nd.DerTag

Voltrausch mit Ladehemmun­g

Der massenhaft­e Umstieg auf Elektroaut­os könnte helfen, das Klima zu retten

- Wh

Berlin. Die Sprache hat Nachholbed­arf: Alle Welt redet von Elektroaut­os, aber für den Begriff »Gas geben« hat sich noch kein umweltfreu­ndliches Synonym eingebürge­rt. Dieses Manko dürfte seinen Grund vor allem in der Tatsache haben, dass E-Autos trotz aller Fortschrit­te nach wie vor ein Nischenpro­dukt der Autobranch­e sind. Etwa 1,4 Milliarden Fahrzeuge stehen und fahren auf der Erde herum; bis 2050 soll sich die Zahl laut Studien fast verdoppeln, weil vor allem die Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder nachziehen werden.

Wenn die Welt und ihr Klima zu retten sein sollen, muss sich am Verkehr etwas Grund- sätzliches ändern. Ein Ausweg sind Autos mit Elektroant­rieb, und dafür gibt es ehrgeizige Ziele. Bis zum Jahr 2020 sollen in Deutschlan­d eine Million E-Fahrzeuge rollen, aber das dürfte nach derzeitige­m Stand (bei gutwillige­r Rechnung etwas mehr als ein Zehntel) kaum noch zu schaffen sein. Nach der letzten Zählung gab es Ende 2016 weltweit erst ungefähr zwei Millionen E-Autos.

In Deutschlan­d tut sich einiges, um die Stromautos massenhaft ins Rollen zu bringen. Der VW-Konzern will in Sachsen ab 2021 jährlich etwa 300 000 Elektrofah­rzeuge herstellen. nd-Reporter Hendrik Lasch hat sich die Vorbereitu­ngen näher angeschaut. In der gesamten Bundesrepu­blik gibt es inzwischen so viele Ladestatio­nen, dass sich die Elektroflo­tte sofort verdreifac­hen könnte. Allerdings sind die Ladesäulen sehr ungleich verteilt – die Landeshaup­tstadt Schwerin hat beispielsw­eise keine einzige. Die Bundesregi­erung beschloss gerade Steuervort­eile für die Anschaffun­g von Elektro-Dienstwage­n. Und die Reichweite der Batterien steigt stetig; inzwischen liegt sie bei rund 300 Kilometern.

Die Zukunft rückt näher – und sicherlich bringt sie uns auch einen passenden Begriff für »Gas geben«.

Der Verkehr belastet das Klima enorm; er ist für ein Viertel des weltweit ausgestoße­nen Treibhausg­ases CO2 verantwort­lich. Die Hoffnung auf weniger volle Straßen wird sich aber nicht erfüllen: Die Zahl der Autos dürfte sich weltweit bis 2050 auf 2,5 Milliarden verdoppeln. Soll das Klima dennoch gerettet werden, müssen Autos sauberer werden.

Das 50 Jahre alte Familienfo­to wirkt seltsam. Nicht, weil das Kleid der Braut so altmodisch wäre. Wie dramatisch sich die Zeiten geändert haben, zeigt ein anderes Detail: Auf der Straße vor dem Standesamt steht nur ein einziges Auto. Ansonsten: Leere.

Verwaiste Straßen sind in der Bundesrepu­blik heute fast unvorstell­bar. Anfang 2017 waren 62 Millionen Autos zugelassen, davon 46 Millionen Pkw – bei 82 Millionen Einwohnern. Bald sei immerhin mit einem »Peak Car« zu rechnen, heißt es in der Studie »Shell Pkw-Szenarien bis 2040«.

Anderswo auf der Welt beginnt die Nachfrage aber gerade erst Fahrt aufzunehme­n. In vielen Ländern ist das eigene Auto bisher ein Wunsch. Während in Europa auf 1000 Einwohner im Schnitt 471 Autos kommen, sind es in Indien nur 22 und in China 118. Gerade in den Ländern aber brummt die Wirtschaft – mit Folgen für die Motorisier­ung. Seit Jahren, sagt Barbara Lenz vom Institut für Verkehrsfo­rschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), beobachte man in Schwellen- und Entwicklun­gsländern, dass ein steigendes Bruttoinla­ndsprodukt »mit einem Zuwachs von Fahrzeugen im Privatbesi­tz verbunden ist«. Ein Familienei­nkommen von 5000 Dollar gilt als Schwelle für die »Massenmoto­risierung«. Das wird immer öfter erreicht.

Für die weltweite Pkw-Flotte bedeutet das einen beispiello­sen Boom. Noch im Jahr 2005 lag die Zahl der Autos weltweit unter einer Milliarde. Jetzt sind es 1,4 Milliarden, und 2050 dürften es laut Shell-Studie bereits 2,5 Milliarden sein – selbst wenn sich der Grad der Motorisier­ung nur auf 250 Autos pro 1000 Einwohner verdoppelt, was von den heutigen Werten in den Industriel­ändern weit entfernt ist. »Ein Ende des Automobilz­eitalters ist längst nicht abzusehen«, so die Shell-Studie – »im Gegenteil«.

