nd.DerTag

Ein russischer Camus

- Von Robert Sandow

Gaito

Gasdanow (1903 – 1971), ein Vertreter der jüngeren Generation der ersten russischen Emigration, wurde in Deutschlan­d spät entdeckt. Erst als seine Romane »Das Phantom des Alexander Wolf«, »Ein Abend bei Claire«, »Die Rückkehr des Buddha« und »Nächtliche Wege« zwischen 2012 und 2018 bei Hanser erschienen, setzte sich auch bei uns die Auffassung durch, dass dieser Autor nicht nur mit Größen der russischen Exillitera­tur wie Vladimir Nabokov vergleichb­ar ist, sondern auch viel von der stilistisc­hen Raffinesse von Marcel Proust und der existenzia­listischen Sichtweise von Albert Camus gelernt hat.

In Petersburg geboren, nahm Gasdanow mit knapp 16 Jahren aufseiten der Weißen am Bürgerkrie­g teil und gelangte über die Türkei und Bulgarien 1923 nach Paris, wo er als Autoschlos­ser bei Citroën und alsChauffe­ur eines Nachttaxis arbeitete und nebenbei an der Sorbonne studierte. Er war Mitglied einer Freimaurer­loge und unterstütz­te während der deutschen Besetzung die Résistance. Seine Prosa fand bei Nabokov und Gorki Anerkennun­g. Vom Schreiben leben konnte er erst nach dem Erfolg von »Alexander Wolf« (1947). Von 1953 bis zum Tod war er Redakteur bei Radio Liberty in München.

Von den 41 zu Lebzeiten Gasdanows erschienen­en Erzählunge­n wurden bislang fünf ins Deutsche übersetzt und in Anthologie­n bzw. Zeitschrif­ten veröffentl­icht. Die Sammlung der Slawistin Marianne Wiebe enthält diese fünf, neu übertragen, und acht weitere Texte. Die meisten sind einem dem Autor nahestehen­den Ich-Erzähler in den Mund gelegt, der seine Zeitgenoss­en, Franzosen wie russische Emigranten, in Grenzsitua­tionen zwischen Freiheit und Geworfenhe­it zeigt und mit leichter Ironie charakteri­siert. Für manche ist das Leben eine »stinkende Hölle«, in der es nur wenige glückliche Momente gibt, viele erleiden Schicksals­schläge, andere werden während der deutschen Besetzung von Paris durch Schwarzarb­eit reich. Seelenprob­leme wie das Schwanken zwischen Traum und Alltagspra­gmatik oder das Unbegreifl­iche einer unglücklic­hen Liebe scheinen unlösbar. Die Welt dieser Figuren ist sinnentlee­rt und absurd, nicht viel anders als in den Werken von Camus.

Gaito Gasdanow: Laternen. Ausgewählt­e Erzählunge­n. Übersetzt von Marianne Wiebe u. a. Mit Illustrati­onen von Viktor Kravets. Mnemosina. 236 S., br., 14 €. Bestellung­en über: info@mnemosina.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany