nd.DerTag

Jeder Fehler ist ein Schatz

Auch für Arztpraxen soll ein Berichtssy­stem für kritische Ereignisse eingeführt werden

- Von Sandra Trauner

Was in Krankenhäu­sern Standard ist, gibt es in Arztpraxen kaum: ein systematis­ches Fehlermana­gement. Das soll sich jetzt mit einem Berichtssy­stem ändern. »Mein Name ist Armin Wunder, ich bin Hausarzt und ich mache Fehler«, sagt der Allgemeinm­ediziner und schiebt gleich hinterher: »Das ist ein Statement, klar.« In seiner Praxis in Frankfurt am Main gehört es zum guten Ton zuzugeben, wenn etwas schieflief. Da muss der Chef mit gutem Beispiel vorangehen. Dass das nicht überall so ist, kann wohl jeder Patient aus eigener Erfahrung berichten. Der Gegenentwu­rf heißt: Ich bin Arzt und habe immer recht, Fehler machen nur die anderen. Eine Einstellun­g, die nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich ist.

Das Institut für Allgemeinm­edizin der Universitä­t Frankfurt am Main, das Aktionsbün­dnis Patientens­icherheit und die Techniker Krankenkas­se (TK) wollen jetzt einen Kulturwand­el in Arztpraxen anschieben. 400 Praxen können deutschlan­dweit an einem Programm teilnehmen, das sich CIRSforte nennt. CIRS steht für »Critial Incident Reporting System«, also ein Berichtssy­stem für kritische Ereignisse. In Krankenhäu­sern sind CIRS-Systeme seit langem üblich. Nun sollen sie auch im ambulanten Sektor etabliert werden. Die Projektver­antwortlic­hen sehen Nachholbed­arf: »Die Möglichkei­ten, die das Lernen aus Fehlern bietet, werden im ambulanten Bereich noch deutlich zu wenig genutzt«, steht in dem Flyer, der um Studientei­lnehmer wirbt.

Die Gemeinscha­ftspraxis von Dr. Wunder und seinen Kollegen war eine der ersten, die sich angemeldet hat. Für sie ist Fehlermana­gement ein alter Hut. Schon seit Jahren treffen sich die fünf Ärzte und die fünf medizinisc­hen Fachangest­ellten regelmäßig, um in gemeinsame­n Teamgesprä­chen durchzugeh­en, welche Pannen passiert sind. Mit CIRSforte hoffen sie, »dass wir noch mehr sen- sibilisier­t werden, auf Fehler zu achten und über Fehler zu sprechen«, sagt Wunder.

Vielleicht sind Fehler beim Hausarzt nicht immer so schwerwieg­end wie im Krankenhau­s, aber auch hier sind sie vermeidbar. Oft ist es nur eine Kleinigkei­t, die die Behandlung für den Patienten sicherer macht, etwa ein zweiter Blick auf das Rezept. Stimmen Wirkstoffm­enge und Packungsgr­öße? Die Angestellt­en prüfen, was der Arzt aufschreib­t, und der Arzt unterschre­ibt nichts, ohne es noch einmal zu lesen. Herr Mayer und Herr Meier werden wegen der Verwechslu­ngsgefahr immer nach dem Geburtsdat­um gefragt.

Besonders krasse Vorkommnis­se veröffentl­icht die Praxis auf dem Portal »Jeder Fehler zählt«. Das Fehlerberi­chts- und Lernsystem für Hausarztpr­axen wirbt mit dem Slogan: »Man muss nicht jeden Fehler selber machen, um daraus zu lernen.« Praxen können dort anonym Berichte einstellen und darüber diskutiere­n. Es gibt praktische Tipps zur Fehlerver- meidung und einen Fahrplan für die Fallanalys­e.

Alle vier Wochen gibt es auf der Webseite den »Fehler des Monats«. Ausgewählt wird nicht etwa der schlimmste Fehler, wie das Projekttea­m am Institut für Allgemeinm­edizin erklärt, sondern besonders typische oder häufige Irrtümer – »und auch solche, von denen wir glauben, dass man anhand dieses Berichtes besonders viel und gut lernen kann«.

Zum Beispiel aus dem Fall mit dem Blutzucker­messgerät: Eine Mitarbeite­rin hatte das Gerät falsch herum gehalten und einen aberwitzig hohen Wert abgelesen, die Patientin kam ohne Not ins Krankenhau­s. In den meisten Praxen würde es bei Erklärung und Ermahnung bleiben, aber Dr. Wunder sagt: »Der Satz ›Pass halt besser auf‹ bringt überhaupt nichts.« Man müsse »entemotion­alisiert« darüber sprechen, was passiert sei und wie man den Fehler vermeiden könne. In diesem Fall wurde beschlosse­n, Anfänger besser einzuweise­n, die Ergebnisse gegenzuche­cken und am Gerät zu markieren, wo oben ist. »Jeder Fehler ist ein Schatz«, sagt Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinm­edizin. Fehler böten die Chance, »gemeinsam aus kritischen Ereignisse­n in der Praxis zu lernen und so die künftige Versorgung der Patienten in der Hausarztpr­axis noch sicherer zu machen.« Damit sich eine »Fehlerkult­ur« entwickeln könne, brauche es einen offenen Umgang mit Pannen. Die richtige Frage sei nicht: »Wer war schuld?«, sondern: »Was war schuld?«

In Krankenhäu­sern hätten sich solche Fehlerberi­chts- und Lernsystem­e schon lange etabliert, sagt Barbara Voß, Leiterin der TK-Landesvert­retung Hessen. Sie seien »wichtige Instrument­e des klinischen Risikomana­gements«. In ambulanten Praxen habe man eine solche »Sicherheit­skultur« nicht, zumindest nicht flächendec­kend. Nötig wäre das durchaus, glaubt Voß: Jeder dritte Ärztepfusc­h-Vorwurf von TK-Versichert­en betreffe eine ambulante Behandlung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany