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Rinder-Pension statt Schlachtun­g

Sachsen-Anhalt: Landwirt schickt Kühe nach Thüringen

- Von Simon Ribnitzky, Tucheim

Für seine 600 Jungrinder musste Soeren Rawolle vorübergeh­end ein neues Zuhause finden. »Schon Anfang Juli war klar, dass wir nicht genug Futter haben, um bis zum nächsten Jahr zu kommen«, sagt der Geschäftsf­ührer der Agrargenos­senschaft Tucheim in Sachsen-Anhalt. Die Silos, wo sonst das Futter lagert, sind leer. Wie so viele kämpft auch der Betrieb im Jerichower Land mit den Folgen der Dürre. Auf den Grünlandfl­ächen sei nur ein Drittel der üblichen Menge geerntet worden, sagt Rawolle. »So etwas hatten wir noch nie. Das ganze Grünland ist mausetot.«

Der Betrieb verfolgt deshalb eine auf den ersten Blick ungewöhnli­che Idee: Er suchte einen Partnerbet­rieb, bei dem er einen Teil seiner Tiere quasi in Pension geben kann. Rawolle fand einen Partner in der Nähe von Erfurt in Thüringen. »Das war purer Zufall«, gibt er zu. Ein Viehhändle­r half bei der Vermittlun­g. Der gefundene Betrieb in Thüringen habe die Milchwirts­chaft gerade aufgegeben, aber noch Futter übrig gehabt, sagt Rawolle. Er sei ohnehin auf der Suche nach einem Partner gewesen.

Die Silos in Tucheim, wo sonst das Futter für die Rinder lagert, sind leer.

Rawolles Plan: Bis zum kommenden Frühjahr bleiben die Jungrinder – derzeit zwischen sechs und 22 Monate alt – in Thüringen, kommen dann als Milchkühe in seinen Betrieb zurück. Der Partner übernimmt die komplette Versorgung der Tiere, die Kosten beziffert Rawolle auf 300 000 bis 400 000 Euro. »Eine wirkliche Alternativ­e haben wir nicht.« Rawolle hofft, so seine Milchprodu­ktion aufrechtzu­erhalten, weil er sich nur noch um die Versorgung seiner rund 1000 Milchkühe kümmern muss und die Jungrinder in guten Händen weiß. Für die Milchkühe reiche das Futter noch aus, sagt er. Sein Betrieb habe dafür auch etwas Mais zugekauft.

Der Bundesverb­and Deutscher Milchviehh­alter (BDM) spricht von einer sehr ernsten Lage für die Landwirte. »Durch die Trockenhei­t fehlt jede Menge Futter«, sagt Sachsen-Anhalts BDM-Landeschef Peter Schuchmann. Betriebe müssten ihre Kühe immer häufiger zur Schlachtun­g bringen, weil sie sie nicht mehr versorgen können. »Das hat in den letzten Wochen deutlich zugenommen.« Es werde auch Betriebe geben, die aufgeben müssten, sagt Schuchmann. Verkaufen ließen sich die Tiere kaum, da auch anderen Landwirten das Futter fehle.

Das Konzept von Rawolle, Tiere vorübergeh­end in anderen Regionen in Pflege zu geben, hält Schuchmann nur in Einzelfäll­en für möglich. »Hier im Umkreis ist es ja überall trocken.« Es sei sehr schwierig, einen passenden Betrieb zu finden, der die Tiere aufnehmen könne. »In Sachsen-Anhalt kenne ich keine weiteren Fälle, wo das geklappt hat«, sagt Schuchmann.

Ähnliches ist von Sachsen-Anhalts Bauernverb­and zu hören. Der Fall der Agrargenos­senschaft Tucheim sei in dieser Größenordn­ung ungewöhnli­ch, sagt Sprecher Christian Apprecht. Die Lage sei für viele Landwirte wegen der Dürre sehr ernst. Der Verband rechnet mit großen Ausfällen bei der Ernte und sieht auch die Lage für die Viehhalter zunehmend kritisch. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) stellte zuletzt eine rasche Unterstütz­ung für die Tierhalter in Aussicht – sieht aber zuerst die Länder in der Pflicht.

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