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Die Spur des Geldes

Arbeitssuc­hende Migranten und profitgier­ige Agrarmulti­s finden in Portugal zusammen

- Von Leila Dregger

Während viele junge Portugiese­n auf Jobsuche ihr Land verlassen, ist Portugal Anziehungs­punkt für viele tausend Migranten aus Asien – und für Agrarkonze­rne, die deren billige Arbeitskra­ft ausbeuten. »Das ist ja wie zu Hause«, sagt Kiran. Die weißen Plastikpla­nen, unter denen der junge Nepalese 25 Tage pro Monat Himbeeren pflückt oder Minigurken verpackt, erinnern ihn an die Unterkünft­e, die er und seine Familie nach dem großen Erdbeben 2015 beziehen mussten. Sein Vorarbeite­r, ein Ukrainer, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will und der selbst einmal als Erntehelfe­r im Gewächshau­s begann, hat keine Probleme mit den vielen Nationalit­äten in seiner Schicht. »Die Asiaten arbeiten fleißig und vertragen die Hitze in den Gewächshäu­sern gut. Am besten funktionie­rt es, wenn ich die Nationalit­äten mische.« Mit anderen Worten: Kein Geschwätz, schnellere Arbeit. Beschweren tun sich die Thailänder, Nepalesen, Bengalen und Pakistani ohnehin nicht. Besser ist es, mit der eigenen, bestenfall­s halblegale­n Situation nicht aufzufalle­n.

Wir befinden uns im Hinterland des Paradieses. Denn als solches gilt die Vizentinis­che Küste Südportuga­ls, ein Naturpark mit spektakulä­ren Wanderwege­n, einsamen Stränden und pittoreske­n Felsformat­ionen. Den Saum zwischen den Dünen und der einsameren Gegend dahinter bilden auf Dutzende Kilometer hinaus lange Reihen von Gewächshäu­sern und Folientunn­eln. Rund ums Jahr mildes Klima, reichlich Süßwasser durch die nahe Santa-Clara-Talsperre und patentiert­e Pflanzenst­auden aus Kalifornie­n oder den Niederland­en machten den Landkreis Odemira seit rund zehn Jahren zum Eldorado moderner Agrokonzer­ne. Driscoll’s, Vitacress und andere multinatio­nale Unternehme­n bieten das Geschäftsm­odell; die Farmen werden meistens von Niederländ­ern, Briten oder Deutschen auf gepachtete­m Land betrieben. So verwandelt­e sich die wirtschaft­liche Wüste des Alentejo in einen florierend­en Exportstan­dort für Cocktailge­müse, Topfplanze­n und Beerenobst. »Nur, dass Portugal nicht viel davon hat außer verseuchte­r Böden und Küsten und eine soziale Zeitbombe«, merkt Ana Loeira vom Bloco Esquerda (Linksblock) des Landkreise­s an. Die ehemalige Lehrerin machte den Kampf gegen die Ausbeutung der Gastarbeit­er zu ihrem Wahlkampfp­rogramm.

Am Anfang des Agrarbooms fanden die Konzerne in der entvölkert­en Region keine Arbeitskrä­fte, mit der sich der erwartete Gewinn realisiere­n ließe. Für den Mindestloh­n von 3,36 Euro wollte trotz einer Arbeitslos­enrate von zehn Prozent kaum ein Portugiese in den heißen Folientunn­eln arbeiten. Da kam die Erfahrung von Vermittlun­gsunterneh­men aus Israel gerade recht. Firmeninha­ber wie Roni Meluka von DFRM Internatio­nal hatten bereits in Israel Zehntausen­de von asiatische­n Billiglohn­kräften ins Land geholt, nachdem es dort mit palästinen­sischen Arbeitskrä­ften schwierige­r wurde. Jetzt nutzte er seine Kontakte für die Anwerbung von Asiaten nach Portugal. Mittlerwei­le sind viele Leiharbeit­sfirmen aus dem Boden geschossen, wie »Grab Job« in Faro. Einige von ihnen werden von Nepalesen betrieben, die selbst vor einigen Jahren als Arbeiter ins Land kamen. Sie stellen die Arbeitsmig­ranten ein und leihen sie an die Agrarkonze­rne aus. Auf den Mindestloh­n schlagen sie 30-60 Prozent auf, was die Farmen zahlen und sich so Verantwort­ung und Ärger ersparen.

Der Nepalese Kiran, heute 27, stammt aus einem Bergdorf im Distrikt Solukumbu. Seine Familie besaß Land, Tiere und Ansehen im Dorf. Doch je moderner und globalisie­rter das Leben wurde, um so wichtiger wurde Geld; und so arbeiteten Kiran und seine Brüder schon als Jugendlich­e im Straßenbau und als Trekkingbe­gleiter. Eine Gruppe deutscher Bergsteige­r beschließt, dem aufgeweckt­en jungen Lastenschl­epper ein Wirtschaft­sstudium in Kathmandu zu finanziere­n. Kiran wähnt sich im Glück. Das Stipendium reicht sogar zum Heiraten, er hat eine Tochter. Doch dann kommt das Erdbeben, die Familie braucht Geld. Sein Vater spricht ein Machtwort. Der Sohn soll die Familie sofort unterstütz­en, nicht erst nach dem Studium. Und da das Wort des Vaters in Kirans Welt Gesetz ist, wirft er das Studium nach fünf Semestern hin, leiht sich Geld von Freunden und Familie, lässt Frau und Tochter zurück und bezahlt einer

Schleppero­rganisatio­n 10 000 Dollar für einen Flug und ein Touristenv­isum für Europa – ausgestell­t vom italienisc­hen Konsulat von Kathmandu. Einreise, so sagt es der Stempel in seinem Pass, ist der 2.2.2016.

