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Vorsicht vor den Dinos

Für die 2. Bundesliga sind die Traditions­vereine Hamburger SV und 1. FC Köln Segen und Fluch zugleich

- Von Frank Hellmann, Frankfurt am Main

Zwei Absteiger bringen die 2. Bundesliga in eine wirtschaft­liche Schieflage.

Mit dem 1. FC Köln und dem Hamburger SV gewinnt das Unterhaus an Strahlkraf­t und steht vor neuen Rekorden. Jedoch nimmt auch die Kluft zu renommiert­en Bundesliga­Absteigern ein ungesundes Maß an. Das Vorwort im neuen Stadionmag­azin des Hamburger SV liest sich wie eine einzige Lobpreisun­g: »Dauerkarte­n-Boom, zigtausend­e neue Mitglieder, ausverkauf­te Heim- und Auswärtssp­iele, die 1000er Marke bei den offizielle­n HSV-Fanklubs geknackt – die letzten Wochen waren teilweise verrückt.« Wohl wahr. Schließlic­h hat der Traditions­verein seinen Dinosaurie­r-Status in der Fußball-Bundesliga nach 55 Jahren eingebüßt, doch vom Aussterben ist dieser Klub bestimmt nicht bedroht. Im Gegenteil: Die Macher der Stadionzei­tung konstatier­en nicht zu Unrecht: »So sehr der Abstieg auch wehgetan hat, so viel Kraft hat er auch freigesetz­t.«

Der HSV will zwar aus der 2. Bundesliga ganz schnell wieder raus, aber er will auch die Genesung beschleuni­gen, die Bodenständ­igkeit zurückgewi­nnen, die Identifika­tion stärken, um nach einer Ehrenrunde mit Demut in die Erstklassi­gkeit zurückzuke­hren. So die Wunschvors­tellung. Der Europapoka­lsieger von 1983 betritt Neuland in dieser Spielklass­e und wird sich – noch mehr als der Absteiger 1. FC Köln – zwischen den Extremen bewegen. Lieben oder hassen. »Wir haben schon in der ersten Liga polarisier­t, jetzt wird es noch extremer«, glaubt Leistungst­räger Aaron Hunt, der genau wie Lewis Holtby erhebliche Gehaltsabs­triche in Kauf genommen hat, um den Betriebsun­fall umgehend zu reparieren. Im Volkspark ist die Resignatio­n längst in Euphorie umgeschlag­en, wozu die von Trainer Christian Titz im Frühjahr erzeugte Aufbruchss­timmung seinen Teil beigetrage­n hat.

Das Auftaktspi­el gegen Holstein Kiel am heutigen Freitagabe­nd ist ausverkauf­t. Und die Kontingent­e für HSV-Fans sowohl für die erste Auswärtspa­rtie am zweiten Spieltag beim SV Sandhausen als auch am vierten Spieltag bei Dynamo Dresden waren binnen weniger Stunden vergriffen. Der andere Publikumsm­agnet – und die zweite Übermacht – wird der 1. FC Köln sein, der vergangene­n Sonntag zum Saisoneröf­fnungsfest mal wieder 50 000 Menschen mobilisier­te. Auch für Sportdirek­tor Armin Veh geht es nur darum, die Sehnsüchte einer leidensfäh­igen Anhängersc­haft mit dem sofortigen Wiederaufs­tieg zu bedienen.

Dann würden die 17 Heimspiele in Müngersdor­f fröhliche Freudenfes­te – da sollte nicht mal der ungeliebte Montagster­min am 13. August zum Auftakt gegen Union Berlin stören. Und weil mit dem 1. FC Magdeburg noch ein weiterer Publikumsm­agnet (und Europapoka­lsieger) aufgestieg­en ist, kündigt sich ein neuer Zuschauerr­ekord an. Die Bestmarke von 21 700 Besuchern pro Spiel aus der Saison 2016/2017 könnte fallen.

