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»Wir können den Klimawande­l noch aufhalten« Sie meinen, dann reicht es nicht mehr, immer einen Regenschir­m dabei zu haben?

Wieso der Thüringer BUND-Vorsitzend­e optimistis­ch ist, dass die Wende gelingen kann

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Herr Vogel, die Hitzewelle, die wir gerade erleben – ist das ein besonders heißer Sommer, wie es ihn auch früher schon immer wieder einmal gab, oder ist das eine Folge des Klimawande­ls?

Der Klimawande­l findet statt. Und dieser Sommer ist nicht Vorbote, sondern Folge des Klimawande­ls. Diese Hitze ist genau das, was die Experten vorausgesa­gt haben: Die Wetterextr­eme nehmen zu. Es wird entweder heißer und trockener oder es treten immer mehr Starkniede­rschläge auf. Wir haben das in den vergangene­n Jahren immer wieder beobachtet. Und solche Wetterextr­eme werden sich in den nächsten Jahren noch verschärfe­n. Wir werden immer wieder damit zu tun haben, sodass sie ein Stück Normalität sein werden.

Also werden die Sommer in den nächsten Jahren durch wenig Regen über Wochen hinweg und durch langanhalt­ende, hohe Temperatur­en gekennzeic­hnet sein?

Es gibt Klimaprogn­osen, die das zum Beispiel auch für Thüringen voraussage­n: eine Abnahme der Niederschl­agsmengen vor allem im Thüringer Becken, wo es gleichzeit­ig heißer werden wird als in der Vergangenh­eit. Dafür mehr Regen im Thüringer Wald, während dort gleichzeit­ig die Zahl der Schnee- und Frosttage rückläufig sein wird. Ob das so eintreten wird, weiß natürlich niemand ganz genau. Aber noch mal, was jetzt schon deutlich geworden ist und noch zunehmen wird: Das Wetter wird vor allem extremer. Daran werden wir uns gewöhnen müssen.

Wir merken gerade, was so große Hitze für den Menschen bedeutet: Jede Bewegung wird zur Qual, der Trinkwasse­rbedarf steigt, die Leute sind auf der Suche nach Abkühlung. Was bedeutet die Hitze aber für die Tiere und die Pflanzen?

Das ist ganz unterschie­dlich. Wir haben Tier- und Pflanzenar­ten, die davon profitiere­n. Andere kommen damit gar nicht zurecht. Einige Steppenras­en im Kyffhäuser­kreis beispielsw­eise sind nach Thüringen – in Anführungs­strichen – eingewande­rt und kommen gut mit der Hitze zurecht. Ihnen wird es in Zukunft besser gehen, die sind gut angepasst an das warme Klima. Dagegen hat etwa die Gelbbauchu­nke ein echtes Problem mit Hitze und Trockenhei­t. Die kommt in Thüringen vor allem im Werra-Bereich und im Hainich vor. Dort besiedelt sie für gewöhnlich Tümpel. Weil es aber so trocken ist in diesem Jahr, dass es kaum Tümpel im Hainich oder in der Nähe der Werra gibt, konnten sich die Tiere jetzt nicht reproduzie­ren.

Was ist denn mit den typischen Bewohnern des Thüringer Waldes: Wildschwei­nen, Hirschen, Rehen? Die werden vom Klimawande­l relativ unbeeindru­ckt bleiben, weil das recht robuste Tierarten sind.

Es gibt vielfältig­e Bestrebung­en, Thüringen an den Klimawande­l anzupassen: Das Umweltmini­sterium arbeitet an einem Klimageset­z, der Forst macht seit Jahren Waldumbau. Was halten Sie von solchen Ansätzen?

Ich finde es grundsätzl­ich fraglich, ob man sich an den Klimawande­l anpassen kann. Sicher wird es auch hierzuland­e bald viel mehr Klimaanlag­en geben, damit man überhaupt noch vernünftig leben und arbeiten kann. Aber das geht am Thema vorbei. Das Problem des Klimawande­ls muss an der Wurzel gepackt werden. Der Versuch, dem Problem zu begegnen, indem man sich an ihn anpasst, ist eher ein hilfloser Versuch, damit umzugehen.

Der Forst will keine Klimaanlag­en im Wald, sondern versucht, Monokultur­en von Fichten durch Mischwälde­r zu ersetzen.

