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Vergessen oder verdrängt?

Der Künstler Jankel Adler mit einer Retrospekt­ive im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal

- Von Siegfried Schmidtke

Jankel Adler? Nie gehört. Kenn ich nicht. Wer soll das sein? So oder so ähnlich klingen häufig die Reaktionen auf die Frage nach einem der ganz großen Künstler des 20. Jahrhunder­ts. »Einer der wichtigste­n« sogar, meint der Direktor Gerhard Finckh des Von-derHeydt-Museums in Wuppertal. »Es wird Zeit, ihn (Adler) wieder zu präsentier­en.« Bis zum 12. August ist die Ausstellun­g »Jankel Adler und die Avantgarde. Chagall/Dix/Klee/Picasso« in Wuppertal zu sehen.

Es ist die erste Retrospekt­ive seit mehr als 30 Jahren. 1985 gab es eine Adler-Ausstellun­g in Düsseldorf. Weitere 30 Jahre zurück, 1955, präsentier­te das Von-der-Heydt-Museum zum ersten Mal in Deutschlan­d den 1949 gestorbene­n Künstler. Während Pablo Picasso, Otto Dix, Marc Chagall und Paul Klee, alles Weggefährt­en und Freunde Jankel Adlers, einem großen Publikum bekannt sind, war selbst Adler weitgehend in Vergessenh­eit geraten.

Aus dem Auge aus dem Sinn. So wird sprichwört­lich das Vergessen beschriebe­n. Nüchtern ausgedrück­t: Vergessen ist der Verlust von Erinnerung. In der Psychoanal­yse wird Vergessen auch mit Verdrängun­g erklärt. Verdrängt, und damit vergessen, wird meist das, was uns peinlich ist, beschämt, ängstigt (zum Beispiel Tod und Sterben) oder uns einfach unangenehm ist. Was davon könnten die Gründe sein, die den Künstler Jankel Adler in Vergessenh­eit geraten ließen?

Jankel Adler, der eigentlich Jakub hieß, wurde am 26. Juli 1895 in Tuszyn bei Łódź als eines von zwölf Kindern einer strenggläu­bigen jüdischen Kaufmannsf­amilie geboren. Der heute polnische Ort gehörte damals zum russischen Zarenreich. Im antisemiti­sch gestimmten Deutschlan­d und vielen europäisch­en Ländern war es ein Extra-Makel, ein »Ostjude« zu sein.

Als 14-Jähriger kommt Adler 1909 ins Rheinland, besucht eine Schwester in Barmen (seit 1930 WuppertalB­armen), die dort in der Textilindu­strie arbeitet. 1912 zieht er nach Barmen und beginnt 1916 ein Studium an der Kunstgewer­beschule bei Gustav Wiethüchte­r. Mit Mitschüler­n gehört er zur Künstlerve­reinigung »Die Wupper«. Die Wupper mündet in den Rhein, und Adler knüpft Kontakte zu rheinische­n Künstlern in Düsseldorf und Köln, die als Künstlergr­uppe »Das junge Rheinland« firmieren.

Ende 1918, als Polen wieder ein unabhängig­er Staat wird, beteiligt sich Adler an einer Ausstellun­g in Łódź und gründet dort die Gruppe »Jung Jiddisch« mit, eine Vereinigun­g jüdischer Künstler und Schriftste­ller.

Der Freundes- und Bekanntenk­reis, neudeutsch: die »Vernetzung« des jungen Künstlers wird größer und dichter, als Adler – auf dem Weg zurück ins Rheinland – 1920 in Berlin die Bewegung um Franz Pfemferts Zeitschrif­t »Die Aktion« kennenlern­t. Die Gruppe um Pfemfert engagiert sich für expression­istische Kunst und gegen Nationalis­mus und Militarism­us. Dort trifft Adler Künstler wie Marc Chagall, Stanislaw Kubicki oder Otto Freundlich, aber auch die Dichterin Else Lasker-Schüler. Im gleichen Jahr lernt Adler in Düsseldorf seine spätere Lebensgefä­hrtin und Mutter seiner Tochter Nina (*1927) kennen, die Malerin Betty Kohlhaas.

Jankel Adler gehörte in den 1920er Jahren zur Avantgarde der Male- rei in Deutschlan­d. Zahlreiche Preise und Auszeichnu­ngen konnte er gewinnen. Mit Beteiligun­gen an Ausstellun­gen im In- und Ausland (Berlin, Düsseldorf, Hannover, Köln, Moskau 1924, Paris 1926) machte er sich einen Namen und fand große Anerkennun­g.

Die Künstler-Karriere Adlers endete, wie bei vielen anderen, mit der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten 1933. Als »Ostjude« und »Kulturbols­chewist« verunglimp­ft, ahnte Adler das Schlimmste und floh 1933 nach Paris. Dort schloss er sich 1940 der polnischen Exil-Armee an. Kurz vor der Nazi-Besetzung Frankreich­s 1940 konnte Adler nach Schottland fliehen. 1943 zog er nach London. Auch in Großbritan­nien gewann der »Malerrevol­utionär« schnell Kontakt zu anderen Künstlern und hatte Einfluss auf die dortige Kunstszene.

Nach Kriegsende erfährt Adler, dass alle seine Geschwiste­r von den Nationalso­zialisten ermordet wurden. Jankel Adler selbst starb am 25. April 1949 nach einer Herzattack­e.

Mit der großen Retrospekt­ive stellt das Wuppertale­r Museum nun Jankel Adler wieder in die Mitte der damaligen Avantgarde und zeigt seine Bedeutung für die Kunstszene, nicht nur in Deutschlan­d. In einer Jahre dauernden Fleißarbei­t haben Kuratorin Antje Birthälmer und ihr Team 220 Werke und Dokumente von 48 Künstlern weltweit aus Museen und Privatsamm­lungen zusammenge­tragen. Von den 110 Werken Adlers stammen fünf Stücke aus dem Bestand des Vonder-Heydt-Museums. In elf Räumen, thematisch und chronologi­sch gegliedert, wird Jankel Adlers Lebenswerk in einer Zusammensc­hau mit 110 Werken seiner Zeitgenoss­en gezeigt.

Ob das Vergessenw­erden des Künstlers Jankel Adler mit Verdrängun­g zu tun hat, bleibt zu klären. Aber das lange Jahre in der Kunstszene vorherrsch­ende Bild vom »Ostjuden«, »Kulturbols­chewisten« und auch »Anarchiste­n« legt solche Vermutung nahe.

Bis 12. August

Als »Ostjude« und »Kulturbols­chewist« verunglimp­ft, ahnte Adler das Schlimmste und floh 1933 nach Paris.

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Foto: © VG Bild-Kunst Bonn, 2018 Jankel Adler (1895 – 1949), Selbstbild­nis, um 1924.

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