Im dauernden Wandel
Siemens-Boss Joe Kaeser hat wieder einmal ein neues Konzept für den Münchner Konzern vorgelegt
Die bösen »Heuschrecken« müssen herhalten, um einen weiteren Umbau zu rechtfertigen. Tatsächlich ringt Siemens wie viele Konzerne um die richtige Aufstellung für den globalen Konkurrenzkampf. »Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass jeder, der lange Verantwortung tragen darf, noch dazu, wenn er Erfolg hat, sich von der Realität entfremdet«, sagte Siemens-Chef Joe Kaeser einer Sonntagszeitung. Auch in der Wirtschaftsberichterstattung wird gerne personalisiert. So war dem Erfolgsmanager zuletzt häufiger ein Sonnenkönig-Image aufgepappt worden: Kaeser sonne sich im Erfolg seiner Visionen, speise mit US-Präsident Donald Trump und mische sich in die Politik ein. Und er kokettiere mit Rückzug, hieß es. Fakt ist: Sein Vertrag läuft bis 2021. Und bis dahin scheint Kaeser noch einiges vor zu haben.
Wieder einmal soll der Technikkonzern fit gemacht werden für zukünftige Herausforderungen. Der Vorstandsvorsitzende rechtfertigt die neuen Spielregeln »Nächste Generation Siemens« mit der Abwehr potenzieller Angreifer: »Wir wollen über unsere Zukunft selbst entscheiden, egal was da draußen bei Aktivisten oder den Zockern im Börsencasino gerade passiert.«
Kaeser zielt auf »aktivistische Aktionäre«, die Druck auf Vorstände machen, Konzerne aufzuspalten, um an der Börse Kasse zu machen. So droht der Düsseldorfer Traditionskonzern Thyssen-Krupp unter dem Ansturm von zwei Rambo-Aktionären auseinanderzubrechen. Der Aus- gang ist noch offen. Doch Vorstandsund Aufsichtsratsvorsitzender traten bereits zurück.
Solche Attacken nehmen auf dem Kapitalmarkt seit Jahren wieder zu. Sie treffen allerdings nur einen kleinen Kreis. Der US-Branchendienst »Activist Insight« zählt weniger als 1000 Versuche von Finanzinvestoren pro Jahr weltweit. Doch auch »normale« Aktionäre entfachen häufig Feueralarm, um höhere Dividenden und Börsenkurse zu erzielen.
Für Aktionäre sind die Teile oft mehr wert als das Ganze. Konglomerate wie Thyssen-Krupp oder Siemens bestehen eigentlich aus unterschiedlichen Firmen. Diese könnten profitieren, wenn sie selbstständig agieren. Zum einen scheint es einfacher, Firmen zu leiten, die sich auf eine einzige Aufgabe spezialisieren. Zugleich kann die Teilung den Bör- senkurs puschen. Denn auch für Analysten sind überschaubare Unternehmen leichter einzuschätzen.
Kritiker sehen dagegen in Konglomeraten zwei große Vorteile: Zum einen könnten viele Funktionen zentral zusammengefasst und dadurch kostengünstiger bearbeitet werden. Vor allem seien Mischkonzerne weniger krisenanfällig – wenn ein Geschäftsbereich schwächele, habe ein anderer Hochkonjunktur.
Nach fünf erfolgreichen Jahren fügte Kaeser vergangene Woche seiner Strategie »Vision 2020« ein Pluszeichen hinzu und nennt sie jetzt »Vision 2020+«. Schon die im Mai 2014 vorgestellte Vision hatte harte Einschnitte für die 370 000 Beschäftigten des lahmenden Elektronikers mit sich gebracht. Doch Kaeser steigerte damit – von der guten Konjunktur beflügelt – Umsatz, Gewinn und Akti- enkurs. Der alte Konkurrent General Electric schreckte vor einer solchen Rosskur zurück, klagen Branchenanalysten, und scheint nun abgehängt. »Nicht die größten Unternehmen werden überleben«, so Kaeser, »sondern die anpassungsfähigsten.«
Der in 200 Ländern aktive Konzern will seine Struktur nun nochmals drastisch »vereinfachen« und »den einzelnen Geschäften deutlich mehr unternehmerische Freiheit geben«. Die »starke Marke« Siemens soll aber über allem stehen. Aus fünf Konzernsparten sollen drei »operative Gesellschaften« (Kraftwerke, Infrastruktur, Industrie) werden, die selbstständig operieren. Rechtlich bleiben sie erst einmal unselbstständig. Anders als die drei »strategischen Gesellschaften« (Medizintechnik, Erneuerbare Energien, Bahn), die teils bereits an Börsen gelistet sind, in Deutschland, Spa- nien und zukünftig Paris. Kaeser will also beides, hoch spezialisierte und dadurch wettbewerbsfähige Gesellschaften, die doch den Verbundvorteil eines Mischkonzerns nutzen.
Mit der »Vision 2020+« setzt Siemens auf einen verbreiteten Trend, mehr Kompetenz ins Ausland zu verlagern, dorthin, wo 85 Prozent des Geschäftes gemacht werden. So soll die neue Kraftwerkssparte »Gas and Power« von Lisa Davis in Houston, Texas, geleitet werden. Die Münchner Zentrale wird auf wenige Kernaufgaben von strategischem Gewicht geschrumpft. Eine »Holding« werde das aber nicht, versichert Siemens. Der Umbau soll schon im März 2019 abgeschlossen sein. Wohl mit dem Segen von Betriebsräten und IG Metall. Nur bei einer »richtigen« Holding wären die deutschen Mitbestimmungsrechte in Gefahr.