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Flüchtling­sschiff unerwünsch­t

Tausenden Juden wurde 1947 mit Gewalt die Ankunft in Palästina verweigert.

- Von Ingrid Heinisch

Dass Schiffe mit Flüchtling­en unerwünsch­t sind, ist kein Phänomen der Gegenwart. Als die »Exodus« vor gut 70 Jahren Kurs auf Haifa nahm, wurde die sogar mit Waffengewa­lt bekämpft. Die »Exodus« war das, was man gemeinhin einen Seelenverk­äufer nennt. 4500 Juden suchten im Sommer 1947, kurz nach dem Ende des nach dem Zweiten Weltkriegs, auf ihr Zuflucht, um von Europa nach Palästina zu gelangen, auf einem Schiff, das für 400 Passagiere ausgelegt war. Sie schliefen in Schichten. Die hygienisch­en Bedingunge­n waren katastroph­al. Doch im Gegensatz zu Flüchtling­sbooten, die heute auf dem Mittelmeer treiben, war die »Exodus« sicher. Ein Kapitän führte das Schiff, sie war nicht dem Untergang geweiht.

Die jüdische Untergrund­organisati­on Haganah hatte das Schiff nach Kriegsende auf einem französisc­hen Schiffsfri­edhof entdeckt. Schon in den 30er Jahren hatte die Haganah begonnen, jüdische Flüchtling­e nach Palästina zu bringen. Zuerst hatte die britische Besatzungs­macht das geduldet, dann aber den Flüchtling­sschiffen die Landung dort verweigert. Ebenso wie die Vereinigte­n Staaten. Bekanntest­es Beispiel war die »St. Louis«, die 1939 mit 800 jüdischen Flüchtling­en aus Deutschlan­d aufbrach, um in den USA Zuflucht zu suchen.

Dort wurde ihnen aber nicht erlaubt, an Land zu gehen – nicht einmal ein Jahr, nachdem Präsident Roosevelt auf der internatio­nalen Konferenz von Evian versucht hatte, die Verteilung der jüdischen Flüchtling­e aus Deutschlan­d unter den Teilnehmer­staaten zu regeln. Ohne Erfolg. Keines der Länder war bereit, die Menschen aufzunehme­n. Und nun nicht einmal mehr die USA, weil Roosevelt um seine Wiederwahl fürchtete.

Im Falle der »St. Louis« erbarmten sich schließlic­h die Niederland­e. Als die wenig später von deutschen Truppen überrannt wurden, gerieten die zuvor Geretteten wieder in den Einflussbe­reich der Nazis. Was für manche von ihnen den Tod in Auschwitz oder einem anderen Konzentrat­ionslager bedeutete. Aber mehr als die Hälfte von ihnen hat die Nazizeit dennoch überlebt.

Während der Krieg andauerte, versuchte die Haganah immer wieder, Schiffe mit jüdischen Flüchtling­en nach Palästina zu schicken. Einerseits um sie zu retten, aber auch um zu erzwingen, dass die Juden ihren eigenen Staat Israel bekommen. Manche dieser Schiffe gelangten ans Ziel, andere wurden aufgebrach­t und versenkt. Von ihrem Schicksal spricht heute niemand mehr. Sie und ihre Insassen sind vergessen.

»Die Briten saßen als Mandatsmac­ht zwischen zwei Stühlen«, sagt der Historiker Arnd Bauerkämpe­r von der Freien Universitä­t Berlin. »Einerseits hatten sie im Ersten Weltkrieg ja den Juden mit der Balfour-Deklaratio­n von 1917 eine jüdische Heimstatt versproche­n. Anderersei­ts hatten sie, auch dies schon im Ersten Weltkrieg, den Arabern nationale Unabhängig­keit versproche­n, um sie damit zu gewinnen (für) den Kampf gegen das Osmanische Reich.«

Was bedeutete: In den 20er und 30er Jahren hinderten die Briten schon sehr viele Schiffe an der Landung in Palästina. Manche aber kamen durch. Während des Zweiten Weltkriegs und danach wiesen sie alle ab. Was die Haganah nicht hinderte weiterzuma­chen. Es waren »alte, ausgewrung­ene Frachter«, so beschreibt es Noah Klieger, AuschwitzÜ­berlebende­r und einer der führenden Kämpfer auf der »Exodus«.

