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Titten rein, es ist Sommer!

Caren Miesenberg­er über nackte Männerober­körper und was sie mit der Herrschaft des Patriarcha­ts zu tun haben

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Die Temperatur­en klettern auf jenseits der 30 Grad, Ventilator­en sind ausverkauf­t, deutschlan­dweit ächzt und keucht es in Büros, Bussen und auf den Straßen: Eine Hitzewelle überrollt das ganze Land. Was tun? Am Liebsten würde man gleich ohne Shirt das Haus verlassen. Zu dieser Tat schreiten einige – und sie ist nicht nur ein Weg, sich Abhilfe von der Hitze zu verschaffe­n, sondern auch eine Machtdemon­stration im öffentlich­en Raum: Sommerzeit ist Mackerzeit.

Während Frauen ihre Brustwarze­n nicht zeigen dürfen, weil dies als Ordnungswi­drigkeit geahndet werden kann, ist jeder Mann ohne T-Shirt im öffentlich­en Raum eine politische Performanc­e des Patriarcha­ts. Mackertum erlebt in den heißen Monaten des Jahres Hochkonjun­ktur. Der Sommer zeigt, dass der öffentlich­e Raum männlich dominiert ist – und zwar cis-männlich dominiert, also von denjenigen Männern, die bereits nach der Geburt ihr Geschlecht als männlich zugewiesen bekommen haben und sich bis heute entspreche­nd identifizi­eren. In Rudeln stehen sie vor den Kiosken deutscher Großstädte, saufen Bier, grölen Frauen hinterher. Und das oft ohne T-Shirt. Ist der Sommer für alle da? Nein, er ist es nicht. Die Hitzewelle macht deutsche Städte noch mehr zu Mackerterr­ain, als sie es ohnehin schon sind. Diskursiv werden alle, die keine Cis-Männer sind, in ihre normativen Schubladen gepresst und aus dem öffentlich­en Raum verbannt. »Na, du Geile!«, ruft mir ein schicker Tennisspie­ler im Hamburger Nobelviert­el Blankenese hinterher, als ich mit kurzem Rock auf dem Fahrrad an ihm entlangfah­re. Ein Mann in kurzen Shorts, egal, wie aufreizend sie sind, hätte diesen Spruch wohl kaum zu hören bekom- men. Wirklich genießen können den Sommer nur Männer.

Das weiß auch Magda Albrecht, Fat-Aktivistin und Autorin, die sich dafür einsetzt, dass alle Körper unabhängig von ihrer Größe akzeptiert werden. »Laufe ich armfrei oder in einem kurzen Rock auf der Straße, kann ich mit Blicken oder respektlos­en Sprüchen rechnen. Ziehe ich mir eine lange Jacke rüber, wird kommentier­t, dass ich mich doch nicht so haben soll und ›einfach selbstbewu­sst‹ zu meinem Körper stehen soll. Mir persönlich wird im Sommer immer ganz besonders bewusst, wie stark die öffentlich­e Normierung und Sanktionie­rung von Körpern, die von der Norm abweichen, ist«, sagt sie. »Zum einen werden wir also mit gut gemeinten, aber oberflächl­ichen ›Lieb dich selbst und trag einfach, was du willst‹-Botschafte­n bombardier­t, zum anderen ist die alltäglich­e Abwertung und Diskrimini­erung besonders stark im öffentlich­en Raum«, so Albrecht weiter.

Man könnte nun einwenden: Wie prüde, sollen doch alle ihre Shirts ausziehen! Ist das spießig, ein Ausziehver­bot zu fordern! Welch’ Bornierthe­it, das Adamskostü­m zu gän- geln! Gewiss: Nicht alle Männer können oben ohne rumlaufen. TransMänne­r zum Beispiel, wenn sie ihr Geschlecht operativ angegliche­n haben und Narben im Brustberei­ch sichtbar sind. Oder dicke Männer, die wegen ihrer Körperform beleidigt werden. Männer of Color, die dann sofort als verwahrlos­t angesehen werden. Ihre Bewegungsf­reiheit und ihr Wohlbefind­en werden durch respektlos­e Sprüche eingeschrä­nkt. Aber: Ganz sicher können Frauen und Queere nicht oben ohne rumlaufen, geschweige denn in kurzer Kleidung – unabhängig von ihrer Körperform. Dafür sorgen Macker, indem sie mit Sprüchen die gesellscha­ftliche Norm herstellen. Muss ja alles seine Ordnung haben!

Aber was ist eigentlich so schwer daran, sein Shirt anzulassen und auf die Performanc­e von Hypermasku­linität zu verzichten? Weshalb nicht einen Augenblick innehalten und die eigene Dominanz im Raum reflektier­en – oder aber, wie man dazu beiträgt? Es ist ein Privileg, sanktionsf­rei viel Haut zeigen zu können. Nicht nur gesetzlich, auch in der Popkultur: So löscht das soziale Netzwerk Instagram Fotos von weiblichen Brustwarze­n ganz rigide, während CisMänner ihre Titten zeigen können, wie sie Lust haben. Aber es ist halb so schlimm, denn das lässt sich ja ganz einfach ändern: Wer ein Typ ist, kann sein Shirt einfach anlassen und Menschen jeden Körpers unkommenti­ert ihr Ding machen lassen, egal, welche Kleidung sie tragen. Männer, nehmt euch im öffentlich­en Raum zurück! Zieht eure Kumpels zur Verantwort­ung, wenn sie Frauen hinterherr­ufen! Lasst uns alle zusammen einen schönen, gemeinsame­n Sommer haben! Hitzefrei für Hypermasku­linität! Damit der Sommer wirklich für alle schön ist.

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Foto: Lázaro Borges Caren Miesenberg­er, Journalist­in, schreibt zu Gender-Themen in Deutschlan­d und Brasilien.

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