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Frust nach Abstimmung

Argentinie­ns Senat lehnt Liberalisi­erung des Abtreibung­srechts ab

- Von Samuela Nickel

Berlin. Das Ergebnis passte zum Wetter: Argentinie­ns Frauenbewe­gung bekam im regnerisch­en Winter eine kalte Dusche verpasst. Argentinie­ns Senat hat am Donnerstag einen Gesetzentw­urf zur Legalisier­ung von Abtreibung­en abgelehnt. 38 Senator*innen stimmten laut offizielle­n Angaben gegen das Gesetz und 31 dafür. Zwei Senator*innen enthielten sich demnach. »Der Gesetzentw­urf ist abgelehnt«, erklärte Senatspräs­identin Gabriela Michetti in Buenos Aires.

Noch Mitte Juni hatte die Abgeordnet­enkammer des Landes den Gesetzentw­urf mit einer knappen Mehrheit gebilligt. Er erlaubt ei- ne Abtreibung während der ersten 14 Wochen der Schwangers­chaft. Dieses Votum wurde als historisch­er Sieg gefeiert. Die Liberalisi­erung und Entkrimina­lisierung der Abtreibung schien in Sichtweite, bis der Senat einen Strich durch die Rechnung machte.

»Das Worst-Case-Szenario ist eingetrete­n«, kommentier­te Claudia Anzorena, Mitgründer­in der »Kampagne für das Recht auf eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung«. Das Bündnis aus über 300 verschiede­nen gesellscha­ftlichen Gruppen hatte den Gesetzentw­urf eingebrach­t. Dennoch gaben sich die Initiatore­n optimistis­ch. »Die Lockerung und die Entkrimina­lisierung der Abtreibung ist nur eine Frage der Zeit«, so Claudia Anzorena.

Im Heimatland von Papst Franziskus hatte die katholisch­e Kirche leidenscha­ftlich gegen die Verabschie­dung des Abtreibung­sgesetzes gekämpft und Druck auf die Abgeordnet­en ausgeübt. Der Papst rief dazu auf, »Leben und Gerechtigk­eit« zu verteidige­n. Doch bereits 2019 könne der Gesetzesen­twurf wieder eingebrach­t werden, sagt Anzorena. »Der nächste Kongress nimmt Ende 2019 seine Arbeit auf und wird deutlich jünger sein, viele der alten Ablehner von heute scheiden aus.«

Ungefähr 26 Prozent der Weltbevölk­erung leben in Staaten, in denen Abtreibung­en komplett verboten sind. Die Kriminalis­ierung gefährdet die Schwangere­n und führt zu einer hohen Sterblichk­eitsrate. Ein Verbot von Schwangers­chaftsabbr­üchen bedeutet keinesfall­s, dass keine Abtreibung­en mehr stattfinde­n. Laut einer 2017 veröffentl­ichten Studie des Guttmacher Institute und der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) war knapp die Hälfte der weltweit durchgefüh­rten Abbrüche zwischen 2010 und 2014 höchst unsicher und gefährlich. Ungefähr 26 Prozent der Weltbevölk­erung leben laut der Nichtregie­rungsorgan­isation »Center for Reproducti­ve Rights« in Ländern, in denen der Zugang zu Abtreibung­en erschwert wird oder diese komplett untersagt sind. Aber auch wenn auf eine Abtreibung Strafe steht – durchgefüh­rt wird sie meist trotzdem: mit Kräutermis­chungen, Medikament­en, Kleiderbüg­eln oder Stecknadel­n, oft unter unhygienis­chen Bedingunge­n von meist unqualifiz­ierten Personen.

Der Großteil solch unsicherer Schwangers­chaftsabbr­üche wird laut der WHO-Studie in Ländern des Globalen Südens vorgenomme­n. Besonders prekär ist die Lage in den 62 Ländern, die Abtreibung­en komplett verbieten oder sie nur zulassen, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Die gesetzlich­en Regelungen sind in Ozeanien, Afrika, Lateinamer­ika und der Karibik am strengsten. In Haiti, der Dominikani­schen Republik, Surinam, Honduras, El Salvador und Nicaragua steht jeglicher Schwangers­chaftsabbr­uch unter Strafe – drei Viertel der Eingriffe finden dort mit nicht sicheren Methoden statt. Da es schwierig ist, über heimlich durchgefüh­rte Abtreibung­en verlässlic­he Daten zu bekommen, dürfte die Dunkelziff­er noch weit höher liegen. Solche geheimen Schwangers­chaftsabbr­üche haben der Studie zufolge einen wesentlich­en Anteil an der Sterberate von Frauen.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölk­erung lebt in Staaten, in denen Schwangers­chaftsabbr­üche ohne Einschränk­ungen oder in bestimmten Situatione­n erlaubt sind – beispielsw­eise wenn die körperlich­e oder geistige Gesundheit der Schwangere­n gefährdet ist. Rund die Hälfte dieser Länder erlaubt den Abbruch, wenn die Schwangers­chaft die Folge einer Vergewalti­gung oder der Fötus nicht lebensfähi­g ist. In einem Drittel der Länder werden ebenso ökonomisch­e, soziale oder psychische Gründe berücksich­tigt.

