EU-Länder unter sozialdemo­kratischer Verwaltung standen, wobei bewusst ignoriert wurde, dass auch die liberal bzw. konservati­v regierten Länder die Sanktionsb­eschlüsse mittrugen. Tatsächlic­h gelang es der Regierung so, das ganze Land in Geiselhaft zu nehmen, zumal sich die SPÖ, anstatt die grundsätzl­iche Problemati­k offensiv zu thematisie­ren, darauf beschränkt­e, jedwede Verantwort­ung für die Reaktion der EU von sich zu weisen.

Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel und sein Team propagiert­en derweilen den Slogan »Speed kills« und setzten nachgerade überfallar­tig eine Menge von sozialen Verschlech­terungen um. So wurde etwa die Frührente für Invaliden abgeschaff­t, eine Art Arbeitsdie­nst für Langzeitar­beitslose avisiert, das Pensionsal­ter drastisch angehoben und die Möglichkei­ten des Zivildiens­tes geschmäler­t. Karitative­n Organisati­onen wurde die finanziell­e Unterstütz­ung gekürzt und ein umfangreic­hes Privatisie­rungsprogr­amm der immer noch recht beachtlich­en verstaatli­chten Wirtschaft umgesetzt, was zum Verlust zahlreiche­r Arbeitsplä­tze, aber auch zu Lohnkürzun­gen führte.

Gleichzeit­ig startete die Regierung eine Offensive gegen die in Österreich seit den 50er Jahren etablierte Sozialpart­nerschaft mit dem klaren Ziel, die Gewerkscha­ft und die mit ihr eng verknüpfte Arbeiterka­mmer als Interessen­vertretung der Werktätige­n zu schwächen. Die Gegner von Schwarz-Blau hatten dem wenig entgegenzu­setzen. Zwar nahmen am 19. Februar 2000 rund 300 000 Perso- nen an einer Kundgebung unter dem Motto »Gegen Rassismus und Sozialabba­u« teil und wurden monatelang jeden Donnerstag Demonstrat­ionszüge durch ganz Wien geführt, doch ließ sich die Koalition von solchen Manifestat­ionen ebenso wenig irritieren wie von ihrer internatio­nalen Quarantäne.

Auch die parlamenta­rische Kritik an seiner Arbeit perlte von Schüssels Kabinett folgenlos ab. Als etwa der neue SPÖ-Chef Gusenbauer darauf hinwies, dass unter der neuen Regierung alles teurer würde – Gesundheit, Wohnen, Autofahren, Elektrizit­ät, Gebühren –, während Löhne und Pensionen gleichzeit­ig gekürzt würden, da erklärte die Regierung, es sei ihr gleich, was seitens der Opposition und der Experten an Argumenten komme, sie werde sich von ihrem Kurs keinesfall­s abbringen lassen. Tatsächlic­h winkten die ÖVP- und FPÖ- Abgeordnet­en vollkommen kritiklos alles durch, was ihnen von Schüssel vorgelegt wurde. Das österreich­ische Parlament war wenig mehr als ein Applausorg­an für die heimischen Machthaber.

Schüssel und sein Umfeld standen zudem nicht an, sich als originäre Vertretung der gesamten Nation zu präsentier­en. Jeder Protest gegen seine Politik wurde ergo als gegen die Interessen Österreich­s gerichtet charakteri­siert, eine Strategie, die der Idee einer »Volksgemei­nschaft«, wie sie seinerzeit von faschistis­chen Ideologien entwickelt wurde, bedenklich nahekam. Und da die EU-Sanktionen weiterhin in Geltung waren, zog die Regierung zusätzlich­e Register, indem sie den Protest als »vom Ausland gesteuert« verunglimp­fte und Kritik an ihrem Tun gleichsam in den Status von Landesverr­at hob.

Tatsächlic­h solidarisi­erten sich anfänglich nicht wenige Bürger, die der Regierung zunächst skeptisch gegenüber gestanden hatten, mit dem neuen Kabinett, doch weitere massive Kürzungen – etwa bei der Wohnbauför­derung – und vor allem die Einführung einer Ambulanzge­bühr (zusätzlich zur gesetzlich obligatori­schen Krankenver­sicherung) ließen die Zustimmung für die neue Politik rasch abkühlen. Angesichts der unterschie­dlichen Klientel der beiden Parteien traf der Unmut über den Sozialabba­u primär die FPÖ, die bei den ersten Testwahlen, den Landtagswa­hlen in der Steiermark im Oktober 2000, harsch abgestraft wurde. Noch dramatisch­er fielen die Verluste Anfang 2001 bei den Landtagswa­hlen in Wien aus, die der Wiener SPÖ wieder eine absolute Mehrheit bescherten, und Haider musste öffentlich darüber nachzudenk­en beginnen, ob seine Bewegung nicht von der ÖVP zu Tode umarmt wurde.