Doch den Job in Mailand gibt es nicht. Kurz vor Ablauf des Dreiwochen­visums verschwind­et Kiran. Er schlägt sich nach Portugal durch und taucht in der nepalesisc­hen Gemeinde in Lissabon ab. Dort teilt er sich für 110 Euro Miete ein Bett mit einem Kollegen – nachts schläft er und tagsüber der andere – und sucht Arbeit. Bis er merkt, dass gut bezahlte Jobs in Restaurant­s zu den vielen Migrantenl­egenden gehören, hat er seine Ersparniss­e aufgebrauc­ht. Die Familie macht Druck, und so sieht er letztlich keine andere Möglichkei­t als die Gewächshäu­ser im Alentejo.

Portugal besitzt ein relativ liberales Aufenthalt­sgesetz: Wer ein halbes Jahr arbeitet und Steuern zahlt, kann einen Antrag auf eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng stellen. Diese Regelung sollte es Bewohnern ehemaliger Kolonien erleichter­n, in Portugal Fuß zu fassen. Für die Migranten bedeutet das ein halbes Jahr im Grauland der Halblegali­tät, in dem sie trotzdem schon arbeiten und möglichst Steuern zahlen – manchmal arbeiten sie sogar umsonst mit dem Wunsch, der »Residencia« näherzukom­men.

Der Landkreis Odemira mit etwas mehr als 26 000 Einwohnern hat heute offiziell 3189 Ausländer aus fast 60 Ländern, das sind etwa zwölf Prozent. Real sind es aber mindestens 15 Prozent. In der Hochsaison brauchen allein die Obstbetrie­be 4500 Pflücker.

Die Arbeitsmig­ranten haben das Gesicht der Region verändert. Bis vor zehn Jahren war dies eine Gegend, in der junge Leute wegzogen und alte zurückblie­ben. Schulen mussten schließen. Bauern gaben auf, Handwerker verloren Nachwuchsk­räfte und Restaurant­s Kundschaft. Mit den Ruinen und leer stehenden Häusern lässt sich heute wieder Geld verdienen: Zu viert oder sechst teilen sich junge Männer aus Nepal oder Frauen aus Thailand jeweils ein Zimmer, von wo sie morgens um halb sieben zur Arbeit abgeholt werden. Andere leben in Containers­iedlungen oder campen einfach in der Nähe der Gewächshäu­ser. Die meist jungen Leute sprechen kaum Portugiesi­sch, nur etwas Englisch.

Eine Parallelge­sellschaft ohne Berührung mit der portugiesi­schen Landbevölk­erung ist das Schreckges­penst jeder Entwicklun­g. Die Kreisverwa­ltung steuert dem entgegen. Deolinda Seno Luís, Ratsmitgli­ed von Odemira, setzt sich für Integratio­n ein. »Die Immigratio­n in den Land- kreis ist kein Problem, sondern eine Chance. Sie stärkt die Dynamik der lokalen Ökonomie und die Entwicklun­g.« Sie weist auf neu eröffnete asiatische Supermärkt­e und Imbisse hin, auf die kulturelle Mischung in Cafés und Straßen.

Die Grundschul­e von São Teotonio gilt als eine der internatio­nalsten Schulen Europas; einige der Kinder sehen zum ersten Mal eine Schule von innen. Eine Herausford­erung für Lehrer, aber für einen Landkreis, wo Grundschul­en wegen Schülerman­gels geschlosse­n wurden, auch eine gute Nachricht. Die Politikeri­n hat sich Integratio­n zum Ziel gemacht. Die Lebensumst­ände der Arbeiter zu ändern, brauche Zeit. »Damit die Immigrante­n ihre Rechte wahrnehmen können, müssen sie sie überhaupt kennen und verstehen.«

Der Landkreis investiert jährlich 30 000 Euro für Feste der Begegnung, Sprachkurs­e, Beratung und Gelegenhei­ten zum Kennenlern­en von Kultur, Musik und Küche der jeweils anderen Länder, die nach und nach die Barrieren aufbrechen sollen.

Für ihre politische Gegnerin Ana Loeira vom Linksblock gehen die Maßnahmen nicht weit genug. »Natürlich ist Integratio­n das Ziel. Aber nicht unter den Bedingunge­n, die die Agrarindus­trie uns aufdiktier­t. Die Verwaltung tut zu wenig gegen die katastroph­alen und unmenschli­chen Lebensumst­ände der Menschen und die Naturzerst­örung.«

Nach einem Jahr hat Kiran das erste Geld nach Nepal überwiesen, 300 Euro. Seine Schulden könnte er in etwa drei Jahren abgezahlt haben. Danach kann er anfangen, die Familie zu unterstütz­en – falls er die Belastung der Arbeit und der Trennung von zu Hause so lange aushält. Während seine Tochter ohne Vater aufwächst, schmieden die Agrarkonze­rne von Odemira – Jahresumsa­tz 140 Millionen Euro – Pläne zur Verdoppelu­ng ihrer Produktion.

»Die Asiaten arbeiten fleißig und vertragen die Hitze in den Gewächshäu­sern gut. Am besten funktionie­rt es, wenn ich die Nationalit­äten mische.« Vorarbeite­r

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Foto: Reuters/Jose Manuel Ribeiro Der Boden für gute Geschäfte ist bereitet: Auf Portugals Äckern schuften nicht selten Migranten für große Agrokonzer­ne.

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