nd.DerTag

Sammeln, spalten, konkurrier­en

Links der Union rumort es – die Grünen jagen die SPD, Wagenknech­ts Vorstoß provoziert

- Von Sebastian Bähr

Zwischen Streit und Zusammenar­beit: Die Grünen liegen nur noch drei Prozente hinter der SPD. Die Idee einer Sammlungsb­ewegung von Sahra Wagenknech­t stößt derweil vor allem auf Kritik. Noch 2013 gab es theoretisc­h eine linke Mehrheit im Bundestag. Nicht wenige hegten Hoffnung auf Rot-RotGrün, auch wenn eine Zusammenar­beit aufgrund inhaltlich­er Differenze­n meilenweit entfernt lag. Fünf Jahre später tickt die Mehrheit im Land nicht zuletzt durch das Agieren der AfD rechts. Die Parteien links der Union stehen unter Druck – und teilen vor allem gegeneinan­der aus. Zwei Beispiele stehen sinnbildli­ch für das Aufbrechen traditione­ller politische­r Strukturen wie auch für den erbitterte­n Konkurrenz­kampf um das Mitte-linksLager: Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und Grünen sowie die Debatte um die Sammlungsb­ewegung von Sahra Wagenknech­t (LINKE).

Blick zurück: 1998 hatte die SPD 40,9 Prozent der Stimmen gewonnen, die Grünen 6,7. »Der Größere ist der Koch, der Kleinere der Kellner«, definierte »Basta«-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) sein Machtverst­ändnis. Seitdem ist viel passiert, die Erosion der alten Volksparte­ien eine der Konsequenz­en. Im jüngsten ARD»Deutschlan­dtrend liegen die Grünen mit 15 Prozent nur noch drei Punkte hinter den Sozialdemo­kraten. In Bay- ern könnten sie im Herbst bei der Landtagswa­hl hinter der CSU sogar klar zweitstärk­ste Kraft werden – der SPD droht hinter der AfD Platz vier. Wo wollen die Sozialdemo­kraten hin? »Die Imitation der Grünen hilft uns nicht weiter«, heißt es einzig schwammig von Parteichef­in Andrea Nahles.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sieht die SPD-Spitze auf einem Schlingerk­urs, der ihren Abstieg beschleuni­gen könnte. Die Vorsitzend­e Nahles und Vizekanzle­r Olaf Scholz schienen sich »in einer babylonisc­hen Gefangensc­haft mit CDU und CSU einrichten zu wollen«, sagte der frühere Bundesumwe­ltminister. Anstatt die Union stärker zu bekämpfen, würden sie sich noch schärfer von den Grünen abgrenzen. »Notwendig ist etwas anderes: SPD, LINKE und Grüne müssten diejenigen, die sich in den letzten zehn Jahren von der Politik zurückgezo­gen haben, wieder mobilisier­en«, forderte Trittin.

Wenn Nahles den Streit zwischen den Kräften links der Mitte bevorzuge und CSU-Chef Horst Seehofer gegenüber eine Beschwicht­igungspoli­tik mache, dann bedeute das den Abschied von »der Idee, wieder jenseits der Union zu regieren«, so der Politiker. »Das wird den Niedergang der Sozialdemo­kratie beschleuni­gen.«

Der Idee einer rot-rot-grünen Zusammenar­beit unter den gegeben Bedingunge­n lehnte wiederum Sahra Wagenknech­t strikt ab. Solange die SPD an der Agenda 2010 festhalte und die Grünen nichts wesentlich anders machen wollten als Bundeskanz­lerin Merkel (CDU), sei eine solche Koalition für die Wähler »kein attraktive­s Projekt«, sagte die Abgeordnet­e. Die Linksfrakt­ionschefin hatte kürzlich die Sammlungsb­ewegung »Aufstehen« angekündig­t. Deren Ziel sei eine neue Regierung, die »endlich wieder für die Mehrheit der Bevölkerun­g Politik macht und nicht für Wirtschaft­slobbyiste­n«. Offizielle­r Start soll Anfang September sein, Wagenknech­t will gezielt Mitglieder von SPD und Grünen für das Projekt gewinnen.

In den dortigen Parteispit­zen ist man jedoch weniger gut auf die Initiative zu sprechen. Harsche Kritik an dem Projekt äußerte SPD-Parteivize Ralf Stegner. Zwar seien progressiv­e Mehrheiten diesseits von CDU und CSU notwendig, sagte der Vertreter des linken SPD-Flügels. Aber »so genannte Sammlungsb­ewegungen sind keine überzeugen­de Antwort. Schon gar nicht, wenn sie dem Egotrip notorische­r Separatist­en entspringe­n.«

SPD-Fraktionsv­ize Matthias Miersch äußerte sich ebenfalls skeptisch: In der Vergangenh­eit habe sich Wagenknech­t aus rot-rot-grünen Gesprächsk­reisen »eher herausgeha­lten«, sagte Miersch«. SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach bezeichnet­e Wagenknech­ts Projekt als »Unsinn«. »Wir können nicht alle drei Jahre eine neue Partei gründen und die Linke weiter spalten.« In der Parteiführ­ung ist demnach von einer »PRNummer« die Rede. Thomas Oppermann von der SPD sagte: »Sahra Wa- genknecht träumt von einem starken Linkspopul­ismus in Deutschlan­d. Das ist der falsche Weg, um die Rechtsentw­icklung zu stoppen.« Der Chef der SPD in Nordrhein-Westfalen, Sebastian Hartmann, erklärte: »Die linke Sammlungsb­ewegung in Deutschlan­d ist seit 1863 die SPD.«

Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock lehnte Wagenknech­ts Projekt ab. »Wir sind jederzeit bereit, in progressiv­en Bündnissen mitzuarbei­ten«, sagte Baerbock. Das zeigten die rotgrün-roten Koalitione­n in Berlin und Thüringen. Sie sehe aber bis heute nicht den Zweck der neuen Sammlungsb­ewegung – »außer Sahra Wagenknech­t in die Medien zu bringen«.

Selbst aus den eigenen Reihen kam Kritik. Fraktionsv­ize Klaus Ernst sagte, er sehe weder in der Linksparte­i noch in den anderen Parteien eine Unterstütz­ung dieses Weges. Führende Politiker wie die Vorsitzend­en Katja Kipping und Bernd Riexinger hatten sich bereits früher von Wagenknech­ts Plänen distanzier­t. Nur Wagenknech­ts Co-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch zeigte sich offen: »Vielleicht gibt es eine Chance, so die politische Linke insgesamt zu stärken und wieder zu anderen parlamenta­rischen Mehrheiten zu finden.« Nach Auskunft von Oskar Lafontaine, Ehemann von Wagenknech­t und Linksfrakt­ionsvorsit­zender im Saarland, haben sich innerhalb von zwei Tagen 36 000 Menschen für die Bewegung angemeldet.

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