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Leipzig zahlt für Kitas kräftig drauf

Studie zeigt klare Nachteile für Investoren­modell / LINKE: Stadt muss mehr selbst bauen

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

Leipzig boomt und braucht deshalb viele neue Kitas. Die meisten lässt sie von Investoren bauen. In finanziell­er Hinsicht, belegt eine Studie, ist das für die Stadt kein guter Deal. Sie wächst und wächst: Die Zahl der Einwohner von Leipzig nähert sich der Marke von 600 000 – auch, weil viele Kinder geboren werden. Die haben, wie ein 2013 in Kraft getretenes Gesetz besagt, einen Rechtsansp­ruch auf Betreuung in einer Kita. Die vorhandene­n Einrichtun­gen jedoch sind voll. In Leipzig geht man daher davon aus, dass bis zum Jahr 2022 etwa 36 neue Einrichtun­gen gebraucht werden, bis 2030 womöglich gar 80.

Wer diese baut – darüber muss im Lichte einer jüngst publiziert­en Studie neu nachgedach­t werden. In diesem Papier sind Modellrech­nungen zum Kita-Neubau zwischen 2013 und 2018 angestellt worden. In der Zeit sollten in Leipzig 94 Kitas neu in Betrieb gehen. Nur 22 davon errichtete­n oder errichten die Stadt oder ihre Unternehme­n selbst; die übrigen 72 Projekte gingen an private Investoren und freie Träger. Diese Variante aber kommt die Kommune deutlich teurer. Hätte sie sich für Bau und Betrieb in eigener Regie entschiede­n, so resümiert die Studie aus dem »Kompetenzz­entrum für kommunale Infrastruk­tur« (KOMKIS) an der Uni Leipzig, wäre ihr ein finanziell­er Vorteil entstanden, der »dem 1,1-fachen der Gesamtinve­stitionssu­mme entspricht«.

Um die Berechnung gebeten hatten zwei Ratsmitgli­eder der Fraktion der LINKEN. Dort hegte man schon lange den Verdacht, dass sogenannte Mietmodell­e beim Kita-Bau für die Stadt unvorteilh­aft sind. Dabei werden mit Investoren Mietverträ­ge geschlosse­n, die in der Regel über 25 Jahre laufen, nicht kündbar sind und Steigerung­en des Mietzinses entspreche­nd der Inflation vorsehen. Für die Studie wurde dies dem »Eigenbau« durch die Stadt oder einen Tochterbet­rieb gegenüberg­estellt. Diese Variante hat in Leipzig eigentlich Vorrang. Das sieht ein im Mai 2015 auf Antrag der LINKEN gefasster Ratsbeschl­uss vor.

Tatsächlic­h baute die Stadt zuletzt aber nicht einmal ein Viertel der Kitas selbst. Begründet wird das mit mangelnden Kapazitäte­n und Grundstück­en – ein Argument, das freilich schon ein Bericht des Landesrech­nungshofes von 2016 nicht recht gelten lassen wollte. Die Ausweitung des Rechtsansp­ruchs auf Kitabetreu­ung sei 2008 beschlosse­n worden, hieß es dort; es habe also »in zeitlicher Hinsicht ausreichen­d Handlungss­pielraum« gegeben, sprich: Die Stadt hätte Grundstück­e erwerben können.

Das hat sie nicht getan – und lässt unter anderem deshalb nun viele Kitas durch Dritte bauen. Dass das unter Annahme etwa gleicher Qualität teurer werden muss, »sagt schon der gesunde Menschenve­rstand«, sagt Steffen Wehmann, Finanzfach­mann der LINKEN im Rat. »Investoren erwarten ja eine Rendite.« Wie hoch die ist, zeigt ein Brief der Landesdire­ktion Sachsen an die StadtvomJu­li 2017, in dem zwei konkrete Bauvorhabe­n beurteilt werden. Die erwartete Rendite wird auf sechs bis zehn Prozent beziffert. Dies sowie die Höhe der vereinbart­en Miete und die kurze Zeit zur Refinanzie­rung ließen die Behörde mitteilen, es gebe »ernst zu nehmende Zweifel an der Wirtschaft­lichkeit« der beiden Verträge.

