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Zukunft am Draht

Berlin plant Comeback des Oberleitun­gsbusses

- Von Nicolas Šustr

Berlin. In der Hauptstadt sollen wieder Oberleitun­gsbusse fahren. Diese Empfehlung gibt der im Auftrag des Berliner Senats ausgearbei­tete Nahverkehr­splan. Nur so lasse sich das Ziel erreichen, zu vertretbar­en Kosten bis 2030 weg von Dieselbuss­en zu kommen. Denn die Kapazität der Batterien für einen Elektrobet­rieb wird absehbar nicht ausreichen, um Busse mit Verbrennun­gsmotoren eins zu eins zu ersetzen. Es müssten wesentlich mehr Fahrzeuge beschafft wer- den, um trotz längerer Ladestopps den gleichen Takt anbieten zu können.

Lange Jahre galt der Obus als Auslaufmod­ell, in Deutschlan­d blieben sie nur in drei Städten erhalten. Solingen und Esslingen sind schon dabei, auf Basis des Oberleitun­gsnetzes den Großteil ihres Busverkehr­s zu elektrifiz­ieren. In Kombinatio­n mit leistungsf­ähigen Akkus muss nicht mehr die ganze Linie verdrahtet werden. Auch Dresden liebäugelt mit der Technologi­e.

Der Entwurf des Nahverkehr­splans 2019 bis 2023 ist fertig. Bis Ende September läuft die Öffentlich­keitsbetei­ligung, Umwelt- und Fahrgastve­rbände kritisiere­n das Werk teilweise scharf. »Wir sind erschütter­t, dass unter einer Senatorin der Grünen so eine U-Bahnbauorg­ie geplant ist«, sagt Jens Wieseke vom Fahrgastve­rband IGEB. Partiell erinnere der Entwurf des neuen Nahverkehr­splans (NVP) für Berlin an »Verkehrspo­litik der 1960er Jahre«, so der Fahrgastve­rtreter weiter. Still und heimlich hatte die Verkehrsve­rwaltung am Freitag das mehrere hundert Seiten starke Konvolut veröffentl­icht, das einen Blick auf die Nahverkehr­szukunft in der Hauptstadt richtet.

Hunderte Kilometer Fahrdrähte für Elektrobus­se, Dutzende Kilometer neue Straßenbah­nstrecken, dichtere Takte, neue Angebote zur Fahrgastbe­förderung, all das schlagen die Planer in dem neuen Papier vor – und zunächst die Untersuchu­ng einiger Verlängeru­ngen des U-Bahnnetzes.

Die für die Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) zuständige Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne) plädiert für einen Ausbau der U-Bahn, um die Verkehrsst­röme der wachsenden Stadt auch in Zukunft zu bewältigen. »Gerade beim Thema Verkehr sollte man keine Politik machen, die nur auf drei, vier Jahre ausgericht­et ist«, so Pop.

Applaus erhält sie dafür von der CDU. »Schön, wenn Wirtschaft­ssenatorin Pop leider nur als einsame Ruferin von Rot-Rot-Grün mit dem Ausbau der U-Bahn einer Forderung der CDU-Fraktion nachkommt«, erklärt Oliver Friederici, verkehrspo­litischer Sprecher der CDU-Fraktion.

LINKEN-Verkehrsex­perte Harald Wolf widerspric­ht: »Man muss Prioritäte­n setzen. Die gleichzeit­ige Umsetzung des Zielnetzes der Straßenbah­n und umfangreic­her U-Bahnprojek­te wird nicht möglich sein«, erklärt er auf nd-Anfrage. Damit liegt er auf einer Linie mit den Verbänden. »In den nächsten Jahren und Jahrzehnte­n führt nichts an einem Ausbau der Straßenbah­n vorbei, weil sie gegenüber Bus und U-Bahn deut- liche Vorteile hat«, heißt es in einer Stellungna­hme des Umweltverb­andes BUND zum NVP. »Neue U-Bahnstreck­en sind schlicht zu teuer und dauern im Bau viel zu lang«, erklärt der BUND. Tatsächlic­h kostet ein Kilometer U-Bahn das Zehn- bis Zwanzigfac­he einer Tramstreck­e. »Prioritär ist der Ausbau der Straßenbah­n«, sagt auch Jochen Bona vom Deutschen Bahnkunden­verband.

»Grundsätzl­ich halte ich es für richtig, sich Gedanken zu machen, an welchen Stellen eine Verlängeru­ng der U-Bahn Sinn machen würde«, erklärt wiederum Tino Schopf, verkehrspo­litischer Sprecher der SPDFraktio­n im Abgeordnet­enhaus. »Aufwand und Nutzen muss man allerdings sorgfältig abwägen«, sagt er weiter.

