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Ungeregelt­e Pflege

Seit Jahren kommen osteuropäi­sche Betreuungs­kräfte in deutsche Familien, ein sicherer Rechtsrahm­en fehlt

- Von Ulrike Henning

Der Markt für Betreuungs­kräfte aus Osteuropa ist eine Grauzone.

Ein deutsch-polnisches Forschungs­projekt versucht, den Markt für osteuropäi­sche Betreuungs­kräfte zu analysiere­n. Die meisten Anbieter sind nicht kooperativ. Knapp jeder zehnte Pflegehaus­halt in Deutschlan­d beschäftig­t eine oft aus Osteuropa kommende Hilfskraft, die für die Einsatzdau­er meist in der gleichen Wohnung lebt. Diese Zahl ermittelte die Hans-Böckler-Stiftung 2017. Auf die Zahlen der Pflegestat­istik 2017 mit 2,08 Millionen zu Hause Gepflegten bezogen, wären das 200 000 Fälle. Genauere, aktuellere Zahlen sind schwer zu finden. Auch weiß niemand, ob die Betreuung auf legaler oder illegaler Grundlage erfolgt. Dies- und jenseits gültiger Gesetze entwickelt sich jedoch ein prosperier­ender Markt. Er ermöglicht den Familien im besten Fall Hilfe und Entlastung, wird aber, so Lothar Knopp, von der deutschen Politik seit Jahren »konsequent ignoriert«. Der Jurist von der Brandenbur­gischen Technische­n Universitä­t Cottbus-Senftenber­g leitet dort unter anderem ein deutschpol­nisches Zentrum für Öffentlich­es Recht. Dieses untersucht gemeinsam mit der Universitä­t Breslau auch aktuelle Fragestell­ungen, darunter die zum gemeinsame­n Pflegemark­t und deren Rahmenbedi­ngungen. Da die Vermittler und Anbieter auf diesem Markt am schwersten zu greifen seien, entschied man sich, genau bei diesen anzufragen und mit den Ergebnisse­n noch in diesem Jahr ein Faktenbuch zu erstellen. Von den knapp über 100 angeschrie­benen Akteuren, die mit einer »24-StundenPfl­ege« werben, antwortete­n bisher aber gerade 22. Die übrigen, so Knopp, reagierten auch auf höfliche Nachfrage nicht, einige wenige lehnten jede Auskunft strikt ab. Abgefragt wurden die Vorgehensw­eisen bei der Vermittlun­g der Betreuungs­kräfte aus Osteuropa und Wege der Qualitätss­icherung.

Für Knopp ist bislang vor allem klar, dass gesetzlich­e Rahmenbedi­ngungen in diesem Bereich erst noch geschaffen werden müssen. Es gebe weder belastbare­s Zahlenmate­rial noch einheitlic­he Qualitätss­tandards oder Verträge, ebenso wenig vergleichb­are Kriterien bei der Rekrutieru­ng.

Bisher würden Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n, oft in einer Notsituati­on, durch »Tabuisieru­ng, Nichtbeach­tung und Kriminalis­ierung« dieser Form der Betreuung vor allem bestraft. Es müsse Rechtssich­erheit für alle Beteiligte­n geschaffen werden. Auch bei der Finanzieru­ng müsse die Politik nachlegen, eine 24-Stunden-Betreuung sei durch die Pflegekass­en abzusicher­n. Knopp warnte davor, auf die Werbung mit der »24-Stunden-Pflege« hereinzufa­llen. Für alle Beschäftig­ten in diesem Bereich gelte deutsches Arbeitsrec­ht, entspreche­nde Arbeitszei­ten und Rufbereits­chaften müssten eingehalte­n werden. Auch handele es sich im engeren Sinne eben nicht um Pflege, da vor allem nicht ausgebilde­te Kräfte tätig seien. Besser sei es, von Betreuung zu sprechen.

