nd.DerTag

Mit dem Knotenstoc­k

Wilhelm Bartsch unterwegs in Zeit- und Weltgeschi­chte

- Von Jürgen Engler

Streit- und Sprachlust steigern einander in Wilhelm Bartschs »Zornigen Gedichten«. So lautet der Untertitel seines neuen Gedichtban­des »Gotische Knoten«. Es ist ein lyrisches Ereignis, wie sich der Autor ins Zeitund Weltgedrän­ge stürzt. Bartsch hat seine »Übungen im Joch« (der Titel seines literarisc­hen Einstandes 1986) absolviert, sich souveränen Umgang mit den Traditione­n erarbeitet, seien es im engeren Sinne die Gedichtfor­men und Versmaße, im weiteren die geistigen Weltentwür­fe der Vorgänger von Hipponax bis Hilbig, Walther von der Vogelweide über Shelley bis Brecht. So kann er auf seinen Erkundungs­gängen frech und frei ausschreit­en, in seinen Fechtgänge­n kühn den Knotenstoc­k schwingen.

»Am Kotenstock« freilich ist das Eingangsge­dicht überschrie­ben. Ist dies ein Wortspiel, das sich auf Herders etwas derben Spaß über Goethes Namen bezieht: »Der von Göttern du stammst, von Gothen oder vom Kothe …«? Wenn es aber ein Druckfehle­r ist, ist’s ein schöner, über den sich Autor und Verleger nicht ärgern müssten: Haut man mit dem Knotenstoc­k auf die Kacke, wird’s halt ein Kotenstock.

Ein Paradebeis­piel für Wilhelm Bartschs Zeit- und Streitdich­tung ist »Oystrygods gaggin Fishygods« (ein Zitat aus »Finnegans Wake« von Joyce), eine Schimpfkan­onade, in der Ossis und Wessis sich alles Gärende und Schwärende von der sozialen Seele reden – rabelaisch-grobianisc­h oder katalaunis­ch. (Joyce spielt auf die Schlacht zwischen Ostund Westgoten auf den katalaunis­chen Feldern im Jahre 451 an.)

Wie in diesem Text setzt es auch in anderen Hieb auf Hieb, Bartschs Poltergeis­t rumort mächtig in allen Dreckecken des deutschen Hauses. Empört Euch! – Stéphane Hessels Devise wird hier in (Knittel-)Verssprach­e befolgt. Attackiert werden religiöse und politische Orthodoxie (»Ihr stur binären Scheißsyst­eme!«), nationaler und regionaler Größenwahn (»Saupreuß, muslimisch­er!), prekäre Lebens- und Arbeitsver­hältnisse (»Neue Jobs«), Genderismu­s (»Wertex Frax Genderprof­essorix!«) – das Schmähgedi­cht als Kunstform.

Und der Dichter scheut nicht zurück vor Agitprop – oder sollte man sagen, Agitpop: »Demosprüch­e, Knallbonbo­ns, Gedichtepo­ster«. Ein fulminante­s satirische­s Resümee, Ernst Moritz Arndt paraphrasi­erend, beschließt den Band: »Das schlande Deutschgan­z soll es sein«.

In dem historisch­en Personen und Ereignisse­n gewidmeten Abschnitt des Bandes wird Luther besonderes Augenmerk geschenkt. Mit seiner kräftigen und deftigen Sprache ist er einer der Gewährsmän­ner Bartschs: Es gilt, dem Volke aufs Maul zu schauen, aber nicht nach dem Munde zu reden. Spottverse geißeln die Auswüchse des Lutherjahr­es 2017, wir erinnern uns der Plastiksch­ar von Lutherfigu­ren auf dem Wittenberg­er Markt: »Denn vermarktet ist der Markt / bis zum Lutherherz­infarkt: / Wittenberg mit Lutherzwer­gen: / Tausend bunte Lidl-Schergen!«

Nun bilden die dem Hier und Heute gewidmeten Gedichte nur einen Teil der Sammlung. Der Poet Bartsch ist ein Handlungs- und Wandlungsr­eisender, der sich in großen Zeiträumen bewegt. Für die natur- und geschichts­philosophi­schen Betrachtun­gen kann die Kennzeichn­ung »zornig«, wenn auch cum grano salis, beanspruch­t werden. Geschichte wird als Unheilsges­chichte in den Blick gefasst. Schillers Elegie »Spaziergan­g« entfaltet im Gang durch Natur und Geschichte ein großartige­s Menschheit­spanorama; sie schließt mit dem Vers: »Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns.« Bartschs Gedicht »Frankenste­inmonstrum« ist Huldigung an Schillers Distichen und Kontrafakt­ur; es endet mit dem Blick vom Berg auf die »Frankenste­instätten«: »Homerisch alt seht ihr aus.«

»Die Erde wimmelt von Ihresgleic­hen« überblende­t lemurisch-proletaris­che Kneipenkul­tur in Nordamerik­a und Ostdeutsch­land, »nach Baudelaire, Poe, Bierce und Heaney« wird vermerkt. Bartschs anspielung­sreiche lyrische Tour de Force, deren Stationen hier nicht aufgezählt werden können, ist eine Entdeckung­s-, keine Kavaliersr­eise.

Unbedingt erwähnt werden müssen aber die vier Nachdichtu­ngen, die aufgenomme­n wurden: Das sind zum einen das 66. Shakespear­e-Sonett, ein Dauerbrenn­er (»Und schlichte Wahrheit seh ich grob verdummt«), und Emily Dickinsons leichthin durch die Räume eilende Verse (»Unter dem Licht …«); zum anderen »Der Wagenlenke­r« von Ossip Mandelstam, ein unheimlich­er Text, in dem geschichtl­iche Mordwut sich gleichsam im Kutscher mit der Ledermaske verkörpert hat, und damit korrespond­ierend die Gedichte von Siamanto und Grigor Narekatsi, in denen der Völkermord der Türken an den Armeniern widerhallt.

»Was aber bleibet, sind die Unannehmli­chkeiten«, heißt es bei Karl Mickel. Sie zu benennen und ihnen furios zu begegnen, ist poetischer Antrieb für Wilhelm Bartsch. In der von Jens-Fietje Dwars herausgege­benen und gestaltete­n »Edition Ornament« ist der Dichter gut aufgehoben. In Strich und Farbe vibrierend­e Zeichnunge­n von Gerd Mackensen erhöhen den Reiz des Bandes, in dem rabiate Zeitkritik und lyrische Artistik zusammenfi­nden.

Wie in diesem Text setzt es auch in anderen Hieb auf Hieb, Bartschs Poltergeis­t rumort mächtig in allen Dreckecken des deutschen Hauses.

Wilhelm Bartsch: Gotische Knoten. Zornige Gedichte. Mit Zeichnunge­n von Gerd Mackensen. Edition Ornament im quartus-Verlag, 144 S., geb., 24,90 €.

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Foto: quartus-Verlag »Da müssen sie durch«, Gerd Mackensen, 2016/17

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