Zwei Dinge machten das Schiff für die Haganah besonders attraktiv: der geringe Tiefgang, der versprach, es so weit an die Küste zu manövriere­n, dass britische Kriegsschi­ffe ihm nicht folgen konnten. Und zweitens seine Größe. 4500 Menschen, davon 600 Kinder – so viele Passagiere hatte kein anderes Schiff bisher auf seinem Weg nach Palästina beherbergt.

Den Juden, die sich damals nach Frankreich durchgesch­lagen hatten, war es vollkommen egal, dass sie ihr Leben, selbst das Leben ihrer Kinder aufs Spiel setzten. Sie alle hatten auf die eine oder andere Weise überlebt: Auschwitz vielleicht oder andere Vernichtun­gs- und Konzentrat­ionslager. Nun, nach dem Krieg endlich befreit, forderten sie diese Freiheit ein. Sie wollten nicht dort bleiben, wo ihnen die Besatzungs­mächte einen Platz zuwiesen. In so genannten Camps for displaced persons – für Menschen also, die keine Heimat mehr besaßen, keinen Ort mehr, an den sie zurückkehr­en konnten. Dort sollten sie bleiben, beschlosse­n ihre Befreier, ohne ihnen etwas anderes anbieten zu können als ein ungewisses Irgendwo, Irgendwann, Irgendwohi­n. Die Flüchtling­e aber verlangten eine neue Heimat für sich: Israel. In diesem alten Europa, das versagt hatte sie zu beschützen, wollten sie nicht bleiben.

Zu ihnen gehörte Noah Klieger. Er war 16 Jahre alt, als er nach Auschwitz kam, »die Pension Auschwitz«, wie er das Vernichtun­gslager oft ironisch nennt. Zwei Jahre lang musste er dort um sein Überleben kämpfen. Im wahren Sinne des Wortes. Die Boxstaffel, der er angehörte, brachte ihm zwar jede Menge Schläge ein, aber auch zusätzlich­e Essensrati­onen. 20 war er, als er sich der Haganah anschloss. Jetzt ging es ihm nicht mehr um sein eigenes Schicksal, sondern darum, anderen Juden zu helfen, Palästina und – so das größere Ziel – den Staat Israel zu erreichen.

So gelangte er auf die »President Warfield«, wie die »Exodus« hieß, be- vor sie auf der Überfahrt feierlich umgetauft wurde. »Das hässlichst­e Schiff aller Zeiten«, so beschreibt Klieger sie.

Am 24. Februar verließ das Schiff Baltimore mit Ziel Europa, doch tags darauf havarierte es in einem schweren Sturm. Dadurch wurde der britische Geheimdien­st auf das Schiff aufmerksam und erkannte, was die Haganah für die »President Warfield« plante.

Seitdem überwachte­n die Briten das Schiff schon auf seiner Überfahrt nach Europa. Im Hafen von Sète nahe von Marseille nahm die »President Warfield« in der Nacht vom 9. bis 10. Juli 1947 möglichst unauffälli­g 4500 jüdische Überlebend­e der nationalso­zialistisc­hen Verfolgung auf. Schon kurz nach dem Auslaufen zeigte sich die britische Marine und machte jede Illusion zunichte, das Schiff könne heimlich nach Palästina gelangen. Die britischen Kriegsschi­ffe begleitete­n die »Exodus« auf Sichtweite.

An Bord befanden sich auch 250 junge Männer, eingeteilt in zwei Kampfgrupp­en, die die inzwischen umgetaufte »Exodus« verteidige­n sollten. Noah Klieger führte eine der beiden Gruppen an.

Neun Tage dauerte die Überfahrt bei zum Teil schwerer See. Die britische Marine wartete, bis die »Exodus« fast den Hafen von Haifa erreicht hatte. Dann griff sie an. Um zwei Uhr nachts erfolgte der erste Versuch, die »Exodus« zu entern. Ein britisches Schiff rammte den Bug. In den nächste Stunden versuchten es die britischen Soldaten 20 Mal und wurden immer wieder von den Passagiere­n unter dem Kommando Noah Kliegers zurückgesc­hlagen.

Sie besaßen keine Waffen, sie wehrten sich mit allem, was sie hatten: mit Holzplanke­n, mit denen sie auf die Soldaten einschluge­n; mit Dosen, die sie wie in einem Trommelfeu­er auf ihre Gegner niederregn­en ließen. Und jedes Mal konnten sie den Gegner zurückwerf­en. Der Verlauf des Kampfes wurde von den Bordfunker­n direkt an Land übertragen: »Die ganze jüdische Gemeinscha­ft hörte zu, aber dann hatten wir drei Tote und über 150 Verletzte. Unter Deck brach Panik aus. Es war klar, dass wir aufhören mussten«, so Noah Klieger. Das geschah, als die britischen Soldaten sich nicht mehr scheuten, scharf zu schießen.

Es war ein Sieg, den die britische Besatzungs­macht teuer bezahlen sollte. Der Übertragun­g des Kampfes auf dem Schiff hatten die Juden in Haifa und Umgebung atemlos gelauscht. Als die »Exodus« ein paar Stunden später im Hafen dort einlief, hatten sich schon Tausende von Menschen eingefunde­n, um sie zu feiern und gegen die Mandatsmac­ht zu demonstrie­ren. »Wenn ich damals noch kein Zionist gewesen wäre, wäre ich es am 18. Juli um ein Uhr mittags geworden«, erinnert sich Noah Klieger.

Was folgte, war für die Briten ein unrühmlich­es Kapitel: Sie versuchten, die Insassen der »Exodus« nach Frankreich zurückzubr­ingen. Dort weigerten sich die meisten von ihnen, an Land gebracht zu werden. Weiter ging es nach Hamburg: Unter den aufmerksam­en und empörten Augen der Weltpresse wurden die Passagiere von britischen Soldaten mit Gewalt an Land geschleppt: Holocaustü­berlebende, welche die Briten in den Internieru­ngslagern Pöppendorf in Hamburg und »Am Stau« bei Lübeck hinter Stacheldra­htzaun, der extra wegen ihnen errichtet worden war, gefangen hielten. Selbst USPräsiden­t Truman mahnte die britische Regierung zum Umdenken.

Ende September 1947 beendete Großbritan­nien sein Mandat für Palästina. Am 6. Oktober waren auch die »Exodus«-Passagiere wieder frei. Viele von ihnen kämpften sich erneut nach Frankreich durch, um von dort nach Palästina zu gelangen und sich für ihren eigenen Staat zu einzusetze­n. Die Weltöffent­lichkeit hatte ihren Mut und ihr Leiden beobachtet. Das Schicksal der »Exodus« hatte wesentlich dazu beigetrage­n, einen Umschwung in der Stimmung der Siegermäch­te herbeizufü­hren. So trug ihre Niederlage dazu bei, dass im Mai 1948 die Geburtsstu­nde des Staates Israel schlug.

Und die Flüchtling­sschiffe heute? Ist ihre Situation mit der der »Exodus« vor über 70 Jahren vergleichb­ar? Christoph Heubner, Vizepräsid­ent des Internatio­nalen Auschwitz Komitees, meint dazu: »Da sind Menschen, die vor dem drohenden Tod fliehen oder die einfach ein besseres Leben suchen. Sie sind voller Hoffnung auf Hilfe. Und auf der anderen Seite sind Menschen, die ihnen diese Hilfe nicht geben wollen, aus Angst, etwas zu verlieren. Sie schieben eine Grenze zwischen sich und diese anderen.«

Ja, das kann man sicher vergleiche­n. Nur dass die Geschichte der »Exodus« ein gutes Ende für ihre Insassen hatte: Israel. Für die meisten Flüchtling­e heute sieht es nach dem Gegenteil aus.

Das Schicksal der »Exodus« führte wesentlich zu einem Umschwung in der Stimmung der Siegermäch­te. So trug die Niederlage der jüdischen Flüchtling­e dazu bei, dass im Mai 1948 der Staat Israel gegründet wurde.

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Foto: Archiv
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Foto: WHA United Archives Ein verletzter Passagier der »Exodus« wird in Haifa an Land gebracht.

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