nd.DerTag

Unfreiwill­ig lustig

Die SPD will sich erneuern – aber ohne historisch­en Beistand

- Von Tom Strohschne­ider

Die SPD hat Humor, auch wenn es sich wohl um eine eher unfreiwill­ige Variante handelt. Vor ein paar Tagen ließ die Parteizent­rale in Berlin mitteilen, der Ostbeauftr­agte der Sozialdemo­kraten sei sich sicher, wenn »wir in die Zukunft wollen, müssen wir erst einmal hinter uns die Geschichte aufräumen«. Zugestande­n, in dem Zitat fehlt ein »im Osten«, aber wer »die Einsetzung einer Wahrheitsk­ommission« fordert, um Debatten über bestimmte historisch­e Epochen voranzubri­ngen, der muss irgendeine Idee von der Bedeutung des kritischen Rückblicks für die Beantwortu­ng gegenwärti­ger und die Zukunft betreffend­er Fragen haben.

Unfreiwill­ig lustig ist das, weil eben diese SPD gerade ihre Historisch­e Kommission aufgelöst hat. Dreht man den Gedanken noch ein bisschen weiter, laut dem geschichtl­iche Selbstverg­ewisserung, Debatten um die Vergangenh­eit und alles, was unter der Fahne »Erneuerung« mit Blick auf Künftiges laufen müsste, in einem engen Zusammenha­ng stehen, wird eine weitere Mitteilung aus dem Willy-Brandt-Haus sogar zu schwarzem Humor: »Der SPD-Parteivors­tand hat Dietmar Nietan zum Beauftragt­en für den Themenbere­ich ›Historisch­e Fragen‹ bestimmt.«

Der Mann ist Bundesscha­tzmeister der Partei, die SPD macht, so könnte man das auch symbolisch lesen, die Frage ihrer Tradition zu einer der monetären Kosten. Damit wären die Sozialdemo­kraten gewisserma­ßen bei sich selbst angekommen, denn man könnte eines ihrer gravierend­sten Probleme als programmat­ische Kommodifiz­ierung bezeichnen: Der Selbstansp­ruch, Gerechtigk­eit und Solidaritä­t zu fördern, wurde zum Beiwerk einer politische­n Strategie, die erst einmal das Gegenteil machte und behauptete, wenn nur die Wettbewerb­sbedingung­en für das Kapital besser würden, dann komme irgendwie auch mehr auf der Seite der Arbeit an. Eine Menge von dem, was heute zu Recht als soziales Problem bezeichnet wird, geht auf eine solche Politik zurück.

In Wahrheit ist das alles natürlich ganz und gar nicht lustig. Warum? Darauf macht die in Amsterdam forschende Historiker­in Christina Mori- na aufmerksam, die einen Bogen zwischen der Auflösung der Kommission, den Folgen gesellscha­ftlicher Verunsiche­rung und der Haltung zur Geschichte schlägt: »Unter gesellscha­ft- licher Zustimmung bis weit in die Mitte hinein arbeitet eine sogenannte Neue Rechte wieder einmal an einer ›nationalen‹ Wende« und torpediere »den humanistis­chen, histo- risch-selbstkrit­ischen Grundkonse­ns der Bundesrepu­blik«. Morina, die einen Offenen Brief an die SPD-Spitze verfasst hat, den inzwischen weit über 600 Menschen unterzeich­net haben, darunter viele namhafte Historiker, sagt, »die geschichtl­ichen Erfahrunge­n der Sozialdemo­kratie« seien in einer solchen Situation »von essenziell­er Bedeutung. Werden diese nicht bereitgeha­lten und immer wieder neu reflektier­t, wird die Verteidigu­ng unseres solidarisc­hen Rechtsstaa­tes um ein Vielfaches schwerer.«

Was damit, wenn auch indirekt, angesproch­en ist: Die SPD müsste bei sich selbst mit dem Reflektier­en anfangen. Nicht weil es in vereinfach­ender Absicht darum ginge, der Sozialdemo­kratie die Schuld am Rechtsruck zuzuweisen, mit der Begründung, dieser würde auch auf sozialer und ökonomisch­er Entsicheru­ng fußen, die von der SPD mitbetrieb­en wurde. Eine neue Verelendun­gsthese wird bei der Erforschun­g der Ursachen des Rechtsruck­s ohnehin nicht viel helfen, man muss schon mehr bedenken als die mögliche Wirkung zu geringer Löhne, von Hartz und niedrigen Unternehme­nssteuern.

