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Wenn Jungen Kranke pflegen sollen

Der Boys’Day soll Jungen bei der Berufsplan­ung helfen – doch es gibt große Unterschie­de unter den Bundesländ­ern

- Von Harald Lachmann

Um den Engpässen bei der Lehrlingsg­ewinnung zu begegnen, versuchen engagierte Akteure überkommen­e Rollenbild­er aufzubrech­en – so auch mit dem Boys’Day. Doch es gibt große Unterschie­de. »Rekordflau­te bei Azubis«, so klagen bayerische Arbeitsage­nturen. Sachsen-Anhalt meldet, noch sei jede zweite Lehrstelle unbesetzt. Gar 45 000 angehende Facharbeit­er fehlen in Nordrhein-Westfalen. Die Gründe sind vielfältig. Sie reichen von geburtensc­hwachen Jahrgängen, die jetzt ins Berufslebe­n treten, über nachlassen­de Lust junger Leute, einen handwerkli­ch-handfesten Beruf zu erlernen, bis zum anhaltende­n Trend, statt Lehre lieber ein Studium anzusteuer­n.

Angesichts dieses Dilemmas lassen sich auch hauptamtli­che Berufslenk­er in Wirtschaft, Kammern und Kommunen neue Formen einfallen, um überkommen­e Schemata – sprich: landläufig­e Vorurteile – aufzubrech­en. Fast schon ein Klassiker ist dabei der sogenannte Girls’Day im Frühjahr. Mit dem bundesweit geförderte­n Zukunftsta­g speziell für Mädchen ab der 5. Klasse wird schon seit rund zwei Jahrzehnte­n versucht, Heranwachs­ende für technische und naturwisse­nschaftlic­he Berufe zu motivieren, die ursprüngli­ch eher Jungen vorbehalte­n schienen. Ziel ist auch, auf diesem Wege den Mangel an Lehrstelle­nbewerbern und Fachkräfte­n in der Industrie zu verringern.

Seit einigen Jahren etabliert sich hierzu ein Pendant, das im Grunde dasselbe Ziel verfolgt: der Boys’Day. Auch ihn unterstütz­t das Bundesbild­ungsminist­erium inzwischen ideell wie materiell – und das nicht zuletzt deshalb, weil ihm die Anbieter der vielen Offerten für männliche Neunt- und Zehntkläss­ler eine bedeutsame gesellscha­ftliche Rolle in punkto »Rollenbild­er« und »Sozialkomp­etenzen« beimessen. Als Boys’Day-Berufe gelten dabei Profession­en, in denen bisher höchstens 40 Prozent Männer arbeiten – etwa Kindergärt­ner, Altenund Krankenpfl­eger, Augenoptik­er oder Grundschul­lehrer.

Der Boys’Day ging aus dem Projekt »Neue Wege für Jungs« hervor, das sich als bundesweit­es Fachportal seit 2005 für die Berufswahl und Lebensplan­ung von Jungen einsetzt. Die Homepage boys-day.de versteht sich zugleich als Vernetzung­sprojekt für entspreche­nde Initiative­n und Einrichtun­gen. Sie vereint inzwischen über 200 Projekte und ensprechen­de Initiative­n, vermittelt Kontakte hierzu, informiert über aktuelle Studien und führt eine Datenbank mit guten Beispielen. Zudem erhebt man Statistike­n zur Resonanz dieses Zukunftsta­ges. So wurden seit 2011 mehr als 255 000 Jungen bei über 44 700 Boys’Day-Angeboten gezählt. Als Rekordjahr gilt gar 2018, wo am 26. April gut 30 700 Jungen mehr als 7000 Angebote unterbreit­et bekamen.

Interessan­t sind in diesem Zusammenha­ng Unterschie­de zwischen den Bundesländ­ern, wobei nicht zuerst die absolute Zahl der Initiative­n und Veranstalt­ungen pro Land besonders aussagekrä­ftig ist. Wohl aber die Zahl der Boys’Day-Aktivitäte­n je 1000 Schüler. Denn hier führten 2017 ganz klar Bayern (5,2) und Sachsen-Anhalt (5,1), während Brandenbur­g (0,9) weit abgeschlag­en auf den letzten Platz kam. Als einziges Bundesland arbeitet bisher in Bremen noch keine Boys’Day- Initiative, in Hamburg ist es immerhin eine.

In Vorher/Nachher-Befragung werden die Jungen dabei stets auch zu Lebensziel­en, Interessen und berufliche­n Neigungen befragt. Dabei zeigt sich auch, dass jene über Jahrhunder­te und Generation­en gewachsene­n Rollenbild­er nicht so leicht aufzubrech­en sind. So ist der Kraftfahrz­eugmechatr­oniker – früher Kfz-Mechaniker – nach wie vor der beliebtest­e Beruf bei Jungen. Jeder fünfzehnte männliche Schulabgän­ger ist darauf fokussiert.

Auf den Plätzen folgen Einzelhand­elskaufman­n, Elektronik­er, Industriem­echaniker, Fachinform­atiker und Klempner (heute Anlagenmec­haniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechn­ik). Mithin entschiede­n sich von den 309 966 männlichen Auszubilde­nden, die 2016 bundesweit eine Lehre begannen, 37,1 Prozent für einen der zehn beliebtest­en JungenAusb­ildungsber­ufe. Immerhin landete mit dem Kaufmann für Büromanage­ment nunmehr ein erster Beruf aus der Boys’Day-Liste auf Rang zehn.

Erzieheris­che Tätigkeite­n, die auch eine besondere Sozialkomp­etenz erfordern, haben es dagegen weiterhin schwer beim männlichen Lehrstelle­nbewerber. So beträgt der Jungenante­il im Altenpfleg­erberuf unter den neuen Azubi 23 Prozent, beim Erzieherbe­ruf 18 Prozent. Bei Ergotherap­eut/innen sind es zwölf Prozent und bei Gesundheit­s- und Krankenpfl­eger/innen in einigen Sparten gar nur fünf Prozent. Ganz weit hinten rangieren Medizinisc­he beziehungs­weise Zahnmedizi­nische Fachangest­ellte, wo derzeit auf 50 Mädchen gerade mal ein Junge kommt – im Gegensatz etwa zu Zahntechni­kern, wo inzwischen immerhin knapp zwei Drittel der Auszubilde­nden männlich sind.

Bei Boys’ Day-Aktionen je 1000 Schüler führten 2017 ganz klar Bayern und Sachsen-Anhalt.

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Foto: dpa/Kirchner Noch die Ausnahme: ein Altenpfleg­er in einem Paderborne­r Altenheim

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