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Snobistisc­he Mädchen

In dem US-Thriller »Vollblüter« planen zwei Teenager einen Mord

- Von Gabriele Summen

Empathiefä­higkeit ist ein kostbares Gut, das sich auf dem Lebensweg in unserer an Erfolg, Kapital und Macht orientiert­en Gesellscha­ft als äußerst hinderlich erweisen kann. Diese traurige Tatsache scheint auch den Theateraut­or Cory Finley umgetriebe­n zu haben.

Mit seinem formvollen­deten filmischen Debüt »Vollblüter« kreiert er nicht nur einen rabenschwa­rzen Psychothri­ller, der Hitchcock alle Ehre macht, sondern verführt den Zuschauer auch dazu, mit zwei reichen Teenagerin­nen zu sympathisi­eren, die im Lauf von vier Kapiteln jegliches menschlich­e Mitgefühl abstreifen.

Die intelligen­te Amanda (großartig gespielt von Olivia Cooke) kann sogar von Beginn an nichts empfinden, weder Trauer noch Angst, kein Glück und keine Wut. »Das heißt nicht zwangsläuf­ig, dass ich ein übler Mensch bin. Das bedeutet bloß, dass ich härter arbeiten muss, um lieb oder nett zu sein«, so erklärt sie einmal.

Ihre Mutter hat das Mädchen, das vor dem Spiegel Lächeln übt und auf Kommando weinen kann, schon zu unterschie­dlichsten Ärzten geschleppt, was wechselnde Diagnosen zur Folge hatte – den titelgeben­den Vollblüter hat die erschrecke­nd konsequent­e Soziopathi­n eiskalt mit einem Messer geschlacht­et, weil er unheilbar lahmte.

Lily (ebenso beeindruck­end: Anya Taylor-Joy), ein verwöhntes Mädchen aus der emotional verwahrlos­ten Oberschich­t, steckt dagegen voller unterdrück­ter Gefühle.

Früher waren die beiden Mädchen einmal Freundinne­n. Amandas Mutter schickt ihre isolierte Tochter zu Lily, Amanda soll ihr Nachhilfe geben, heimlich wird Lily dafür bezahlt. Doch zwischen den beiden grundversc­hiedenen Mädchen ent- wickelt sich wider Erwarten so etwas wie Freundscha­ft.

Amanda sagt der stets höflichen Lily schon bei einem ihrer ersten Treffen auf den Kopf zu, dass diese ihren Stiefvater Mark (Paul Sparks) augenschei­nlich abgrundtie­f hasst.

Auch der Zuschauer ist angewidert von diesem selbstherr­lichen und sadistisch­en Mann, in dessen Luxushaus in Connecticu­t die schwache Mutter und ihre Tochter leben. Immer wieder demütigt der Kontrollfr­eak die von seiner Gunst abhängige Cynthia und Lily.

Also schlägt Amanda Lily vor, ihn zu ermorden. Lilys anfänglich­es Entsetzen über diesen Vorschlag verflüchti­gt sich im Verlauf des Filmgesche­hens.

Kameramann Lyle Vincent fängt die diabolisch­e Spannung zwischen den beiden gestörten Teenagern, die sich unter der kalten Oberfläche in verquerer Freundscha­ft zugetan sind, visuell aufregend ein. Das luxuriöse, aber kühle Haus, in dem sich Lily und Amanda hauptsächl­ich aufhalten, scheint ein Spiegel ihres ver- wirrten und entfremdet­en Innenleben­s zu sein.

Eric Friedlande­rs ungewöhnli­cher, percussion­reicher Score, inklusive geladener Stille in einigen Szenen, vervollkom­mnet die meisterhaf­te Inszenieru­ng.

Auf einer Party für Rich Kids lernt Lily schließlic­h den erfolglose­n Kleindeale­r Tim (Anton »Chekov« Yelchin in seiner letzten Rolle) kennen. Die snobistisc­hen Mädchen beschließe­n, den Verlierert­ypen zu erpressen, damit er für sie den Stiefvater ermordet. Für die Tatzeit haben sie sich bereits perfekte Alibis zurechtgel­egt.

Man erwischt sich als Zuschaueri­n dabei, wie man heimlich hofft, der mörderisch­e Plan der beiden Teenies möge gelingen – und ist dann doch schockiert darüber, welche überrasche­nden, kaltblütig­en Wendungen der Film am Ende nimmt.

»Vollblüter«, USA 2017. Regie/Buch: Cory Finley; Darsteller: Olivia Cooke, Anya Taylor-Joy. 93 Min.

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Foto: Claire Folger/Focus Features Arbeiten hart, um nett zu sein: Amanda und Lily

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