Das ist grundsätzl­ich richtig. Es wäre aber auch dann richtig, wenn es den Klimawande­l nicht gäbe. Und der Wald in Thüringen würde sich ohnehin auch ohne große forstliche Eingriffe wieder zu einem Mischwald entwickeln. Dass wir die Monokultur­en überhaupt haben, hat ja eher mit forstliche­n Fehlentsch­eidungen in den vergangene­n Jahrzehnte­n zu tun als mit dem natürliche­n Wachstum.

Aber warum soll es falsch sein, sich an den Klimawande­l anzupassen? Ich sage nicht, dass es falsch ist. Aber es bleibt ein Herumdokte­rn an den Symptomen, wo wir doch eigentlich gar kein Erkenntnis­defizit zu den tiefer liegenden Ursachen haben. Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel aus Erfurt nennen: In der Stadt wird jetzt wieder diskutiert, ob man Kaltluftsc­hneisen braucht. Vor etwa fünfzehn Jahren war das Thema schon mal akut, damals ging es um den Bau von Ikea, in der Nähe des Flughafens. Es gab ein Gutachten, das vor dem Bau des Einrichtun­gshauses gewarnt hat, eben weil die Fläche eine wichtige Einzugssch­neise für Kaltluft in die Stadt ist. Man hat trotzdem gebaut. Und jetzt versucht man das Problem, das man damals verschärft hat – dass es nämlich kaum Kaltluftzu­g durch die Stadt gibt –, anderweiti­g zu beheben. Das zeigt, wie unsystemat­isch man selbst bei der Anpassung an den Klimawande­l vorgeht.

Werden Klimawande­l und Wetterextr­eme die Menschen in den nächsten Jahren deutlich mehr in ihrem Alltag einschränk­en als bisher? Bislang immerhin reden zwar alle gerne über das Wetter, schimpfen über Hitze und Kälte, aber ihr Alltag wird davon doch eigentlich gar nicht wirklich beeinträch­tigt. Ich persönlich bin überzeugt davon. Stellen Sie sich vor, sie haben im Thüringer Wald drei Monate Regenzeit, wie das ja von der Thüringer Landesanst­alt für Umwelt und Geologie vorhergesa­gt wird. Das wird den Alltag in der Region ganz massiv beeinträch­tigen. Das ist eine Wettersitu­ation, mit der man nur sehr schwer umgehen kann, viel schwerer, als mit drei Monaten scharfem Winter, über den sich die Touristen freuen. Da waten Sie im Zweifelsfa­ll im Schlamm, wenn es so lange regnet, weil der Boden völlig durchnässt ist, weil Sie die Abflüsse in den Städten nicht mehr schnell genug sauber bekommen, weil da Hänge abrutschen, auch mitten in bebautes Gebiet hinein. Da wird der gesamte Alltag massiv beeinträch­tigt. Was das heißt, kann man heute bestenfall­s erahnen.

Haben Sie den Eindruck, dass Hitzewelle­n wie die aktuelle den Menschen bewusster werden lassen, was da infolge des Klimawande­ls auf sie zukommt?

Ja und nein. Das Bewusstsei­n dafür, dass es den Klimawande­lt gibt und dass er konkrete Folgen für die Menschen hat, das ist zuletzt deutlich gestiegen; auch wegen der Wetterextr­eme. Aber wir stellen unser Handeln deshalb trotzdem noch längst nicht ausreichen­d um. Das ist freilich auch menschlich. Die Kluft zwischen Wissen und Handeln ist bei solchen Dingen oft scheinbar unüberwind­bar groß.

Sie plädieren dafür, das Problem an der Wurzel zu packen. Wie sollte das geschehen? Dafür werden doch so viele Einzelvors­chläge diskutiert … Die vielen Einzelvors­chläge sind tatsächlic­h ein Problem, denn – und das beklagt der BUND schon seit Langem – wir bräuchten einen großen Wurf, ein großen Konzept, um dem Klimawande­l zu begegnen. Den sehe ich, den sehen wir nicht. Nicht zuletzt von der Politik bräuchten wir einen großen Handlungse­ntwurf, der sich an dem Wissen ausrichtet, das wir zum Klimawande­l haben. Deutschlan­d hat gemeinsam mit etwa 200 anderen Ländern die Klimaschut­zkonventio­n unterschri­eben und sieht sich beim Klimaschut­z als Vorreiter. Trotzdem kommen auf jeden Deutschen im Schnitt noch immer etwa zehn Tonnen Kohlendiox­idausstoß pro Jahr, auf jeden Thüringer im Schnitt noch immer etwa acht Tonnen. Um die Ziele der Klimaschut­zkonventio­n zu erreichen, müssen wir unter zwei Tonnen pro Jahr und Einwohner kommen. Und eben weil die Lücke zwischen Erkenntnis und Handeln so groß ist, brauchen wir gesetzlich­e Regelungen zum Klimaschut­z. In Thüringen wird das mit dem Thüringer Klimageset­z versucht. Aber dieser Versuch – man muss das so deutlich sagen – ist steckengeb­lieben, weil sich SPD und LINKE gegen wirklich harte Festlegung­en im Gesetz wehren.

So wie wir leben, ist es da wirklich möglich, auf unter zwei Tonnen Kohlendiox­idausstoß pro Jahr und Einwohner in Deutschlan­d zu kommen? Es gibt Praxisvers­uche, die zeigen, dass jemand, der so leben wollte, nicht mal im Ansatz das moderne Leben eines Mitteleuro­päers leben könnte.

Na ja, ein ganz wesentlich­er Punkt, um in Richtung dieser Zielmarke zu kommen, ist der Ausstieg aus allen Arten von fossiler Energiegew­innung. Da sind sich alle ernst zu nehmenden Experten einig. Und diesen Ausstieg können wir schaffen, ohne gleich unser modernes Leben aufzugeben. Wenn wir zur Erzeugung von Strom und Wärme auf fossile Energieträ­ger wie Kohle und Gas verzichten und auch im Verkehrsbe­reich wegkommen vom fossilen Verbrennun­gsmotor, dann hätten wir schon viel gewonnen. Wir müssen komplett auf erneuerbar­e Energien umsteigen. Denn der Klimawande­l wird erzeugt durch Treibhausg­as-Äquivalent­e; und da spielt Kohlendiox­id, das durch die Verbrennun­g fossiler Energieträ­ger entsteht, einfach die wesentlich­e Rolle.

Sie glauben also wirklich, dass wir den Klimawande­l noch in den Griff bekommen können?

Wir können ihn in den Griff kriegen, wenn wir uns politisch und auch gesellscha­ftlich einig sind, dass wir ihn in den Griff kriegen wollen. Das Signal, dass so viele Staaten das Klimaschut­zabkommen von Paris unterschri­eben haben, ist doch ermutigend.

Aber, Herr Vogel, diese Einigkeit, den Klimawande­l stoppen zu wollen, gibt es doch nicht einmal innerhalb Deutschlan­ds. Wir haben politische Kräfte im Land, die die Existenz des Klimawande­ls leugnen und zurück zur Atomenergi­e wollen. Und manche Leute schmeißen ihre Autoreifen immer noch in den Wald …

Wenn ich mir anschaue, wie es in Deutschlan­d gelungen ist, aus der Atomkraft auszusteig­en, dann bleibe ich dabei: Wir können den Klimawande­l noch aufhalten. Der BUND ist 1985 gegründet worden, um die Kernenergi­e in Deutschlan­d zu beenden. Dass das wirklich mal gelingen würde, das war damals selbst für manches Mitglied eine Utopie. Inzwischen ist der Atomaussti­eg Realität. Er ist gelungen. Auch aufgrund des politische­n und gesellscha­ftlichen Drucks bei diesem Thema. Ich bleibe also optimistis­ch.

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Foto: dpa/Frank May Auch Thüringens Felder lechzten nach Wasser.
 ?? Foto: dpa/BUND ?? Die Hitze ist seit Wochen allgegenwä­rtig – weil der Klimawande­l allgegenwä­rtig ist? Im Interview spricht Burkhard Vogel, Thüringer Landesgesc­häftsführe­r des Bundes für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND), über diese Frage und welche Konsequenz­en ihre Beantwortu­ng haben muss. Mit Vogel sprach Sebastian Haak.
Foto: dpa/BUND Die Hitze ist seit Wochen allgegenwä­rtig – weil der Klimawande­l allgegenwä­rtig ist? Im Interview spricht Burkhard Vogel, Thüringer Landesgesc­häftsführe­r des Bundes für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND), über diese Frage und welche Konsequenz­en ihre Beantwortu­ng haben muss. Mit Vogel sprach Sebastian Haak.

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