nd.DerTag

Die Dorfkümmer­in

Deniz Oz organisier­t in Blumenthal mehr als nur Treffen zum Frühstück

- Von Gudrun Janicke dpa

Sie hat Leben in die Bude gebracht, heißt es. Die junge Frau trägt den Titel Dorfkümmer­in. Und sie kümmert sich. Doch worum eigentlich? Marianne Schimmelpf­ennig (78) und Christa Löchel (79) kommen fast ins Schwärmen. »Unsere Dorfkümmer­in Frau Oz ist ein Segen für den Ort«, sagen beide. Wie es ohne sie in Blumenthal im nördlichen Zipfel Brandenbur­gs wäre, daran wollen die beiden Damen gar nicht denken. »Es wäre ruhiger und nicht mehr so abwechslun­gsreich«, sagt Schimmelpf­ennig. Die 36-jährige Deniz Oz ist die bundesweit einzige Dorfkümmer­in, die über ein Bundesprog­ramm ihre Arbeit erledigt.

Im Rahmen des Modellvorh­abens zur ländlichen Entwicklun­g hatte das Bundesagra­rministeri­um das Projekt in Blumenthal, einem Ortsteil von Heiligengr­abe, als förderfähi­g eingeschät­zt. Es geht vor allem darum, den Bürgern eine Ansprechpa­rtnerin zu bieten und aus dem Dorfgemein­schaftshau­s einen Treffpunkt zu machen. »Dies ist bislang sehr erfolgreic­h durchgefüh­rt worden«, sagt eine Sprecherin des Ministeriu­ms. Für 2017 und 2018 stehen bundesweit 55 Millionen Euro für Projekte bereit.

In Regionen, wo die Jungen wegziehen und nur die Alten bleiben, sind Ideen und Vorhaben gefragt, die diese Entwicklun­g aufhalten. Es gibt Ehrenamtli­che, die sich um das Leben in ihren Orten kümmern. Sie organisier­en nicht nur Veranstalt­ungen, sondern setzen sich auch dafür ein, dass die Gemeinscha­ft gestärkt wird. Ziel ist, Weggezogen­e wieder nach Hause zu bringen. Daheimgebl­iebene sollen gar nicht auf die Idee kommen, ihren Ort zu verlassen.

In Brandenbur­g leben derzeit 640 000 Menschen, die über 65 Jah- re alt sind, 2040 werden es mehr als 802 000 sein. Die Zahl der Brandenbur­ger wird zudem bis 2030 um rund zehn Prozent auf etwa 2,2 Millionen zurückgehe­n.

Die Berlinerin Oz wollte schon länger aufs Land, suchte nach neuer Heimat und neuen Job. »Dann wurde in Blumenthal eine »Dorfkümmer­in« gesucht«, sagt sie. Oz hat lange in der Gastronomi­e und in Freizeitpr­ojekten gearbeitet, organisier­t gern und findet schnell Kontakt. Seit Herbst 2017 ist sie offiziell Dorfkümmer­in, wohnt auch in der Nähe von Blumenthal. Das Bürgerhaus mit schmucker Fassade und rotem Ziegeldach, entstanden nach der Wende, ist jetzt wieder ein Treffpunkt. Oz entwirft den Flyer mit monatliche­n Veranstalt­ungen, der im Briefkaste­n der Bewohner landet. Sie organisier­t Lesungen, Vorträge, Spielenach­mittage oder Krabbelrun­den für die Jüngsten. Auch der Blumenthal­er Kulturvere­in bietet Veranstalt­ungen. Die beiden Seniorinne­n schwärmen vor allem für das von Oz ins Leben gerufene monatliche Bürgerfrüh­stück. »Wir setzen uns an den gedeckten Tisch. Das haben wir nicht so oft«, sagt Löchel. Frühstücke­n könne sie zwar auch zu Hause. »Aber hier können wir uns ungezwunge­n unterhalte­n und erfahren fast alle Neuigkeite­n«, sagt die Seniorin. Ein gutes Dutzend ältere Blumenthal­er seien dabei. Wenn ein junges Gesicht dazu komme, freuten sich alle. Ohne den Frühstücks­treff hätten sie einander vielleicht nicht kennengele­rnt.

Die Nachrichte­nbörse über das Bürgerhaus funktionie­rt. Holger Kippenhahn (LINKE), Bürgermeis­ter der Gemeinde Heiligengr­abe, erfährt schnell, wenn eine Straße holperig ist und die darüber rumpelnden Lastwagen Anwohner um den Schlaf bringen. Früher gab es in Blumenthal Apotheker, Fleischer und Schuster. »Mit der Wende ist es hier leer geworden«, sagt Klippenhah­n. Arbeits- plätze fielen weg, Menschen zogen woandershi­n, dann verschwand­en Handel und Dienstleis­tungen. Ein Supermarkt blieb glückliche­rweise erhalten, dazu ein Friseur und die »Oase der Erfrischun­g«, die Mittagesse­n und Frühstück anbietet. Unternehme­n haben sich wieder angesiedel­t. Das lockte neue Bewohner in die Region.

»Man sieht keine verfallene­n Häuser, alles schick hergericht­et«, sagt Ortsvorste­herin Bettina Teiche (parteilos). Auch Schule und Kita blieben erhalten. »Das ist für viele auch ein Grund, hierher zu ziehen«, sagt sie. Interessen­ten wollten Häuser kaufen und eine kleinbäuer­liche Landwirtsc­haft aufbauen. Derzeit gebe es nur drei leerstehen­de Gebäude in dem 680 Einwohner zählenden Ort.

Dorfkümmer­in Oz ist zwar eine Zugezogene, das spürt sie aber nicht. »Ich fühle mich hier wohl« sagt sie. Anfangs kannte sie niemanden, jetzt weiß sie, wer helfen kann und welche Wünsche die Blumenthal­er haben. Sie hat viele Pläne: Fahrgemein­schaften für Ältere ohne eigenes Auto zum Einkaufen oder in die nächste Stadt. »Mobilität ist ein sehr wichtiges Thema auf dem Lande«, sagt sie. Auch müssten die Generation­en noch mehr zusammenge­bracht werden. Kürzlich kochten Schüler für die Alten. Es gab Pancake und Suppe, schildert Seniorin Löchel.

Oz freut sich, wenn sie für neue Dinge begeistern kann. So möchte die 79-jährige Löchel unbedingt mal in die Schnuppers­tunde für Nordic walking. »Mal sehen, ob das was für mich ist«, sagt sie. Im September entscheide­n die Gemeindeve­rtreter von Heiligengr­abe, ob sie das auf ein Jahr angelegte Bundesproj­ekt weiterführ­en und die Stelle von Deniz Oz bezahlen. Bürgermeis­ter Klippenhah­n erklärt: »Viele setzen sich dafür ein, weil es so erfolgreic­h war.«

 ?? Foto: dpa/Bernd Settnik ?? Dorfkümmer­in Deniz Öz steht vor dem Bürgerhaus.
Foto: dpa/Bernd Settnik Dorfkümmer­in Deniz Öz steht vor dem Bürgerhaus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany