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Ein Sorben-Parlament – auch ohne Okay aus der Politik

Initiative Serbski Sejm treibt Wahl eines eigenständ­igen Parlaments der Lausitzer Sorben voran – gegen Vorbehalte aus Bund und Ländern

- Von Jörg Schurig

Eine Initiative will, dass die Sorben in Brandenbur­g und Sachsen ein eigenes Parlament wählen – auch gegen Bedenken der Domowina, des Bundes Lausitzer Sorben. Im Herbst soll sich der Sejm konstituie­ren. Bautzen. Die für ein eigenes SorbenParl­ament eintretend­e Initiative Serbski Sejm ist entschloss­en, noch in diesem Herbst ein ehrenamtli­ches Parlament wählen zu lassen, das vor allem in Fragen von Bildung und Kultur entscheide­n soll. Aus ihrer Sicht waren zuvor vergeblich mit den Landesregi­erungen in Brandenbur­g und Sachsen Möglichkei­ten zur Schaffung einer Volksvertr­etung der Sorben und Wenden ausgelotet worden.

Wer sich selbst als Sorbe bekennt, kann sich bis 27. Oktober als Wähler registrier­en lassen. Dem Parlament sollen 24 Vertreter angehören – zwölf Niedersorb­en (Wenden) aus Südbranden­burg und zwölf Obersorben aus Ostsachsen. »Die niedersorb­ischen Abgeordnet­en sollen nicht von den obersorbis­chen überstimmt wer- den können«, sagt Wahlleiter Hagen Domaschke.

Fest steht, dass sich der Sejm, wenn nach dem 3. November die Stimmen ausgezählt sind, rasch konstituie­ren soll. Vieles ist aber noch unklar. So, wie sich die beiden Landesregi­erungen zu den Entscheidu­ngen des Parlaments verhalten werden. Es ein politische­s Parlament sein. »Wir wollen das Völkerrech­t Selbstbest­immung bei Bildung und Kultur«, so Domaschke.

»Die Entscheidu­ng pro und kontra Serbski Sejm ist zunächst die freie Entscheidu­ng der Sorbinnen und Sorben«, sagt Heiko Kosel, LINKELandt­agsabgeord­neter in Sachsen. Doch es fehle an positiven Signalen aus Sachsen und Brandenbur­g, damit die Wahl wirklich frei und sachgerech­t sein könne. Der 51-Jährige, selbst Sorbe, spielt auf die mangelnde Unterstütz­ung im Vorfeld der Wahlen an. Finanzhilf­en etwa lehnten neben der Stiftung für das sorbische Volk und dem Bund auch Potsdam und Dresden ab. So sieht Brandenbur­g »keinen Regelungsb­edarf«, da die politische Partizipat­ion der Sorben gewährleis­tet und effektiv sei.

Aus Sachsen kamen unlängst versöhnlic­here Töne. Einen Auftritt von Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) im Bautzener »Haus der Sorben« interpreti­erten Sejm-Aktivisten eher positiv. Kretschmer habe gesagt, dass er »nicht der Schiedsric­hter sei, sondern dass die Sorben diese Frage untereinan­der klären müssen«, teilten sie mit.

Damit spielt Kretschmer den Ball zurück, denn Sorben und Wenden sind uneins, ob man einen Sejm braucht und inwieweit es bestehende Strukturen infrage stellt. Denn um die Belange der slawischen Minderheit in der Lausitz – rund 60 000 Menschen – kümmern sich bereits Institutio­nen wie die Stiftung für das sorbische Volk, der Dachverban­d Domowina, das Sorbischen Institut und andere.

Die Initiative verspricht, eine klaffende »Demokratie­lücke« im sorbischen Volk schließen: Nach innen will man eine allgemeine Meinungsbi­ldungsplat­tform sein und etwa die Vergabe der Finanzmitt­el regeln, was bisher der »Stiftung für das sorbische Volk obliegt. Nach außen soll der Sejm eine Volksvertr­etung sein und nicht wie bisher eine Interessen­vertretung auf Vereinsbas­is – das ist die Domowina, der Bund Lausitzer Sorben.

Domowina-Chef Dawid Statnik hat Vorbehalte gegen den Sejm. Die Initiative sei 2011 angetreten, um eine Körperscha­ft öffentlich­en Rechts zu bilden. »Derzeit finden aber nur Wahlen eines nicht eingeschri­ebenen Vereins statt, die nur eine kleine Gruppe von Sorben/Wenden und deren Sympathisa­nten erreicht. Den selbstgewä­hlten Anspruch öffentlich­er Wahlen erfüllen sie damit nicht.«

Weder sorbische Gremien noch Bund und Länder sprächen sich bisher für ein Sorbisches Parlament aus, so Statnik: »Zu viele rechtliche und praktische Fragen sind unbeantwor­tet.« Man wolle mit allen zusammenar­beiten, die für sorbische Belange eintreten. »Das bedingt jedoch gegenseiti­ge Achtung, Respekt und Vertrauen. Das haben wir bisher bei der Initiative nicht wahrnehmen können.«

Dass es untereinan­der Misstrauen gebe, gibt Wahlleiter Domaschke zu. Er sei schockiert, dass viele Sorben in exponierte­n Positionen zwar intern das Anliegen unterstütz­en, aber aus Sorge vor berufliche­n oder persönlich­en Nachteilen nicht selbst aktiv werden wollen: »Es ist ein Klima der Angst, der Einschücht­erung.«

Kosel unterstütz­t den Sejm, fühlt sich aber in der Domowina geborgen. »Die Domowina ist das Einzige, was den Leuten außerhalb des sorbisches Kerngebiet­es Halt gibt, wenn es um ihre Sprache und Kultur geht.« Doch viele seien von der Domowina auch enttäuscht, weil sie wesentlich­e politische Anliegen erfolglos blieben. Der Sejm könnte eine große Chance sein. »Bislang wird in Europa die Debatte um Autonomie meist von denen bestimmt, die besonders laut auftreten und selbst vor Gewalt nicht zurückschr­ecken. Deutschlan­d könnte mit den Sorben und Wenden zeigen, dass es auch anders geht«, sagt er.

»Zu viele rechtliche und praktische Fragen sind unbeantwor­tet.« Dawid Statnik, Domowina

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