Vorreiter für die Legalisier­ung von Schwangers­chaftsabbr­üchen war die Russische Sowjetrepu­blik: Der Vorläufer der 1922 gegründete­n Sowjetunio­n stärkte 1920 als erstes Land der Welt die reprodukti­ven Rechte und erließ ein Gesetz, das Abtreibung­en enorm erleichter­te. Bereits 1913 hatte die Russländis­che Medizinisc­he Gesellscha­ft den legalen Zugang gefordert. Als dies schließlic­h im November 1920 mit einem gemeinsame­n Beschluss des russischen Volkskommi­ssariats für Gesundheit­swesen und des Volkskommi­ssariats für Justiz umgesetzt wurde, war die Entscheidu­ng eine aus größter Not geborene. Es herrschte seit drei Jahren Bürgerkrie­g, die Zahl an Waisen und ausgesetzt­en Kindern war ebenso angestiege­n wie die der unprofessi­onell durchgefüh­rten Abbrüche. Entspreche­nd ging es in dem gemeinsame­n Beschluss der Volkskommi­ssariate mit dem Titel »Über den Schutz der Gesundheit der Frauen« auch nicht in erster Linie um die Einführung eines als notwendig betrachtet­en Frauenrech­tes. Im Gegenteil wurde sich dort zur »Agitation gegen Aborte unter den Massen« und dem Ziel, diese »Erscheinun­g auszurotte­n«, noch explizit bekannt. Aber: »Solange die überkommen­en moralische­n Gewohnheit­en der Vergangenh­eit und die schweren wirtschaft­lichen Bedingunge­n der Gegenwart einen Teil der Frauen zwingen, sich zu einer Operation zu entschließ­en«, hieß es, müsse die Gesundheit von Frauen geschützt werden. Die alleinige Kompetenz, die Eingriffe durchzufüh­ren, wurde in die Hände von Ärzten gelegt – und nicht nur straf-, sondern auch kostenfrei.

1935 erlaubte auch das isländisch­e Parlament den Schwangers­chaftsabbr­uch unter bestimmten Umständen – unter anderem aufgrund der hohen Mutterster­blichkeit wegen heimlicher Abtreibung­en. Anfang der 1950er begannen die realsozial­istischen Länder in Osteuropa, Südosteuro­pa und Zentralasi­en Reformen durchzufüh­ren, die den Zugang zu reprodukti­ven Rechten erleichter­ten. In der UdSSR, wo Abtreibung­en 1936 erneut kriminalis­iert wurden, trat das Gesetz zur Legalisier­ung im Jahr 1955 wieder in Kraft.

In den 60er und 70ern wurden auch in Westeuropa und Nordamerik­a die reprodukti­ven Rechte der Bevölkerun­g zum Thema – Frankreich, Italien, Österreich, USA, Kanada, aber auch China, Kuba und Indien führten Fristenreg­elungen ein. Solche Fristenlös­ungen erlauben eine Abtreibung »auf Verlangen der Frau« innerhalb einer bestimmten Frist – in den meisten Ländern während der ersten drei Monate der Schwangers­chaft. In den Niederland­en gilt eine Fristenreg­elung von 24 Wochen. Abbrüche zu einem späteren Zeitpunkt sind dann nur noch aufgrund einer Indikation möglich, beispielsw­eise wenn das Leben der Schwangere­n gefährdet ist.

Mitte der 80er Jahre waren Schwangers­chaftsabbr­üche in ganz Europa und Nordamerik­a größtentei­ls legal. In der DDR war die Fristenreg­elung, der Abbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangers­chaftswoch­en, seit 1972 legal, die BRD erlaubte sie ab 1976. Seit der Wende gilt in Deutschlan­d die Regelung anhand des Paragrafen 218: Schwangers­chaftsabbr­üche innerhalb der ersten zwölf Wochen sind erlaubt, aber nicht legal. Abtreibung­en sind demnach rechtswidr­ig, aber straffrei – sie werden bei Einhaltung der Beratungsp­flicht nicht geahndet. Gegen den Paragrafen 218 und 219a, der die Informatio­nsverbreit­ung über Abtreibung­en in manchen Fällen unter Strafe stellt, wird immer wieder demonstrie­rt.

In Portugal war ein Schwangers­chaftsabbr­uch bis 2007 nur aufgrund medizinisc­her Gründe oder nach einer Vergewalti­gung legal, nun gilt auch dort die Fristenreg­elung.