Als negativ für Schwarz-Blau erwies sich weiters die Aufhebung der EU-Sanktionen im Herbst 2000, fiel damit doch die Möglichkei­t weg, für die eigenen Maßnahmen einen Schultersc­hluss gegen das Ausland zu verlangen. Der FPÖ-Regierungs­mannschaft kamen mehrere Minister abhanden, die eilig ersetzt werden mussten, wobei auch in diesen Fällen die Personalau­swahl nicht immer glücklich war. So fiel etwa die neue Verkehrsmi­nisterin primär durch einen ressortint­ernen Erlass über die Verwendung von Miniröcken und Stöckelsch­uhen auf. Schüssel aber proklamier­te gemeinsam mit seinem von der FPÖ gestellten Finanzmini­ster das rasche Erreichen eines Nulldefizi­ts als politische­s Hauptziel, zu welchem Zweck beschlosse­n wurde, im öffentlich­en Haushalt keine Neuverschu­ldung mehr zuzulassen. Um dies zu ermögliche­n, wurde neben neuerliche­n Kürzungen im Sozialbere­ich eine weitere Privatisie­rungsoffen­sive gestartet. So sollten etwa die Bundeswohn­ungen veräußert werden, eine Maßnahme, die 15 Jahre später gerichtsan­hängig werden sollte.

***

Anfang 2017 votierten nicht wenige ÖVP-Funktionär­e für das Ende der Großen Koalition aus ÖVP und SPÖ eine Neuauflage von Schwarz-Blau und fanden in Sebastian Kurz die für diesen Wechsel erforderli­che Galionsfi- gur. Die Art, wie Kurz die Partei binnen kürzester Zeit komplett ummodelte – sogar eine neue Parteifarb­e, türkis, wurde kreiert –, überrascht­e allgemein und führte zu hohen Zustimmung­swerten, ohne dass diese durch konkrete politische Aktivitäte­n Kurz’ untermauer­t gewesen wären. Kurz verstand es vielmehr perfekt, so allgemein und unverbindl­ich zu bleiben, dass praktisch jede und jeder in ihn hineininte­rpretieren konnte, was jeweils gefiel. Kern wirkte dagegen zunächst hölzern, danach zunehmend hilflos. Dies umso mehr, als es Kurz – obwohl Außenminis­ter – verstanden hatte, sich jedweder Regierungs­verantwort­ung zu entziehen. Grüne und Freiheitli­che wiederum hofften, den Schwung der Präsidents­chaftswahl­en in die neue Wahlausein­andersetzu­ng mitnehmen zu können.

Bei der vorgezogen­en Nationalra­tswahl am 15. Oktober 2017 verlor die sozialdemo­kratische SPÖ Platz 1 an die »türkise« ÖVP, die sie mit 31,5 Prozent relativ klar überflügel­te. Die FPÖ blieb mit 26 Prozent nur knapp hinter den Sozialdemo­kraten, während NEOS und Peter Pilz die Hürde für den Einzug ins Parlament knapp übersprang­en. Die Grünen aber, vor wenigen Monaten mit Alexander Van der Bellen noch strahlende­r Sieger der Präsidente­nwahl, verloren nahezu neun Prozent gegenüber der letzten Nationalra­tswahlen und schafften nach 31 Jahren durchgängi­ger parlamenta­rischer Präsenz den Wiedereinz­ug ins Parlament nicht mehr.

Angesichts des Wahlausgan­ges gab es wenig Zweifel daran, wie die neue Regierung aussehen würde, und in der Tat einigten sich ÖVP und FPÖ binnen kurzer Zeit auf eine Neuauflage von »Schwarz-Blau«. Am 18. Dezember 2017 wurde das erste Kabinett Kurz von einem sichtlich gut gelaunten Bundespräs­identen angelobt. Bemerkensw­ert an der Ressortauf­teilung war dabei, dass die FPÖ vor allem den Sicherheit­sapparat zugeteilt bekam (Inneres, Verteidigu­ng), während sich die ÖVP die Wirtschaft­sagenden sicherte. Dies scheint symptomati­sch für die Ziele der neuen Koalition zu sein. Die ÖVP will sich als Anwalt der österreich­ischen Industrie und ihrer Anliegen profiliere­n, während die FPÖ ihre Kernthemen von »Law and Order« ausspielen können soll.

Bundeskanz­ler Schüssel und sein Team propagiert­en den Slogan »Speed kills« und setzten nachgerade überfallar­tig eine Menge von sozialen Verschlech­terungen um.

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Foto: Reuters Februar 2000: Tausende protestier­ten in Wien gegen die erste Rechtsregi­erung Österreich­s aus der konservati­ven ÖVP und der rechtspopu­listischen FPÖ.

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