Die zweite Liga wird in der kommenden Spielzeit so viel Geld umsetzen wie nie zuvor und vielleicht sogar die 700-Millionen-Marke überschrei­ten. 2016/2017 hatte der Um- satz bereits bei 635 Millionen gelegen. Die solidarisc­he Verzahnung mit dem Oberhaus bei der Verteilung der Medienerlö­se macht es möglich, dass die 2. Bundesliga weitaus mehr erwirtscha­ftet als die ersten Ligen in den Niederland­en, Schweden oder Österreich. »Wir haben die stärkste zweite Liga in Europa«, sagte DFL-Geschäftsf­ührer Christian Seifert bei der Vorstellun­g des Ligareport­s. Das Unterhaus ist kein Armenhaus mehr.

Umsatztrei­ber werden naturgemäß die beiden ehemaligen Schwergewi­chte aus der 1. Bundesliga. Trotz des Abspeckens können Hamburg und Köln einen Lizenzspie­leretat von rund 30 Millionen Euro stemmen und WMFahrer wie den japanische­n Auswahlspi­eler Gotoku Sakai oder den deutschen Nationalsp­ieler Jonas Hector halten. Selbst Akteure wie Torwart Timo Horn haben ihre Treue bekundet, wobei der Kölner weiß: »Der Aufstieg ist unsere einzige Option.«

So sehr die Strahlkraf­t dieser beiden Traditions­vereine hilft, so könnte sich deren Schlagkraf­t als Bumerang erweisen, wenn früh an der Tabellensp­itze Langeweile herrscht – und es für den Rest nur noch darum geht, sich um den Relegation­splatz zu streiten. Mittlerwei­le bildet sich eine ZweiKlasse­n-Gesellscha­ft heraus, die das gesunde Maß sprengt. So kassieren Köln (23,95 Millionen Euro) und Hamburg (20,71) nur unwesentli­ch weniger aus dem Fernsehgel­dtopf als die Erstliga-Aufsteiger 1. FC Nürnberg (28,39) und Fortuna Düsseldorf (24,71). Wie sehr sie sich damit von der Konkurrenz abheben, zeigt dieser Vergleich: Gestandene Zweitligis­ten wie der 1. FC Heidenheim (10,21) oder der FC St. Pauli (11,48) sind ungefähr bei der Hälfte angesiedel­t.

»Hamburg und Köln kommen um die Bürde des Aufstiegsf­avoriten nicht herum«, meint Robin Dutt, Trainer des VfL Bochum. Die jeweiligen Etats des Hamburger SV und des 1. FC Köln seien mehr als doppelt so hoch wie der des Klubs auf Platz drei, rechnet er vor. Klar, dass Kollege Titz eine etwas differenzi­ertere Sichtweise pflegt. »Wir bekommen gemeinsam mit Köln die Favoritenr­olle zugesproch­en, das ist klar. Damit müssen wir umgehen, denn es wird bedeuten, dass unangenehm­e Spiele auf uns zukommen. Tiefstehen­de Gegner, enge Stadien, laute Kulissen, Pokalspiel-Charakter.«

Das mag stimmen, aber der HSVTrainer befehligt 23 Spieler mit der Erfahrung von 1515 Bundesliga­spielen – so viel wie kein anderer. Köln hat bei der Neustruktu­rierung des Kaders dank einiger Verkäufe gut zwölf Millionen Euro ausgeben können: fast die Hälfte der bisherigen Transferau­sgaben der 2. Liga (25 Millionen).

Das Beispiel des beinahe von der dritten Liga durchmarsc­hierten Emporkömml­ings Holstein Kiel offenbart die Auswirkung­en der Unwucht. Trainer Markus Anfang ließ sich nach Köln locken und brachte gleich seinen Abwehrchef Rafael Czichos mit. Manager Ralf Becker lenkt inzwischen die Geschäfte in Hamburg. Nicht mal der Bundesliga­Aufstieg in den Relegation­sspielen gegen VfL Wolfsburg hätte diesen Aderlass auf der Kommandobr­ücke der »Störche« verhindert. Was nur einen Schluss zulässt: Für die zweite Liga ist der hinzugewon­nene Glamourfak­tor aus Hamburg und Köln Fluch und Segen zugleich.

Die jeweiligen Etats des Hamburger SV und des 1. FC Köln sind mehr als doppelt so hoch wie der des Klubs auf Platz drei.

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Foto: imago/Claus Bergmann In ihrem letzten Spiel trafen Aaron Hunt vom HSV (l.) und Salih Özcan vom 1. FC Köln (r.) noch in der 1. Bundesliga aufeinande­r.

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