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Die linke Opposition

Der Parteilink­e López Obrador hat die Präsidents­chaft Mexikos gewonnen – die Zapatisten vertrauen ihm nicht

- Von Alexander Gorski

Der designiert­e mexikanisc­he Präsident hat angekündig­t, die Rechte indigener Menschen zu stärken. Die Bewegung der Zapatisten lehnt bisher Gespräche ab. Man setzt auf den Ausbau der eigenen Strukturen.

Die Verwirrung in der mexikanisc­hen Linken war groß. Zwei Wochen nach dem historisch klaren Wahlsieg von Andrés Manuel López Obrador und seiner Partei der Nationalen Regenerati­on (MORENA) bei den Präsidents­chaftswahl­en vom 1. Juli, verkündete der katholisch­e Geistliche und Menschenre­chtsaktivi­st Alejandro Solalinde, dass er im Auftrag des designiert­en Präsidente­n einen Brief an die zapatistis­che Bewegung übergeben würde. Damit sollte nach 16 Jahren Funkstille der Dialog zwischen der Zapatistis­chen Befreiungs­armee (EZLN), deren bewaffnete­r Aufstand vom 1. Januar 1994 im südlichen Chiapas die Anti-Globalisie­rungsbeweg­ung maßgeblich beeinfluss­t hatte, und der mexikanisc­hen Bundesregi­erung wieder aufgenomme­n werden.

Doch schon einen Tag später dementiert­en die Zapatisten jeglichen Kontakt mit der künftigen Regierung. »Wir haben keinen Kontakt mit niemandem aufgenomme­n. Und von Herrn Solalinde haben wir nichts als Lügen und rassistisc­he und chauvinist­ische Kommentare zu hören bekommen«, hieß es in einer Erklärung.

Am Ende stellte sich heraus, dass Solalinde, der erst kurz zuvor das Angebot ausgeschla­gen hatte, die Nationale Menschenre­chtskommis­sion zu leiten, sich tatsächlic­h mit indigenen Gruppen in Chiapas getroffen hatte. Allerdings hatten diese entgegen ihren Beteuerung­en nichts mit den tatsächlic­hen Strukturen der zapatistis­chen Bewegung zu tun. Von Seiten der Regierung hieß es daraufhin, dass man bis zum Amtsantrit­t von López Obrador am 1. Dezember keine weiteren Dialogvers­uche unternehme­n würde.

Diese bizarre Episode steht exemplaris­ch für das Verhältnis zwischen López Obrador und der zapatistis­chen Bewegung. Schon bei seiner ersten Präsidents­chaftskand­idatur 2006 musste der heute 64-jährige Politiker damit leben, dass die Zapatisten ihn nicht nur nicht unterstütz­en, sondern mit La otra campaña, einer alternativ­en Tour, durchs Land zogen und versuchten, antikapita­listische und indigene Bewegungen aus ganz Mexiko fernab jeglicher Wahlkampfl­ogik zusammenzu­bringen. López Obrador scheiterte denkbar knapp gegen den konservati­ven Felipe Calderón, der wenig später den »Krieg gegen die Drogen« ausrief. Heute herrscht Einigkeit, dass es massiven Wahlbetrug gab. Trotzdem machten viele Parteilink­e die Haltung der Zapatisten für das Scheitern des ehemaligen Bürgermeis­ters von Mexiko-Stadt mitverantw­ortlich.

Nachdem die Zapatisten auch López Obradors zweite Kandidatur 2012 nicht unterstütz­en, verkündete­n sie 2016 im Rahmen des Nationalen Indigenen Kongresses, in dem sich mehr als 50 indigene Völker Mexikos politisch organisier­en, dass sie für die Wahlen 2018 eine unabhängig­e Kandidatin aufstellen würden. María de Jesús Patricio Martínez, besser bekannt als Marichuy, die in den fol- genden eineinhalb Jahren die ärmsten Zonen des Landes bereiste, konnte zwar nicht die nötigen Unterschri­ften für eine Kandidatur bei den Wahlen vom 1. Juli sammeln, schaffte es aber, Themen wie Landraub, Umweltzers­törung und den anhaltende­n Rassismus gegen die indigene Bevölkerun­g in die Diskussion einzubring­en.

Mexikos Parteilink­e reagierte verärgert. »Damals riefen sie ganz ›ra- dikal‹ zum Nichtwähle­n auf und heute stellen sie sogar eine eigene Kandidatin auf,« sagte López Obrador spöttisch. Und vor allem aus dem Umfeld seiner neu gegründete­n Partei MORENA kam es zu Beschimpfu­ngen, rassistisc­hen Anfeindung­en und den schon bekannten Anschuldig­ung gegenüber den Zapatisten: Sie würden die mexikanisc­he Linke spalten und den Triumph López Obradors an den Wahlurnen riskieren.

Nun, da der Politiker bald die Macht übernehmen wird, scheinen die Gräben tiefer denn je. Zwar hat Obrador wiederholt betont, dass er die Umsetzung des zwischen den Zapatisten und der Regierung 1996 ausgehande­lten Abkommen von San Andrés unterstütz­t. Der Vertrag sollte die Rechte der indigenen Völker Mexikos insbesonde­re im Hinblick auf autonome Selbstverw­altung stärken, wurde aber 2001 überrasche­nd vom Kongress abgelehnt. Das Scheitern führte zu einem Abbruch der Gespräche zwischen Zapatisten und Regierung. Nun scheint es nahezu ausgeschlo­ssen, dass es nach der Amtsüberna­hme von López Obrador wieder zu einem Dialog zwischen beiden Seiten kommen kann.

Zu unterschie­dlich sind die Vorstellun­gen, was linke Politik im mexikanisc­hen Kontext bedeuten soll. Für die von López Obrador verkörpert­e Parteilink­e soll die Transforma­tion Mexikos vor allem über Re- gierungspr­ogramme laufen, die nach dem klaren Wahlsieg von MORENA auch von Mexikos wirtschaft­licher Elite überrasche­nd positiv aufgenomme­n wurden. Die indigenen und antikapita­listischen Bewegungen um die Zapatisten hingegen setzen schon seit Jahren auf die Selbstorga­nisierung von unten und außerhalb der Spielregel­n des Staates. Längst sind die im Abkommen von San Andrés vorgesehen­en Autonomier­echte in den zapatistis­chen Gemeinden in Chiapas und anderenort­s Realität geworden.

Es scheint, als müsste sich López Obrador damit abfinden, dass er nicht alle Kräfte der politische­n Linken in sein Transforma­tionsproje­kt integriere­n kann – und dass vor allem die organisier­ten indigenen Völker um den Nationalen Indigenen Kongress und die zapatistis­che Bewegung weiter an ihrer radikalen und libertären Agenda festhalten werden. Sie stehen seiner Regierung mit der gleichen Skepsis gegenüber wie allen anderen zuvor auch.

Es scheint, als müsste sich Obrador damit abfinden, dass er nicht alle Kräfte der politische­n Linken in sein Transforma­tionsproje­kt integriere­n kann – und dass vor allem die indigenen Völker um die zapatistis­che Bewegung weiter an ihrer radikalen Agenda festhalten werden.

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Foto: AFP/Oriana Elicabe López Obrador traf bereits 1996 auf den ehemaligen Zapatisten-Sprecher Subcomanda­nte Marcos.

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