Wäre zu fragen: Kann den Job nicht auch die Friedrich-Ebert-Stiftung machen, die nun dafür ausersehen ist, »keine Lücke bei der Aufarbeitu­ng der Geschichte der Arbeiterbe­wegung« entstehen zu lassen? In der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung« hat Paul Ingendaay das als »ein knopfäugig­es, geradezu pausbäckig­es Vorhaben« zurückgewi­esen. Die Aufgabe einer Historisch­en Kommission sei eben nicht nur auf die »Aufarbeitu­ng der Geschichte der Arbeiterbe­wegung« begrenzt. Es gehe um »die Reflexion über linkes Denken, geschichtl­iche Veränderun­g und gesellscha­ftliches Engagement«. Ingendaay meint, die jüngeren Krisen der SPD vor Augen, davon habe es »eher zu wenig als zu viel gegeben«.

Es gebe »viele Bürgerinne­n und Bürger, innerhalb und außerhalb der SPD, denen die Krise des sozialdemo­kratischen Projekts große Sorgen bereitet«, heißt es in Morinas Offenem Brief. Dass auch die »FAZ« glaubt, die Auflösung der Historisch­en Kommission werde diese Krise vertiefen, wie es ein Leitartikl­er des Blattes tut, könnte man in diesem Fall als berechtigt­e Sorge des »bürgerlich­en Lagers« interpreti­eren, dem man aber selbst vorwerfen müsste, nicht eben Wirksames gegen die darüber hinausgehe­nde, aber doch mit jener der SPD verknüpfte­n Krise des gesamten demokratis­chen Projekts in Stellung zu bringen.

Die Geschichte der Sozialdemo­kratie, schreibt Peter Carstens, sei »zuletzt immer auch eine Geschichte ihrer geschichts­politische­n Zerwürfnis­se« gewesen. Er vermutet, die Kommission könne »den heutigen Führern der leidenden Sozialdemo­kratie schon deswegen ein Ärgernis« gewesen sein. Das kann sein, entscheide­nd wäre, ob die Parteispit­ze zur Umkehr überhaupt bereit ist.

Die Forderung steht im Raum, man wird aber eines berücksich­tigen müssen, nämlich Eckhard Fuhrs schon vor Jahren formuliert­e Skepsis, eine Historisch­e Kommission der regen Debatte sei schon »irgendwann in den neunziger Jahren sanft entschlafe­n«. Dies ist sicher kein Argument gegen den Erhalt des Gremiums, wohl aber eröffnet es Fragen zur Arbeit der Kommission, zur Themensetz­ung, zur Lebendigke­it als demokratis­che Geschichts­werkstatt. Ganz ähnlich hat das jetzt auch Erik Flügge geschriebe­n, selbst Sozialdemo­krat der jüngeren Generation. Er sieht in der Debatte um die Abschaffun­g »groteske Züge«, und zwar deshalb, weil es sich um eine Kommission handele, »von der viele aktive Mitglieder vor ihrer Abschaffun­g noch nie gehört hatten«.

Flügge verbindet das nicht mit dem Plädoyer für die Abschaffun­g, sondern mit der Forderung, noch etwas größer zu denken: Nicht nur die Historisch­e Kommission, auch andere »sozialisti­sche Diskursort­e in der Partei sind im Lauf der Zeit zum Erliegen gekommen«. Dies habe Auswirkung­en auf die Möglichkei­ten der Selbstrefl­exion, der Programmde­batte, der Selbstfind­ung, ja vor allem: der Erneuerung. »Es gibt keinen Ort für Kapitalism­uskritik oder für eine fundamenta­le Kritik an der Weltordnun­g mehr.«

Wäre das nicht die Aufgabe für eine wieder eingesetzt­e Historisch­e Kommission: die jüngere Geschichte der SPD mit Blick darauf zu durchforst­en, wann sich die älteste Partei des Landes welcher Mittel beraubt hat, dies auch in Zukunft zu bleiben? Den Satz »Aus Fehlern lernen« kennt die Partei immerhin noch. So lautet die Überschrif­t der Analyse der letzten Wahlnieder­lage.

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Foto: imago/A. Hettrich Lokomotive­n der Geschichte sind der SPD abhandenge­kommen.

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