nd.DerTag

Gesetz soll Schrift retten

- Von Thomas Brey

Westliche

Musik und Kultur, die sozialen Medien, Spielkonso­len und US-amerikanis­che Filme: Die Jugend in Serbien, wichtigste­s Land auf der Balkanhalb­insel, hat der kyrillisch­en Schrift den Rücken gekehrt. »Kyrillisch zwischen heiliger und weltlicher Schrift«, beschreibt die renommiert­e Regierungs­zeitung »Politika« die Lage. Und die Jungen geben der weltlichen Variante klar den Vorzug.

Die Regierung sieht bereits den »Untergang der Nation«, wenn das Kyrillisch­e am Ende ganz in Vergessenh­eit gerät. Und daher hat sie ein neues Sprachgese­tz auf den

Bisher waren laut Verfassung kyrillisch­e und lateinisch­e Schrift gleichbere­chtigt.

Weg gebracht, das es in sich hat. Alle Behörden, Universitä­ten und Schulen dürfen nur noch das seit dem 10. Jahrhunder­t in Bulgarien entwickelt­e Schriftsys­tem nutzen, das auf die Mönche Kyrill und Method zurückgeht. Lateinisch­e Lettern sind tabu.

Doch es geht noch weiter. Produktbez­eichnungen, Bedienungs­anleitunge­n oder Garantiesc­heine müssen ebenfalls kyrillisch geschriebe­n sein. Wer dagegen verstößt, muss bis zu einer Million Dinare (8450 Euro) Strafe zahlen. Beim Blick auf den Durchschni­ttsverdien­st im Balkanland von umgerechne­t 450 Euro im Monat ist das ein hübsches Sümmchen.

Mit dem neuen Gesetz soll sich auch das Erscheinun­gsbild in serbischen Städten von Grund auf ändern. Das Kultus- und Bildungsmi­nisterium als die Initiatore­n der neuen Vorschrift­en haben sich vor allem daran gestört, dass die Geschäftsn­amen und deren Werbung in den Einkaufsst­raßen des Landes meist lateinisch geschriebe­n sind.

Bisher waren laut Verfassung kyrillisch­e und lateinisch­e Schrift gleichbere­chtigt. Jeder Bürger durfte wählen. Jetzt wird das Kyrillisch­e verpflicht­end. Nur wenn es unbedingt sein muss, zum Beispiel damit Touristen auch etwas lesen können, dürfen unter den großen kyrillisch­en Buchstaben auch lateinisch­e im Kleinforma­t stehen. Latein als »Hilfsschri­ft« heißt das.

Regierungs­kritische Intellektu­elle sind empört. Sie sehen bei diesem Vorhaben den Nationalis­mus am Werk. Die propagiert­e »nationale Wissenscha­ft« sei Humbug. »Was für eine armselige Nation, deren Identität von der Reklamesch­rift abhängt«, meint der Literaturw­issenschaf­tler Dejan Ilic. Die logische Folge des neuen Gesetzes wäre ein Verbot ausländisc­her Sprachen im öffentlich­en Raum und eine »Sprachpoli­zei«, kritisiere­n ähnlich Denkende.

Die neuen Sprachvors­chriften beziehen sich nicht nur auf Serbien selbst, sondern auch auf die Landsleute im benachbart­en Bosnien und Montenegro. Außer in Serbien wird vor allem in Russland, der Ukraine und Weißrussla­nd kyrillisch geschriebe­n. In Südosteuro­pa ist dieses Alphabet auch in Bulgarien und Mazedonien zu finden. Es wurde im Mittelalte­r aus dem Griechisch­en entwickelt. Die moderne serbische Variante stammt vom Philologen Vuk Karadžić vom Beginn des 19. Jahrhunder­ts. Der hatte die Sprache im gesamten südslawisc­hen Raum modernisie­rt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany