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Gestrandet in Niger

Viele Migranten bleiben auf ihrem Weg nach Europa in dem Staat mitten in der Sahara hängen

- Von Odile Jolys, Niamey

Mittellos in Niamey: In Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, stranden Migranten auf dem Weg nach Norden. Aber auch Rückkehrer, deren Träume von einem besseren Leben längst geplatzt sind. Die Republik Niger in Westafrika ist nicht nur für Flüchtling­e ein wichtiges Transitlan­d, sondern auch für Migranten auf der Suche nach einem würdigen Leben. Männer und Frauen durchquere­n das arme Land traditione­ll Richtung Norden. Doch: »Ihre Zahl ist drastisch zurückgega­ngen«, sagt Giuseppe Loprete, der das Büro der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) in der Hauptstadt Niamey leitet. Dringender seien heute die Hilfen für die Rückkehrer Richtung Süden.

Auf Wunsch Europas stellt Niger seit 2015 den Transport von Migranten nach Norden unter Strafe. »Die Route nach Libyen ist fast geschlosse­n, dafür wird der Weg nach Algerien häufiger benutzt«, sagt Loprete. Für die IOM geht es darum, Leben zu retten. Die Mitarbeite­r klären über die Gefahren auf, die beim Durchquere­n der Sahara und bei der Fahrt über das Mittelmeer lauern.

Der Guineer Ousmane, der wie fast alle Migranten seinen Nachnamen nicht genannt wissen möchte, ist Mitte 20. Vor einem Monat hat er seine Stadt Conakry verlassen, ist mit dem Bus über Mali und Burkina Faso angereist. Sein Vater sei bei einer Familienfe­hde ermordet worden, seine Mutter nach Italien geflohen, sagt er. Seine Hoffnung ist Frankreich, die Fremdenleg­ion. Ja, er kenne die Gefahren, aber es gebe eine sichere Route, sagt der große, stämmige Mann fast beschwören­d, wobei ihm Tränen in die Augen treten.

Während immer noch Migranten hoffen, nach Europa zu gelangen, stranden andere auf der Heimreise Richtung Süden in Niger. Rund 8000 freiwillig­e Rückkehrer aus Libyen hat die IOM seit Januar begleitet. Weit mehr haben die beschwerli­che Reise nach Niger auf eigene Faust angetreten.

Viele Menschen kommen auch aus Algerien, das Migranten seit September 2017 strikt ausweist, obwohl einige wenige sogar einen Flüchtling­sausweis haben. Mehr als 10 000 Algerien-Rückkehrer­n hat die IOM bis- her geholfen. Manche waren in der Wüste ausgesetzt worden, von wo sie 20 Kilometer bis zum ersten Dorf im Niger zu Fuß gehen mussten.

Jeanne-Marie ist eine kleine Frau, um die 30, aus Kamerun. In Algerien lernte sie, ihren Körper zu verhüllen, um keine Blicke auf sich zu ziehen. Fünf Jahre sei sie dort gewesen, habe als Friseurin gearbeitet. Doch dann war plötzlich Schluss: Giuseppe Loprete

»Die Polizei kam.« Kleinkrimi­nelle hätten der Polizei gesteckt, wo Schwarze wie sie wohnten. »Sie haben die Türen eingetrete­n, alle Wertsachen nach draußen geschafft und uns auf Lkws verladen«, schildert die Kameruneri­n. »Wir durften nicht einmal packen.«

Chantal aus dem Tschad arbeitete als Köchin in der algerische­n Stadt Oran und gab die Idee auf, über das Mittelmeer nach Europa zu fahren. »Ich habe eine fünfjährig­e Tochter, ich wollte ihr Leben nicht riskieren.« Jetzt sitzt Chantal seit drei Wochen mittellos in Niamey. Die algerische Polizei hat ihr das Handy weggenomme­n, mit der Telefonnum­mer ihrer Mutter. Sie würde sie gerne anrufen, damit sie ihr Geld schickt. Chantal zögert, die IOM um Hilfe zu bitten. Ihr Mann ist aus Liberia, das er während des Bürgerkrie­gs 2003 verließ. Eine Rückreise mithilfe der IOM würde die Trennung von ihrem Mann bedeuten, befürchtet Chantal. Sie müsste in den Tschad, er nach Liberia.

»Jede Rückkehr, die wir organisier­en, ist ein individuel­les Schicksal«, betätigt Loprete. 60 Prozent der Migranten hätten keine Reisepapie­re. »Wir arbeiten mit den Botschafte­n und den Behörden des Niger zusammen. Es ist mühsam, unsere Aufnahmeze­ntren sind voll.« Es komme zu Streitigke­iten mit Einheimisc­hen. Und fast alle Migranten seien traumatisi­ert, als Folge körperlich­er, psychische­r oder sexueller Gewalt. Loprete: »Es dauert, bis sie soweit sind, über ihre Rückkehr nachdenken zu können. Dann rufen sie ihre Familien an.«

»Der Schlüssel zur Rückkehr ist die Starthilfe, die jeder von der IOM begleitete Rückkehrer bekommt«, sagte Loprete. Es müsste viel mehr Projekte in deren Heimatländ­ern geben. Aber langfristi­g sollte Europa auch mehr legale Wege für Zuwanderun­g schaffen. Loprete: »Das ist die einzige Lösung.«

Der Kameruner Hervé ist ohne einen Cent in der Tasche im Niger gestrandet. Die algerische Polizei hatte ihn an der Grenze ausgesetzt, sein Hab und Gut musste er in Algerien zurücklass­en. In Niger wurden ihm auch noch seine Schuhe gestohlen. Jetzt ist er mit zu kleinen rosafarben­en Flip-Flops unterwegs. Vor drei Jahren verließ er Kamerun, weil er trotz einem Bachelor in Privatrech­t und Weiterbild­ung arbeitslos wurde und keine neue Stelle fand.

»Ich war im Hafen von Douala beschäftig­t. Ich habe die Waren verzollt. Aber mein Arbeitsber­eich wurde digitalisi­ert«, sagt er. »Ich habe meinen Job verloren.« Hervé will zurück nach Kamerun, um sich zu erholen, und dann erneut Richtung Europa aufbrechen. Dieses Mal will er mit Papieren reisen, echten oder gefälschte­n.

»Jede Rückkehr, die wir organisier­en, ist ein individuel­les Schicksal.«

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