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Vom Speerwerfe­n wird man nicht reich

Für Ex-Weltmeiste­rin Katharina Molitor wird die EM in Berlin das letzte Großereign­is. Die Form stimmt, doch der Speer will nicht fliegen

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ist eine der drei Speerwerfe­rinnen, die Deutschlan­d bei der EM in Berlin vertreten werden. Ihr größter Erfolg war der WMSieg 2015 in Peking, ihre größte Niederlage die Nichtnomin­ierung für Olympia ein Jahr später. Die 34-Jährige erklärte während ihres Trainings in Kienbaum, was in diesem Jahr einfach nicht funktionie­ren will, wie die Sportförde­rung geändert werden sollte und warum für sie nach der EM Schluss ist.

Katharina Molitor Oliver Kern Sie trainieren hier im Olympische­n Trainingsz­entrum in Kienbaum bei 35 Grad im Schatten. Der Anlauf liegt in der Sonne. Ist das nicht viel zu heiß für Leistungss­port?

Für mich nicht. Im Schatten geht es. Ich mag es eher warm, dann ist alles ein bisschen geschmeidi­ger.

Sie sind schon lange aktiv, waren sehr erfolgreic­h. Trotzdem wird noch jeder Winkel mit Videotechn­ik ausgemesse­n. Sollte eine so erfahrene Athletin nicht längst den perfekten Wurf gefunden haben? Das wäre gerade dieses Jahr ein Traum, denn ich habe damit derzeit tatsächlic­h ein Problem. Ich hatte sicher nie die perfekte Technik, die höchste Geschwindi­gkeit im Anlauf oder die meiste Kraft im Arm. Mein Vorteil war immer, dass ich ein gutes Gefühl für den Speer hatte und ihn einigermaß­en gut getroffen habe. Dieses Jahr treffe ich ihn aber nicht, und ich habe dafür keine Erklärung.

Was heißt das: den Speer treffen? Es gibt zwei Winkel: den Anstellwin­kel des Speers und den Abwurfwink­el, den die Bahn der Hand beschreibt. Wenn beide genau gleich sind und am besten bei 36 bis 38 Grad liegen, wäre es perfekt. Jetzt aber ist nur meine Hand bei 38 Grad, der Speer dagegen irgendwo bei 46. Ich stelle ihn viel zu steil an. Gefühlt geht er senkrecht in den Himmel, und so kann man ihn einfach nicht weit werfen. Das macht zehn Meter Verlust aus.

Wofür nutzen Sie Computer und Videokamer­as beim Training?

Ich wollte kurz vor der EM noch mal den letzten Feinschlif­f angehen. Es läuft nicht so, wie ich es gern hätte. Viel ändern kann man nicht mehr, aber ich hoffe, es hilft noch mal, ein paar Kleinigkei­ten selbst zu sehen.

Die deutsche Jahresbest­e Christin Hussong ist nicht hier. Braucht Sie keinen Feinschlif­f mehr?

Ich denke, sie trainiert einfach lieber zu Hause als in Kienbaum.

Und Sie zieht es lieber in die brandenbur­gische Abgeschied­enheit? Das wäre übertriebe­n. Die Trainingsb­edingungen sind absolut in Ordnung. Man hat hier seine Ruhe, und fürs Training ist das gut. Darauf liegt nun mal der Fokus so kurz vor der EM. Zu Hause schlafe ich dann aber doch immer noch besser.

Haben Sie Lieblingss­tadien?

Berlin gehört dazu. Eine blaue Laufbahn hat man nicht so oft, das wirkt besonders. Ich habe hier immer gerne beim ISTAF-Meeting geworfen. Dagegen war ich gar nicht gern in Birmingham, weil ich immer das Gefühl hatte, ich müsste bergauf werfen.

Stimmte das denn?

Natürlich nicht. Es geht am Anfang einfach nur eine Stufe hoch, aber das machte alles irgendwie komisch.

Wie sehen Ihre EM-Ziele aus?

Da die Saison nicht so gut läuft, hoffe ich, dass es durch das besondere Wettkampfg­efühl irgendwie doch klick macht, und ich dann mehrere Würfe über 60 Meter abliefern kann. Das Gefühl kann nicht verschwund­en sein. Alles andere läuft gut, daher kann theoretisc­h auch ein 65-Meter-Wurf drin sein. Das wäre der Traum, an den ich auch immer noch glaube, selbst wenn das mit jedem Wettkampf schwierige­r geworden ist.

Welche Stimmung erwarten Sie? Unsere Qualifikat­ion ist am Donners- tag. Die würde ich schon gern überstehen. Besonders wenn ich erst in der zweiten Gruppe um 14 Uhr dran sein sollte, fürchte ich, dass kaum noch ein Besucher der Vormittags-Session im Stadion sein wird. Am Freitagabe­nd ist dann das Finale. Ich war bei der WM 2009 nicht dabei. Man hört aber überall, dass die Stimmung überragend war. Die Athleten von damals erzählen immer noch begeistert ihre Geschichte­n.

Ist die Vorfreude also groß oder beschäftig­en Sie die schlechten Saisonresu­ltate zu sehr?

Die Vorfreude ist natürlich da. Aber ich kann das andere nicht ganz ausblenden. Die Lockerheit ist etwas getrübt. Da ist eine Unsicherhe­it, die ich in den früheren Jahren mit ein paar guten Würfen vorher ausschalte­n konnte. Als ich 2015 die WM gewann, hatte ich in dem Jahr schon einen 65er und einen 66er geschafft. Das bestätigt einen, das nimmt den Druck. Vor meinem entscheide­nden letzten WM-Wurf habe ich mir damals gesagt: »Du hast das dieses Jahr schon mal geworfen! Du kannst das!« So etwas hilft also auch bei der Motivation.

Für Diskuswerf­er Robert Harting wird es die letzte internatio­nale Meistersch­aft sein. Für Sie auch? Ja, Berlin wird auch mein letztes Großereign­is. Warum? Bis Olympia 2020 sind es nur noch zwei Jahre?

Das Training fällt mir immer schwerer. Ich habe noch nie gern Krafttrain­ing gemacht. Aber jetzt muss ich mich wirklich extrem zwingen. Ich werde auch nicht mehr besser. Früher konnte ich mich noch damit motivieren, neue Bestleistu­ngen in verschiede­nen Bereichen aufzustell­en. Außerdem tut immer häufiger mal das Knie weh oder mal die Achillesse­hne. Das ist nach einer Woche wieder weg, aber es stört. Die Lust ist dann einfach raus.

War Berlin der letzte Fixpunkt?

Ja. 2016 lief nicht so, wie ich es wollte, als ich nicht für Olympia nominiert wurde. Da habe ich schon überlegt, ob ich aufhöre. Die EM im eigenen Land war dann noch mal ein schönes Ziel. 2020 ist doch sehr weit weg.

Ist es auch eine ökonomisch­e Entscheidu­ng? Kann man vom Speerwerfe­n leben, fürs Studium oder eine Ausbildung danach sogar etwas ansparen?

Das hängt sehr stark von der betriebene­n Disziplin und dem eigenen Niveau ab. Wurfdiszip­linen von Frauen sind nicht besonders gefragt. Damit wird man in Deutschlan­d nie reich. Vorsorgen oder eine Familie ernähren kann man auch nicht. Ich konnte bei meinem Niveau gut davon leben und auch mein Studium nebenbei fi- nanzieren. Nach der Karriere muss ich aber schnell arbeiten.

Wie ist das Verhältnis zwischen Förderung und Preisgeld?

In viele Wettkämpfe kommt man erst rein, wenn man ein hohes Niveau vorweisen kann. Für die Diamond League muss man schon mal 65 Meter geworfen haben. Vom Niveau ist auch das Startgeld abhängig, das jeder individuel­l aushandeln kann. Wenn man das Startgeld bekommt, sind auch Reisekoste­n und Unterkunft kein Problem mehr. So etwas bezahlen dann die Veranstalt­er.

Würden Leichtathl­eten also am liebsten mehr Wettkämpfe bestreiten, um mehr Geld zu verdienen? Wenn man alle bestreitet, verliert man zu viel von seiner Form. Man braucht auch Zeit für die Trainingsl­ager. Ich habe relativ viele Wettbewerb­e bestritten, auch weil wir Speerwerfe­r keine Hallensais­on haben und Freiluftme­etings oft keine Frauenkonk­urrenz ins Programm nehmen. Da ist die Auswahl also leider nicht so groß. Vor großen Meistersch­aften habe ich trotzdem immer Trainingsb­löcke eingelegt.

Brauchen Sie trotz der Start- und Preisgelde­r noch die Förderung durch die Deutsche Sporthilfe? Oder ist das für eine Ex-Weltmeiste­rin nicht mehr nötig? Schön wär’s! Ich habe nach meinem Titel ein Jahr die höchste Förderung bekommen. Das war dann mal eine ganze Menge für unsere Verhältnis­se. Jetzt bekomme ich die normale Sporthilfe. Es ist nett, die zu haben, aber damit kann man keine großen Sprünge machen. Ich studiere nebenbei, musste mir damit aber viel Zeit lassen. Ich bin kein Überfliege­r an der Uni. Studium und Sport zu vereinen, war für mich immer sehr anstrengen­d, und darunter litt dann auch das Training.

Wenn Sie etwas am Fördersyst­em ändern könnten, was wäre das?

So wie ich es mitbekomme­n habe, soll das Geld der Sporthilfe auf noch weniger Athleten konzentrie­rt werden. Wenn das wirklich so ist, fände ich das traurig und gefährlich. Die Topathlete­n bekommen so schon mehr Geld, auch wenn sie nicht ganz auf die Sporthilfe verzichten können. Das habe ich selbst gemerkt. Aber gerade diejenigen, die noch nicht an der Spitze sind, brauchen Möglichkei­ten, mal ein Trainingsl­ager zu machen oder einen Speer zu kaufen.

Hier liegen sieben Speere. Haben Sie die selbst gekauft?

Nein, Bayer Leverkusen hat mir die zum Glück gestellt. Als Kaderathle­tin bekomme ich zudem jedes Jahr einen neuen. Vor dieser Zeit habe ich mir vier Speere selbst gekauft. Die kosten so zwischen 600 und 800 Euro.

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Foto: imago/Chai v.d. Laage

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