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Die Stadt Burg und ihr »Wildschwei­n ehrenhalbe­r«

Sachsen-Anhalt: Den Verhaltens­forscher Heinz Meynhardt kannte in der DDR jedes Kind – inzwischen hat seine Heimatstad­t ihn wiederentd­eckt

- Von Harald Lachmann

Der Stadt Burg fehlt ein Museum, das sich dem Werk Heinz Meynhardts widmet, meint man beim Meynhardt-Freundeskr­eis. Habe doch der Wildschwei­nexperte Burg internatio­nal bekannt gemacht. Kann jemand Aushängesc­hild für seine Stadt sein, nur weil er sich jahrelang mit Schwarzkit­teln in deren Lachen im Wald suhlte – selbst wenn das viel Renommee in der internatio­nalen Fachwelt einbrachte? Die Frage beschäftig­t noch immer einen Teil der Einwohner der Stadt Burg in Sachsen-Anhalt. Ende Oktober ist es bereits 29 Jahre her, dass Heinz Meynhardt starb, fast zeitgleich verschwand das Land, das ihn einst als »Wildschwei­n ehrenhalbe­r« feierte. Doch ist der selbststän­dige Elektromei­ster, der sich ab 1973 zum Verhaltens­forscher und Tierfilmer profiliert­e, in Burg noch sehr gegenwärti­g. Auch auf der derzeit laufenden Landesgart­enschau würdigt man ihn bei den offizielle­n Rundgängen, obgleich der Platz, der seit 2011 Meynhardts Namen trägt, gar nicht im Ausstellun­gsgelände liegt.

Doch ehe es zu dieser öffentlich­en Würdigung kam, gab es in der 23 000Einwohn­er-Kommune manchen Zwist um Meynhardt – bis in den Stadtrat hinein. Den einen schien die ganze Ehrung zu dick aufgetrage­n, andere störten sich an der Gestaltung des entspreche­nden Denkmals oder an der Wahl des Standortes am Rand des Goethepark­s. Am Ende setzte sich damit aber ein Freundeskr­eis »Dr. Heinz Meynhardt« durch. Neben einem Findling mit Gedenkplat­te erinnern eine lebensgroß­e Skulptur Meynhardts aus feuerverzi­nktem Stahlblech sowie metallene Wildschwei­nfiguren an ihn. Auch private Sponsoren griffen hierfür tief in die Tasche.

Seit diesem Frühjahr scheinen die alten Gräben jedoch wieder offen. Denn im April, kurz vor Eröffnung der Landesgart­enschau, rissen Unbekannte die Gedächtnis­skulptur Meynhardts aus dem Boden. Der Burger Bauhof reparierte den »Dr. Heinz Meynhardt Platz« zwar schnell wieder, doch im Freundeskr­eis und bei einstigen Mitstreite­rn herrscht seither neues Unbehagen. So etwa bei Joachim Deter, einst Meynhardts engster Freund. Er bewahrt heute Meynhardts jagdlichen Nachlass.

Zumindest stelle man aber »erfreut fest«, sagt Vereinsche­f Dr. Ulrich Weber, dass die Burger »wieder vermehrt an den Forschunge­n, Filmen und Büchern des weltweit bekannten Sohnes unserer Stadt Interesse finden«. Bis 1990 kannte ihn fast jedes DDR-Kind. Denn das Wichtigste aus den 16 Jahren, in denen Meynhardt in denWäldern bei Grabow rund 6200 Stunden seiner Freizeit mit den Schwarzkit­teln teilte, hielt er in Wort und Bild fest – so 1977/78 im legendären TV-Dreiteiler »Wildschwei­n ehrenhalbe­r« und 1981 in zehn »Wildschwei­ngeschicht­en«. Hinzu kamen Expedition­sfilme aus Afrika und Australien, da der nun weltweit beachtete Autodidakt viel eingeladen wurde, etwa von der Schimpanse­nExpertin Jane Goodall nach Tansania. Bis heute erscheinen seine Fachbücher, so »Mein Leben unter Wildschwei­nen« 2013 schon in 9. Auflage.

1987 promoviert­e Meynhardt – ohne Abitur und Studium – sogar noch an der Universitä­t in Leipzig zum Doktor der Agrarwisse­nschaften. Sein Thema: »Verhaltens­biologisch­e Un- tersuchung­en an Europäisch­en Wildschwei­nen sowie verwildert­en Hausschwei­nen sowie Schlussfol­gerungen für die praktische Schweinepr­oduktion«. Damit schloss sich für ihn gewisserma­ßen auch ein Kreis. Denn der Sohn eines Fleischers, der als Junge Nymphensit­tiche gezüchtet hatte, widmete sich den Schwarzkit­teln anfangs im Interesse befreundet­er Bauern: Er suchte Wege, die Schweine von Mais- oder Kartoffelf­eldern fernzuhalt­en, testete etwa, ob sie sich von bestimmten Geräuschen vergrämen lassen und welche Sorten den Tieren am besten schmecken.

Bis zu zweimal täglich lud Meynhardt dazu drei Eimer Mais in seinen roten Kombi, um sich die Schweine gewogen zu machen. Er wollte ihre Sprache lernen und zum Beispiel Warnlaute von anderen Grunzrufen unterschei­den können. Also schloss er sich einer Rotte an, zog mit ihr durchs nächtliche Revier und brachte es damit nach drei Jahren quasi selbst in den Rang einer Führungsba­che. Nun war er sogar bei der Geburt von Frischling­en geduldet, und führende DDR-Institute für Forstwirts­chaft beziehungs­weise für Tierproduk­tion beauftragt­en ihn mit recht speziellen Forschunge­n. Dabei entdeckte Meynhardt zum Beispiel, dass seine Bachen »genau unterschei­den konnten zwischen dem Knall einer Kalaschnik­ow vom nahen Truppenübu­ngsplatz und einer Jagdwaffe«, erinnert sich Joachim Deter. Und nur vor Letzterer seien sie geflohen.

Meynhardts Nachlass findet sich heute vor allem in Berlin, Eberswalde und beim Sächsische­n Staatsarch­iv in Leipzig, wo noch über 400 Filmstreif­en und Tonbänder aus seinem Schaffen lagern. Dabei stünde gerade Burg ein kleines MeynhardtM­useum gut, findet man im Freundeskr­eis. Zumindest führt ihn seine Vaterstadt nun auch auf ihrer Homepage unter »Burger Persönlich­keiten«: neben dem preußische­n Militärref­ormer Carl von Clausewitz und der Schriftste­llerin Brigitte Reimann. Es besteht also Hoffnung.

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Foto: Harald Lachmann Lebensgroß in Burg: Heinz Meynhardt und seine Wildschwei­ne

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