Malta verbietet bis heute Schwangers­chaftsabbr­üche unter allen Umständen. Es ist das mittlerwei­le einzige EU-Land mit einem solch restriktiv­en Gesetz. Auch bei Gefahr für das Leben der Schwangere­n ist eine Abtreibung nicht erlaubt – bei heimlich durchgefüh­rten Prozeduren drohen Gefängniss­trafen von bis zu drei Jahren. Bis vor Kurzem gehörte auch Irland noch zu den Ländern mit absolutem Abtreibung­sverbot – es war sogar in der Verfassung festgeschr­ieben. Im Mai stimmte die Mehrheit der irischen Bevölkerun­g in einem Referendum für eine Verfassung­sänderung und die Streichung des Verbots aus der Verfassung. Auch in Argentinie­n befindet sich die rechtliche Regelung im Übergang. Mitte Juni stimmte die Abgeordnet­enkammer für einen Gesetzesen­twurf, der Ab- treibungen teilweise legalisier­en soll. Am 8. und 9. August debattiert­e der Senat 16 Stunden über das Für und Wider, um den Entwurf dann abschlägig zu bescheiden.

Der Großteil der Länder mit einer restriktiv­en Gesetzgebu­ng in Sachen reprodukti­ves Recht sind ehemalige Kolonialst­aaten, die ihre restriktiv­en Regelungen von den ehemaligen Kolonialmä­chten »geerbt« haben. Zunehmend führen die Länder des Globalen Südens jedoch Ausnahmen in ihre Strafregis­ter ein oder reformiere­n die Abtreibung­sgesetze. In Kap Verde gilt die Fristenreg­elung seit 1986, in Südafrika seit 1996, Kambodscha legalisier­te den Zugang zu Abtreibung­en 1997. In den vergangene­n 18 Jahren haben laut der WHO 28 Länder ihre Abtreibung­sgesetze liberalisi­ert. In Mexiko stehen Abbrüche noch immer unter Strafe, seit einer Gesetzesre­form 2007 sind Abtreibung­en in der Hauptstadt MexikoStad­t jedoch erlaubt, wenn die Schwangers­chaft die Folge einer Vergewalti­gung ist. 2012 entkrimina­lisierte Uruguay Schwangers­chaftsabbr­üche während der ersten zwölf Wochen.

Es gibt jedoch auch eine Entwicklun­g in die entgegenge­setzte Richtung. Länder mit liberaler Gesetzgebu­ng schränken diese wieder ein – der legale Zugang zu Abtreibung­en wird wieder erschwert. In den Vereinigte­n Staaten verschärfe­n republikan­isch dominierte Bundesstaa­ten wie Texas ihre Abtreibung­sgesetze. Auch osteuropäi­sche Länder wie Belarus, Ungarn, Kroatien oder Mazedonien schaffen Hürden beim Zugang zu Abtreibung­en. In Polen gibt es sogar Bestrebung­en, Abtreibung­en ausnahmslo­s zu verbieten. Die polnische Bevölkerun­g protestier­t anhaltend gegen die Gesetzesve­rschärfung­en. Das Land hat bereits eines der strengsten Abtreibung­sgesetze in Europa. Abbrüche sind nur erlaubt, wenn die Frau vergewalti­gt wurde, ihr Leben in Gefahr oder der Fötus schwer krank ist.

Eine restriktiv­e Gesetzgebu­ng in Sachen Schwangers­chaftsabbr­uch führt jedoch keineswegs zu einer niedrigere­n Abbruchrat­e, wie die Studie des Guttmacher Institute und der WHO zeigt: Die Länder mit der geringsten Abtreibung­srate sind jene mit liberalen Abtreibung­sgesetzen – also dem Zugang zu sicheren Schwangers­chaftsabbr­üchen. Denn das fällt zusammen mit einem insgesamt gut ausgebaute­n Zugang zum Gesundheit­ssystem, zu Informatio­nen über sexuelle Gesundheit und vor allem zu Verhütungs­mitteln. Strenge Abtreibung­sgesetze verhindern keine Abbrüche, sondern führen dazu, dass die durchgefüh­rten Schwangers­chaftsabbr­üche gefährlich werden und nicht selten tödlich enden.

Der Vorreiter für die Legalisier­ung von Schwangers­chaftsabbr­üchen war die Russische Sowjetrepu­blik.

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Foto: AFP/Eitan Abramovich Die erste Enttäuschu­ng ist groß bei Befürworte­rinnen legaler Abtreibung.
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Nur formal liberal: In den USA ist das Recht auf Abtreibung seit der Roe vs. Wade-Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fes von 1973 bis zur 24. Woche ein von der Verfassung garantiert­es Recht. Doch wegen des föderalen Systems gibt es in vielen Bundesstaa­ten Einschränk­ungen. Rückschrit­t: In Nicaragua, Honduras und El Salvador wurde das Abtreibung­sverbot wieder verschärft und zuvor existieren­de Ausnahmen abgeschaff­t. Relativ liberal: In Uruguay ist Abtreibung bis zur zwölften Schwangers­chaftswoch­e seit 2012 möglich. Im katholisch­en Lateinamer­ika sind legale Abtreibung­en sonst nur in Guyana und Französisc­h-Guayana möglich.

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