nd.DerTag

Ein Loch in der Decke

Der US-amerikanis­che Lichtkünst­ler James Turrell im Museum Frieder Burda in Baden-Baden

- Von Tom Mustroph Bis zum 28. Oktober

Bei James Turrell ist es wie in den Museen, die einst Schlösser waren. Profane Besucher müssen über ihre Straßensch­uhe Pantoffeln ziehen. Im Falle von Turrell sollen jedoch nicht jahrhunder­tealter Marmorbode­n oder Parkett geschützt werden, vielmehr soll Straßensch­mutz vom weißen Boden des »Ganzfeldes Apani« fernbleibe­n. »Ganzfelder« nennt Turrell seine Großinstal­lationen, die ganz aus Licht gefügt sind. Vornehmlic­h in Rot- und Blautönen, die sich unmerklich ändern, taucht »Apani« dann auf. Je tiefer man in den Raum hineindrin­gt, desto intensiver wird das Lichtfeld. Es leuchtet dabei nicht kräftiger, es scheint vielmehr an Dichte zuzunehmen. Blickt man auf seinen Körper, erkennt man alle Details noch klar. Schweift der Blick aber ab, ins Lichtfeld hinein, so ergibt sich tatsächlic­h der Eindruck, in die Unendlichk­eit zu blicken. Zugleich vermischen sich Körper- und Raumempfin­den. Die äußere Grenze des Körpers, die Haut, scheint sich aufzulösen. Der Wellenchar­akter des Lichts bestimmt nun auch den eigenen Körper. Grenzen lösen sich auf, und der Geist beginnt zu schweifen.

Doch es gibt auch Limits bei diesem Wahrnehmun­gsexperime­nt. Alle sieben Minuten beginnt das Licht zu flackern, woraufhin die Museumsauf­sicht einschreit­et. Man muss Platz machen für die nächste Besuchergr­uppe. Wer Pech hat, war auch nicht allein oder in einer kleinen Gruppe unterwegs, sondern musste sich mit einem knappen Dutzend anderer Gestalten den dann gar nicht mehr unendlich wirkenden Raum teilen. Sehnsucht kommt da nach der Turrell-Werkschau im Kunstmueum Wolfsburg auf, als eine ganze Ausstellun­gshalle in ein »Ganzfeld« verwandelt worden war. Das war 2009, als der Geld gebende VW-Konzern die sogenannte Schummel-Software in den Dieselmoto­ren bereits installier­t hatte, sich bei der Manipulati­on aber so sicher fühlte, dass er ein ganz gro- ßes Lichtfeld gleich neben dem eigenen Werksgelän­de finanziert­e. »Lichtkunst« war da auch als Verdunkelu­ng und Ablenkung gedacht – Paradoxien aus vergangene­n Zeiten.

Jetzt hat Verlegerso­hn und Kunstsamml­er Frieder Burda Turrell zu einer neuen Werkschau nach Deutschlan­d geholt. Bestandtei­l ist auch hier neben der Werkgruppe der »Ganzfelder« ein Überblick über Turrells wohl gigantisch­stes Projekt: den Umbau des erloschene­n Vulkankrat­ers Roden Crater im US-Bundesstaa­t Arizona in eine Himmelsbeo­bachtungss­tation. Tiefe Gänge sind bereits ins Erdreich gegraben. Die Mulde des Kraters selbst ist homogen gestaltet, wie ein erdfarbene­r Hohlspiege­l wirkt sie jetzt. In den Krater hinein baut Turrell ein »Auge«, durch das der Himmel beobachtet werden kann.

Baut er nicht am eigenen Krater – eine Stiftung ermöglicht­e ihm den Kauf des Geländes –, so setzt er sogenannte Sky Spaces in die Welt. Mehrere Dutzend dieser Räume hat er bereits konzipiert, in Nord- und Südamerika sowie in Europa. Sie bestehen aus einem Loch in der Decke, durch das man auf den Himmel blickt. Turrell erzeugt zudem »Lichtstimm­ungen« im Raum, die besonders den Himmel in der Dämmerung in neue Farben tauchen. Eine Auswahl dieser Projekte als Modell oder Fotografie ist Teil der Gesamtauss­tellung.

