Tüftler und Denker
Michael Kiesling und Wolfgang Warsch – auf zwei Wegen zum Erfolg.
Es war eine sehr knappe Partie«, scherzte Wolfgang Warsch, als er seinem Autorenkollegen Michael Kiesling die Hand reichte. Der hatte ihm beim Taktikspiel »Azul« gerade elf Minuspunkte auf einmal verabreicht. Schon leicht desaströs, auch wenn es sich nur um ein kleines Freundschaftsspiel handelte. »Eine Lernpartie gerade gegen den Designer, das ist aber auch superfies«, stöhnte Warsch.
Doch an diesem Tag jüngst in Berlin musste ihn das nicht weiter belasten. Der 38-jährige Wiener Warsch und der 60-jährige Kiesling aus der Gemeinde Achim bei Bremen waren nämlich gleichrangige Protagonisten der diesjährigen Preisverleihung von »Spiel des Jahres« und »Kennerspiel des Jahres«. Beide gingen nämlich als Sieger in den beiden Hauptkategorien hervor: Kiesling mit »Azul« für erstere, Warsch mit »Die Quacksalber von Quedlinburg« für die andere (»nd« vom 24.7.18, Panorama).
Die Ausgangssituation dabei war schon speziell. Kiesling war mit zwei Spielen in beiden Kategorien nominiert, Warsch gleich mit dreien. Eine solche Konzentration zweier Designer hatte es noch nie gegeben. Zugleich steckte darin das »Duell« des profilierten Autors mit dem Newcomer. Kiesling hatte den Titel »Spiel des Jahres« bereits zweimal geholt (zusammen mit Freund und Mentor Wolfgang Kramer), Warsch dagegen überhaupt erst sechs Spiele veröffentlicht.
Natürlich hatten sich beide im Vorfeld mit den Werken des anderen beschäftigt und festgestellt: Da war viel Konkurrenz. Wobei Michael Kiesling gar nicht von Konkurrenz sprechen möchte: »Ich hätte es ihm auch gegönnt, und wir haben uns am Vorabend viel Glück gewünscht. Jedes gute Spiel, das dazu beiträgt, dass neue Spieler gewonnen werden, ist eine tolle Sache.«
Noch toller ist es dann aber, wenn das eigene Spiel die Nase vorn hat. Um vorab seine Chancen abzuschätzen, hatte Kiesling versucht, die Präferenzen der »Spiel des Jahres«-Juroren anhand ihrer veröffentlichten Kritiken herauszufinden: Wer würde wohl für welchen Nominierten stimmen? Sein subjektiver Eindruck: Gleichstand.
Und so mussten beide bangen und zittern. Welches Spiel würde wobei das Rennen machen? »Ich würde lügen, wenn ich jetzt sagen würde, ich hätte nicht sehr stark gehofft«, sagt Warsch. Die Anspannung sei wie bei einem alles entscheidenden Würfel- wurf gewesen: »Du darfst fast alles würfeln, nur nicht den Einser oder Zweier – und dann würfelst du meistens genau den.«
Jeder Autor ist begierig auf diese beiden deutschen Auszeichnungen. »Spiel des Jahres« gilt sogar als der bedeutendste Spielepreis weltweit. Er verschafft großes Renommee und öffnet den Autoren die Verlagstüren wesentlich leichter. Dieses Qualitätslabel, das eine Kritikerjury seit 1979 vergibt, verspricht binnen eines Jahres Verkäufe im sechsstelligen Bereich – eine Zahl, die Neuheiten sonst nur in seltenen Ausnahmefällen erreichen. Entwickelt sich der Titel gar zum Dauerbrenner, sprudeln die Tantiemen mehrere Jahre lang.
Wolfgang Warsch, dem das »Kennerspiel des Jahres« zuerkannt wurde, war bisher als Molekularbiologe in der Krebsforschung tätige. Nun hat er seine Universitätslaufbahn beendet und wird in die Privatwirtschaft wechseln. Aber nicht sofort. Zunächst einmal möchte er sich voll auf die Spiele fokussieren. »Wenn ich jetzt in eine Firma gehe, müsste ich 80 Prozent von dem, was ich an Spielen mache, sofort einstellen.« Das will er nicht. »Wann, wenn nicht jetzt?« sagt er sich. Da verschafft ihm die frische Auszeichnung ein willkommenes Sicherheitspolster.
Der Name Warsch war bis vor einem halben Jahr selbst Spieleexper- ten kein Begriff. Zwei eher unauffällige Veröffentlichungen standen zu Buche, bis auf der Spielwarenmesse im Frühjahr 2018 gleich vier WarschTitel erschienen, von denen drei mächtig einschlugen.
»Ideen für Spiele hatte ich schon immer. Nur brauchst du ein gewisses Handwerkszeug, damit ein gutes Stück draus wird«, meint er. Ein Englandaufenthalt habe ihn weitergebracht. Dreieinhalb Jahre lang war er beruflich mit seiner Frau an der Uni in Cambridge. An den Wochenenden dort spielte er mit Freunden und lernte die wichtigsten modernen Brettspiele kennen. Warsch verschaffte sich den nötigen Hintergrund, und die neuen Ideen begannen zu sprudeln.
»Ich mag das, abstrakt zu denken und etwas komplett im Kopf zu entwickeln. Und ich mag das Gefühl, das du hast, wenn eine tolle Idee aufkommt.« Warsch vergleicht die Arbeit an Spielen mit der als Grundlagenforscher: »Du hast einen Grundstock an Wissen und musst schauen, dass du möglichst etwas Neues entdeckst. Und dann hoffst du, dass bei den Experimenten das Richtige herauskommt.« Das sei beim Austesten eines neuen Spiels auch so. In Gedanken kann es gut funktioniert haben, doch am Ende zählt das praktische Ergebnis: »Da kann es passieren, dass dir innerhalb von fünf Minuten Testspielphase klar wird, dass du komplett auf dem falschen Weg warst und drei Wochen umsonst nachgedacht hast.«
Eine solche Lust am Entwickeln treibt auch Michael Kiesling. »Ich bin ein Tüftler«, sagt er von sich. Schon als Kind habe er gerne Dinge gebaut und mit Technik herumgespielt, habe Geräte und Steuerungen entwickelt. Beispielsweise, um per Diaprojektor mit Tonbandgerät eine professionelle Multimedia-Präsentation des Familienurlaubs zu erstellen. Folgerichtig schlug Kiesling später die Ingenieurslaufbahn ein und betreibt heute ein Softwareunternehmen.
Schon als Student hatte er einen ersten Spieleentwurf eingereicht, der allerdings abgelehnt wurde. Doch der Autor in spe ließ nicht locker. Denn Spiele auszutüfteln, sei für ihn doppelt belohnend: »In der Firma entwickeln wir kaufmännische Software. Das ist rein sachlich. Wenn die bestellte Provisionsabrechnung funktioniert, würde kaum ein Kunde jubeln: Oh Mann, toll, wir freuen uns! Im Spielebereich hingegen spüre ich immer wieder, dass es eine wahre Freude ist, wenn man anderen eine machen kann.«