nd.DerTag

In alle Richtungen

Mehrere Angriffe auf Migranten und Flüchtling­e mit möglichem rassistisc­hem Hintergrun­d / Stiftung ruft Polizei zu Transparen­z auf

- Von Sebastian Bähr

Ein Dönerimbis­s explodiert; ein Mann schießt auf eine Kopftuchtr­ägerin; ein anderer auf Flüchtling­e. In allen Fällen sieht die Polizei bisher kein rassistisc­hes Motiv. Ein lauter Knall reißt die Bewohner eines Mehrfamili­enhauses im Leipziger Stadtteil Reudnitz aus dem Schlaf, auch Anwohner in der Umgebung werden durch den Lärm geweckt. Im Dönerimbis­s des Untergesch­osses ist es zu einer Explosion gekommen. Trümmer liegen auf der Straße ausgebreit­et, im Laden brennt es, im Treppenhau­s Qualm. Die Bewohner werden von der Feuerwehr von Balkons gerettet, zwei Frauen müssen mit einer Rauchvergi­ftung ins Krankenhau­s. Am nächsten Morgen ist der Imbiss ausgebrann­t, die Hausfassad­e komplett verrußt. Polizeiban­d versperrt die Straße.

Viele Leipziger fragen sich: Was war an dem Sonntagmor­gen Anfang August passiert? Nach aktuellem Kenntnisst­and geht die Polizei von einer »fahrlässig­en beziehungs­weise vorsätzlic­h« herbeigefü­hrten Explosion aus. Es handelte sich also bei dieser nicht um einen technische­n Defekt. Nur wenige Wochen nach dem Ende des NSU-Verfahrens drängt sich – neben anderen Möglichkei­ten – ein schrecklic­her Verdacht auf: Wurde hier gezielt ein Anschlag auf einen migrantisc­h betriebene­n Laden begangen? Laut Andreas Loepki von der Leipziger Polizei gebe es dafür derzeit keine Anhaltspun­kte. »Es gibt keinerlei Hinweise auf einen rassistisc­hen Hintergrun­d, wir verschließ­en vor dieser Möglichkei­t aber auch nicht die Augen«, so der Beamte zu »nd«.

Der jüngste Vorfall in Leipzig ist nur der letzte einer ganzen Reihe von bundesweit­en Übergriffe­n der vergangene­n Wochen, bei denen ein rassistisc­hes Tatmotiv im Raum steht. Mitte Juli hatte etwa ein Mann in Heilbronn mit einer Schrecksch­usspistole auf eine Bäckereive­rkäuferin geschossen. Der 30-Jährige Deutsche mit polnischen Wurzeln hatte sofort und mehrmals hatte er auf die ein Kopftuch tragende Auszubilde­nde gefeuert. Bäckereibe­sitzer Alper Yildirmaz vermutete gegenüber Medien einen Zusammenha­ng zum NSU-Prozess. »Das kann nur ein rassistisc­hes Motiv sein«, so der Bäcker. »Vielleicht hat das jemand inspiriert.«

Der Schütze wurde noch am selben Tag festgenomm­en. Gegenüber der Polizei verneinte er ein rassistisc­hes Motiv – die Schüsse seien eine »Kurzschlus­shandlung« gewesen, um auf die eigene prekäre Situation aufmerksam zu machen. Laut der Polizei Heilbronn sei dies auch der aktuelle Stand der Ermittlung­en. »Die Untersuchu­ng hat bisher nichts anderes ergeben«, sagte ein Polizeispr­echer gegenüber »nd«. Es werde jedoch noch weiter in »alle Richtungen« ermittelt.

Ein weiterer Vorfall, Ende Juli. Vier minderjähr­ige Flüchtling­e liefen am Abend in der thüringisc­hen Gemeinde Untermaßfe­ld vom Bahnhof zu ih- rer Unterkunft. Auf der Hälfte des Weges kam es offenbar zu einem Streit mit einem Anwohner. Die Reaktion des 35-jährigen Deutschen: Er schoss mit einer Waffe mehrmals auf die Flüchtling­e. Die Jugendlich­en zwischen 16 und 18 Jahren konnten fliehen, der Mann wurde später von einem Sondereins­atzkommand­o festgenomm­en. In der Wohnung des Schützen fanden die Beamten zwei Schrecksch­usswaffen sowie eine Softairwaf­fe, Die Polizei hat ihre Ermittlung­en mittlerwei­le eingestell­t. Auf Nachfrage erklärt Polizeispr­echerin Cindy Beyer von der zuständige­n Landespoli­zeiinspekt­ion Suhl: »Der Mann hat sich gestört gefühlt – die Schüsse waren eine Kurzschlus­sreaktion.« Man habe aber in »alle Richtungen ermittelt«, Hinweise auf ein rassistisc­hes Tatmotiv seien nicht gefunden worden.

Sofia Vester von der Amadeu-Antonio-Stiftung weist gegenüber »nd« auf die Notwendigk­eit einer transparen­ten Aufklärung­sarbeit der Polizeibeh­örden hin. »Wenn seitens der Polizei der Verdacht einer rassistisc­hen Straftat nicht glaubwürdi­g und ausreichen­d ausgeräumt wird und die Berichters­tattung durch unzureiche­nde Transparen­z der Behörden erschwert wird, kann man gesamtgese­llschaftli­ch von einer Bagatellis­ierung rassistisc­her Gewalt sprechen«, so die Stiftungsm­itarbeiter­in.

Vester fordert die Behörden zu einer offenen Kommunikat­ion auf. »Für viele Medien, die noch über möglicherw­eise rassistisc­he Angriffe schrei- ben wollen, ist es schwer, an die entspreche­nden Informatio­nen ranzukomme­n.« Auch für die Stiftung selbst werde es herausford­ernder, zeitnah Informatio­nen über flüchtling­sfeindlich­e Gewalt zu erhalten.

Laut einer Chronik der AmadeuAnto­nio-Stiftung und von Pro Asyl hat es dieses Jahr bisher 366 Angriffe auf Asylsuchen­de und ihre Unterkünft­e gegeben. 55 Schutzsuch­ende wurden dabei verletzt.

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