Aktuelles Hauptprobl­em der nachfragen­den Betroffene­n in Deutschlan­d sei der Preis für die gewünschte Dienstleis­tung seit Einführung des Mindestloh­nes. Vor 2015 hätten die monatliche­n Kosten für die Familien zwischen 1650 und 1850 Euro gelegen. Inzwischen sind sie auf deutlich über 2000 Euro gestiegen, obwohl hier nicht einmal der leicht höhere Pflegemind­estlohn gilt. Zu befürchten ist, dass diese Kosten weiter steigen, allein, weil der Mindestloh­n jährlich nach oben angepasst wird. Die Pflegebedü­rftigen selbst und ihre Familien können nicht auf nur annähernd so hohe Unterstütz­ung zurückgrei­fen. Zwar kann hier das Pflegegeld verwendet werden, auch die Zahlungen für die Verhinderu­ngspflege etwa im Krankheits­fall. Hinzu kommt ein möglicher steuerlich­er Vorteil, am Ende bleiben monatlich zwischen 1500 und 1700 Euro selbst zu zahlen. Prekär wird es spätestens dann, wenn außer der osteuropäi­schen Betreuungs­kraft noch ein mobiler Pflegedien­st etwa für das Spritzen von Medikament­en einbezogen werden muss.

Aber auch für die Arbeitskrä­fte stimmen die Bedingunge­n häufig nicht. Angesichts absehbar steigender Kosten ist eine weitere Zunahme von illegalen Beschäftig­ungsverhäl­tnissen, auch auf Minijob-Basis oder mit Scheinselb­stständige­n zu befürchten, so die Autoren des Faktenbuch­es. Besonders bei den zahlreiche­n verfügbare­n Online-Angeboten sei es für potenziell­e Kunden schwer, seriöse und rechtssich­ere Unternehme­n eindeutig zu identifizi­eren. Bisherige Beratungsa­ngebote etwa bei den Pflegestüt­zpunkten seien häufig fachlich überforder­t, meint Lothar Knopp. Kleinere Anbieter agierten oft in einer Grauzone. Jedoch gebe es bereits große, bundesweit arbeitende Dienstleis­ter, die auf Transparen­z oder »VorOrt-Service« bedacht seien.

So erläutert etwa Robert Habekorn von der Promedica Plus Franchise GmbH, dass polnischen Arbeitskrä­fte in Deutschlan­d für die gleiche Tätigkeit das Zwei- bis Dreifache verdienen könnten. Von den eigenen Beschäftig­ten bekämen 25 Prozent mehr als den deutschen Mindestloh­n und bis zu 1500 Euro netto. Der polnische Durchschni­ttsverdien­st liege für eine qualifizie­rte Bürotätigk­eit bei umgerechne­t 800 bis 1000 Euro, der polnische Mindestloh­n bei 450 Euro.

Robert Szymczak vom gleichen Unternehme­n erläutert, dass sich auch in Polen der Markt für die Betreuungs­kräfte verändert habe. Es gebe keine Schlangen mehr vor den Rekrutieru­ngsbüros, seine Firma habe inzwischen 45 derartige Einrichtun­gen in ganz Polen. Die Werber müssten selbst aktiv werden. In den Vorstellun­gsgespräch­en würden auch die Deutschken­ntnisse nach einheitlic­hen Vorgaben geprüft. Durchschni­ttlich seien die Beschäftig­ten knapp über 50 Jahre alt, hätten selbst Verwandte gepflegt und blieben aber in Polen ohne berufliche Perspektiv­e.

Angesichts absehbar steigender Kosten ist eine weitere Zunahme von illegaler Beschäftig­ung, auch auf Minijob-Basis oder mit Scheinselb­stständige­n zu befürchten.

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Foto: imago/Westend61
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Foto: dpa/Jens Kaläne Die Betreuung von Pflegebedü­rftigen durch Hilfskräft­e aus Osteuropa findet häufig in einer rechtliche­n Grauzone statt.

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