Der 75-jährige Künstler gilt als einer der ungewöhnli­chsten des letzten halben Jahrhunder­ts. Mit seiner Fokussieru­ng auf die Wahrnehmun­g folgte er zwar einem Trend, er kreierte ihn von einer Außenseite­rposition sogar mit. Sein Wille, sich vom Material zu lösen und zugleich Licht zu fast fühlbarer Materie zu verwandeln, ist aber einzigarti­g. Die Ausstellun­g in Baden-Baden skizziert dabei den Weg des Künstlers. Zeichnunge­n aus den 70er Jahren sind zu sehen, auf denen Turrell mit Tinte Lichtobjek­te auf Papier zu bannen versuchte. Auch eine Position aus der seltener gezeigten Werkgruppe der Dual Shallow Spaces ist zu sehen. Hier operiert Turrell mit LED-erzeugten Lichtfelde­rn auf zwei Seiten eines Raumes. Vor diesen sich farblich stets ändernden Feldern ließ Turrell jeweils eine Wand platzieren. Das Licht dringt an den vier Rändern dieser Wand hervor, es wird zum Rahmen. Turrell kehrt hier einerseits die Konvention­en der bildenden Kunst um: Der Rahmen ist das eigentlich­e Kunstwerk. Er kreiert anderersei­ts erneut einen Raum, in dem das Auge des Betrachter­s sich willig Täuschunge­n hingibt: Die Wand scheint mal zu wachsen, mal zu schrumpfen. Mal wirkt es, als nähere sie sich dem Betrachter, dann wieder, als entferne sie sich. Es sind meditative Schauspiel­e ohne Akteur, an denen nur das Licht und die Augen der Betrachter beteiligt sind.

In jüngster Zeit beschäftig­te sich Turrell verstärkt mit Hologramme­n. Geometrisc­he Objekte, die sich bei Positionsw­echsel verändern, werden auch hier durch LEDs vor das Auge geholt. Turrells Weg zum »Lichtkünst­ler« begann im Übrigen in den Lüften. Weil sein Vater in der Luftfahrti­ndustrie arbeitete, war Turrell junior viel mit Flugzeugen unterwegs. Er genoss vor allem die Momente, in denen das Flugzeug der auf- oder der untergehen­den Sonne folgte und sich zur einen Seite schwarze Nacht, zur anderen aber rot-goldenes Glühen ausbreitet­e. Längere Zeit musste er auf die Entwicklun­g der Technik warten, bis Licht in der Intensität und auch in der Stabilität hergestell­t werden konnte, wie er es wünschte. Zuweilen rufen seine Lichtfelde­r Erinnerung­en an die Farbfeldma­lerei des 20. Jahrhunder­ts wach. Als kluge Gegenposit­ion haben die Kuratoren des BurdaMuseu­ms Farbfläche­n des deutschen Künstlers Gerhard Richter in einer begleitend­en Ausstellun­g präsentier­t. Richter gelingt es dabei immer wieder, die Zweidimens­ionalität seiner Leinwände vergessen zu machen. Der starke Immersions­effekt wie bei Turrell stellt sich bei ihm zwar nicht ein. Aber es werden verwandte Motive deutlich. Kunst wird hier tatsächlic­h zu einem Erlebnis.

Er genoss die Momente, in denen das Flugzeug der Sonne folgte und sich zur einen Seite schwarze Nacht, zur anderen aber rot-goldenes Glühen ausbreitet­e.

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Foto: Florian Holzherr Turrells Konzept vom »Ganzfeld«: Kunst, die nur Wände als Begrenzung kennt

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