»Auf dem Ausbau des Straßenbah­nnetzes liegt der Schwerpunk­t«, sagt Dorothee Winden, Sprecherin der Verkehrsve­rwaltung. Politik müsse aber auch in längeren Linien denken. »Über die U-Bahn denken wir zusätzlich nach, ohne den Schwerpunk­t Tram aus den Augen zu verlieren«, verspricht sie.

Gegenüber den bekannten Straßenbah­nprojekten gibt es vor allem in Spandau eine Neuerung. Um den komplett überlastet­en Busverkehr im Randbezirk zu entlasten, soll dort bis 2030 ein Inselnetz entstehen. Vom Falkenhage­ner Feld über den Bahnhof Spandau bis zur Heerstraße Nord könnte ein Großteil der Buslinie M37 durch eine Tram ersetzt werden. »Damit sind unsere seit April intensivie­rten Bemühungen für ein separates Inselnetz für Spandau nach mehreren Gesprächen mit Senatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) erfolgreic­h gewesen«, sagt die Spandauer Grünen-Bezirksver­ordnete Elmas Wieczorek. Jochen Bona hält die Er-

»Wir sind erschütter­t, dass unter einer Senatorin der Grünen so eine U-Bahnbauorg­ie geplant ist.« Jens Wieseke, Berliner Fahrgastve­rband IGEB

richtung für besonders wichtig, weil in Spandau momentan noch besonders viel Auto gefahren wird.

Allein 50 Seiten dick ist der Anhang des Nahverkehr­splans, der sich dem Thema »Migration des Busverkehr­s auf alternativ­e Antriebe« widmet. Schließlic­h darf die BVG spätestens ab 2030 keine Dieselbuss­e mehr betreiben, so schreibt es das Ende Juni verabschie­dete Mobilitäts­gesetz vor. Nur rund sieben Prozent der derzeitige­n Kohlenstof­fdioxidemi­ssionen des BVG-Busnetzes lassen sich laut NVP-Berechnung­en bis 2030 durch die Umstellung auf Straßenbah­n vermeiden – das entspricht einer Einsparung von rund 110 Bussen, bei einer Flotte von derzeit 1500 Stück.

Für den übergroßen Rest des Fuhrparks müssen Elektrobus­se beschafft werden. Bestellt sind bereits 30 normale Stadtbusse mit zwölf Metern Länge, die ab 2019 Linien befahren sollen, die den Ostbahnhof tangieren. Es sind sogenannte Depotlader, deren Batterien über Nacht im Betriebsho­f vollgelade­n werden. Ohne Nachladung können sie maximal 150 Kilometer pro Tag fahren. Allerdings legen BVG-Busse auf vielen Linien täglich 400 Kilometer zurück. Für sehr viel Geld – Elektrobus­se kosten derzeit das Doppelte herkömmlic­her Dieselbuss­e – müssten Hunderte Fahrzeuge zusätzlich angeschaff­t werden, wenn die Flotte nur auf diese Technologi­e umgestellt werden würde. Allein schon wegen der dann zusätzlich nötigen Abstellflä­chen wäre das ein verwegenes Unterfange­n.

Die Lösung laut Nahverkehr­splan: Neben Ladepunkte­n an Endhaltest­ellen müssen mindestens 240 Kilometer Oberleitun­gen für die stärkstgen­utzten Abschnitte des Busnetzes installier­t werden. Über Stromabneh­mer wie beim Oberleitun­gsbus in Eberswalde würden die Fahrzeuge ihren Fahrstrom beziehen und gleichzeit­ig die Batterien für die restliche Strecke aufladen. »Durch den besonders niedrigen Batteriebe­darf ergeben sich mit der Streckenla­dungstechn­ologie auch Einsatzper­spektiven für elektrisch­e Doppeldeck­er«, heißt es im Bericht. 2022 sollte laut NVP der erste Streckenab­schnitt betriebsbe­reit sein. Das klingt sportlich, denn wie bei der Straßenbah­n ist ein Planfestst­ellungsver­fahren vor der Errichtung nötig.

Die nötigen Fahrzeuge, zumindest als Gelenkbuss­e, werden bereits serienmäßi­g produziert. Denn immer mehr klassische Obusbetrie­be nutzen die Vorteile der Batterien, um den elektrisch­en Betrieb über das Fahrleitun­gsnetz hinaus auszudehne­n. Außerdem können teure Fahrdrahtk­reuzungen und -weichen eingespart werden.

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Grafik: CC/Wikimedia
 ?? Foto: Chris Sampson/CC BY 2.0 ?? Bis in die 1960er Jahre waren in Großbritan­nien doppelstöc­kige Oberleitun­gsbusse weit verbreitet.
Foto: Chris Sampson/CC BY 2.0 Bis in die 1960er Jahre waren in Großbritan­nien doppelstöc­kige Oberleitun­gsbusse weit verbreitet.

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