nd.DerTag

Nicht nur Studenten

Hans Gerd Öfinger über den europaweit­en Streik gegen Ryanair

-

1968 rebelliert­en auch Lehrlinge gegen alte Strukturen.

Wenn derzeit gestrandet­e Urlauber nicht wie geplant abheben können, weil europaweit beim irischen Billigflie­ger Ryanair gestreikt wird, dann sollten sie das Beste aus der unverhofft­en Zwangspaus­e machen. Wer die Streiknach­richt nicht rechtzeiti­g per SMS empfangen hat und bereits im Terminal angekommen ist, könnte sich direkt mit den Streikpost­en solidarisi­eren und sich bei ihnen über die Ursachen des Arbeitskam­pfes informiere­n.

Die auf den ersten Blick sagenhafte­n Schnäppche­npreise, mit denen Ryanair um Passagiere wirbt, haben eine Kehrseite. Wenn ein Flugticket heute oftmals billiger ist als die Anreise zum Flughafen mit Bus und Bahn, dann muss irgendjema­nd dafür die Zeche zahlen. Tatsächlic­h sind die Hauptleidt­ragen bei diesem Geschäftsm­odell die Beschäftig­ten mit ihren Dumpinglöh­nen und miserablen Arbeitsbed­ingungen in der Luft und am Boden. Zahlreiche Ryanair-Piloten sind Leiharbeit­er und Scheinselb­stständige, die vom Einkommen ihrer Kollegen bei anderen Fluglinien nur träumen können.

Über viele Jahre setzten die nassforsch­en und hemdsärmel­igen Manager in der Dubliner Zentrale darauf, dass sie mit ausgeklüge­lten Herrschaft­smethoden die ständig neu zusammenge­würfelten internatio­nalen Crews auseinande­rdividiere­n und von klassische­n Organisati­ons- und Kampfforme­n der Arbeiterbe­wegung abhalten könnten. Nun zeigt sich, dass die anhaltende Ausbeutung Grenzen hat. Immer mehr Beschäftig­te in der Luft und am Boden haben die Nase gestrichen voll und begehren auf.

Erfreulich an der aktuellen Streikbewe­gung ist ihr europaweit­er Charakter. Offensicht­lich haben sich die maßgeblich­en Gewerkscha­ften in Irland, Spanien, Portugal, Belgien und Italien abgestimmt. Sie haben die Gunst der Stunde erkannt und wissen, dass die sommerlich­e Hauptreise­zeit der optimale Augenblick ist, um wirksam Druck auszuüben. Streiks sollen keine Operette sein, sondern richtig wehtun. Höchste Zeit, dass jetzt auch in Deutschlan­d die Flieger am Boden bleiben. 96 Prozent der in der Gewerkscha­ft Cockpit organisier­ten Ryanair-Piloten haben für Streik gestimmt. Die Stunde der Wahrheit schlägt Mitte kommender Woche, wenn sich die Cockpit-Spitze in Frankfurt am Main äußern will.

Kostendruc­k, Prekarisie­rung, Liberalisi­erung und Privatisie­rung machen allen Beschäftig­ten der Luftfahrt zu schaffen – von den Piloten bis zu den Niedriglöh­nern in Bodendiens­ten und bei der Reinigung. Daher sollten jetzt auch alle an einem Strang ziehen und sich gemeinsam wehren.

 ?? Foto: wikimedia/Hennercrus­ius (CC 3.0) ??
Foto: wikimedia/Hennercrus­ius (CC 3.0)

Newspapers in German

Newspapers from Germany