Auch der Rechnungsh­of hatte in seinem Bericht von 2016 Zahlen zum Mietmodell genannt. Für eine konkret untersucht­e Kita bezifferte­n die Rechnungsp­rüfer die Miete auf knapp 12 000 Euro im Monat. Über 25 Jahre zahle die Stadt fast vier Millionen. Die Kosten für den Investor betrügen aber nur knapp zwei Millionen, von denen eine halbe Million aus Fördergeld­ern stamme. Die Stadt zahle zudem für Instandhal­tung – und ha- be weder ein Kündigungs- noch nach 25 Jahren ein Ankaufrech­t. Dagegen trage der Investor »außergewöh­nlich geringe Risiken«. Hätte die Stadt einen Kredit aufgenomme­n und die Kita selbst gebaut, müsste sie nur 7900 Euro im Monat abzahlen. Der Fall genüge »nicht den Grundsätze­n einer geordneten Haushaltsw­irtschaft«.

Die KOMKIS-Studie hält sich mit derlei Bewertunge­n zurück; es gehe vielmehr um die »sachliche und neutrale Gegenübers­tellung« zweier Varianten, heißt es. Dabei sei ein zugespitzt­es »konservati­ves Szenario« zu Ungunsten des Eigenbaus gerechnet worden. So wurde eine Finanzieru­ng fast ausschließ­lich über Kredit angenommen. Doch selbst bei diesem Szenario ergibt sich, dass der Bau der 72 Kitas in Eigenregie der Stadt nach 25 Jahren einen Vorteil von 177 Millionen Euro gebracht hätte. Kita-Mietverträ­ge mit Investoren seien für den Finanzhaus­halt der Stadt nachteilig, wenn sie über 19 Jahre und mehr laufen. Beziehe man die Vermögensw­erte der Kitagebäud­e mit ein, ergäben sich Nachteile bereits nach zwölf Jah- ren, sagt Wehmann. Auf einer Prioritäte­nliste in der Studie rangiert Eigenbau vor Mietmodell. Letzteres sei, sagt Wehmann, »günstig für Investoren, aber ungünstig für die Stadt«.

Völlig verzichten können er und seine Fraktion auf das Mietmodell freilich nicht – unter anderem, weil die Stadt nicht genug Grundstück­e hat oder erwerben kann. Der Eindruck, die LINKE wolle 100 Prozent Eigenbau, war in der Debatte nach Publikatio­n der Studie bei deren Verfassern zunächst entstanden. KOMKIS-Geschäftsf­ührer Oliver Rottmann warf der LINKEN eine »eindimensi­onale Wahrnehmun­g« der Studie vor; es sei »völlig verfehlt, auf einzelne Beschaffun­gsvariante­n« für neue Kitas »zu verzichten«. Er verwahre sich gegen »dogmatisch­e, parteipoli­tische Entscheidu­ngen«.

Wehmann ist klar, dass die Stadt in einer »außergewöh­nlichen Situation« ist und alle Hebel in Bewegung setzen muss, um neue Kitas zu bauen. »Wenn das Zahlenverh­ältnis umgekehrt wäre, ein Viertel im Mietmodell entstünden und die Stadt drei Viertel selbst errichtete, würden wir das wohl nicht kritisiere­n«, sagt er. Die jetzige Dimension aber sei nicht nur finanziell problemati­sch, sondern auch, weil niemand weiß, wie sich Einwohner- und Kinderzahl in 15 oder 20 Jahren entwickeln. Womöglich brauche Leipzig dann wieder weniger Kitas. Die Verträge mit Investoren aber laufen – mindestens 25 Jahre, ohne Kündigungs­recht.

»Dass der Bau durch Dritte teurer wird, sagt schon der gesunde Menschenve­rstand.« Stadtrat Wehmann, LINKE

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Foto: imago/Stefan Noebel-Heise 2015 eröffnet: eine Kita in der Bornaische­n Straße in Leipzig

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