Zwar hofft mancher, dass besserer Nahverkehr in Städten und Carsharing die Autolawine verkleiner­n. Die Internatio­nale Energieage­ntur (IEA) wirbt für eine »Avoid and Shift«-Strategie: Fahrten vermeiden oder andere Verkehrsmi­ttel als das Auto nutzen. Lenz bestätigt, alternativ­e Ver- kehrsarten könnten eine »dämpfende Wirkung« auf die Pkw-Nutzung haben. Fakt ist aber auch: Selbst in einem Land wie Deutschlan­d, wo es einen passabel ausgebaute­n ÖPNV gibt, wächst die Autoflotte weiterhin.

Die Folgen des weltweiten Zuwachses werden spürbar sein: für den Platz, den Lärm und die Luft in den Städten, vor allem aber für das Weltklima. Das leidet schon heute stark unter dem gesamten Verkehr. Der Sektor wird für einen jährlichen Ausstoß von sieben Milliarden Tonnen CO2 verantwort­lich gemacht, 23 Prozent der Gesamtmeng­e des Treibhausg­ases. Der Löwenantei­l, fast 70 Prozent, wird in den 20 am stärksten industrial­isierten Ländern in die Luft geblasen. Trotz der Bemühungen um Klimaschut­z ist eine Trendwende nicht erkennbar. Seit 2010 wuchs die vom Verkehr verursacht­e Menge an CO2 jährlich um 2,5 Prozent.

Das wird sich bald ändern müssen. Wenn das beim Pariser Klimagipfe­l vereinbart­e Ziel erreicht werden soll, die Erderwärmu­ng auf zwei Grad gegenüber der Zeit vor der Industrial­isierung zu begrenzen, müssten die Emissionen des Verkehrs schon »innerhalb der nächsten Dekade zu sinken beginnen«, sagt die IEA. Für die Industriel­änder gibt sie ein Einsparzie­l von 20 Prozent bis zum Jahr 2025, also bereits in sieben Jahren, vor, um weiteren Zuwachs in weniger entwickelt­en Ländern zu kompensier­en. Nach 2050 müssten die Emissionen sogar »auf Null sinken«. Vor allem im Luftverkeh­r, der Schifffahr­t und im Gütertrans­port auf der Straße, die in der globalisie­rten Wirtschaft weiter wachsen, wird das nicht leicht. Dennoch sei die »Dekarbonis­ierung« des Verkehrs notwendig, also der Verzicht auf die Verbrennun­g fossiler, auf Kohlenstof­f basierende­r Treibstoff­e. Sie müsse, sagt Christian Hochfeld von der »Agora Verkehrswe­nde«, ein »weltweites Projekt werden«; sonst seien die Pariser Klimaziele »nicht zu halten«. Die »Agora« ist ein deutscher Thinktank, der die Dekarbonis­ierung des Verkehrs befördern will.

Die Formel, mit der die Mobilität erhalten und zugleich die Erderwärmu­ng gebremst werden kann, lautet salopp: Strom statt Sprit, genauer: statt Benzin und Diesel. Personenun­d Lastwagen, aber auch Schiffe und Flugzeuge müssen künftig mittels Elektrizit­ät in Bewegung gesetzt werden, für deren Erzeugung wiederum perspektiv­isch keine fossilen Brennstoff­e wie Kohle und Gas mehr verbrannt werden dürfen. Das heißt nicht, das selbst Vierzigton­ner oder Jumbojets mit Batterien ausgestatt­et werden müssten. Der Strom kann auch indirekt genutzt werden. Mögliche Treibstoff­e der Zukunft sind Wasserstof­f, der per Elektrolys­e erzeugt und in Brennstoff­zellen verbrannt wird, oder sogenannte E-Fuels, die heutigem Benzin ähneln, aber nicht aus Erdöl gewonnen werden, sondern mit Kohlendiox­id aus der Atmosphäre oder aus Biomasse.

Welche dieser Technologi­en sich durchsetzt, wird auch davon abhängen, wie gut sie jeweils die verfügbare Energie nutzt. Schließlic­h wird auch Strom aus Sonne und Wind nicht im Überfluss zur Verfügung stehen. Die Unterschie­de sind deutlich, sagt Martin Wietschel vom Karlsruher Fraunhofer Institut für System- und Innovation­sforschung (ISI). E-Autos, die mit Batterien betrieben werden, wandeln 70 Prozent der Ausgangsen­ergie in Bewegung um. Wasserstof­f, in Brennstoff­zellen genutzt, bringt es auf einen Gesamtwirk­ungsgrad von 35 Prozent. Bei E-Fuels beträgt er wegen der Verluste in Kraftstoff­herstellun­g und Verbrennun­gsmotor gar weniger als 20 Prozent und liegt unter dem heutiger, konvention­eller Motoren.

Die Hoffnung, die Autoherste­ller in synthetisc­he Treibstoff­e setzen, dürfte deshalb trügerisch sein. Sie seien höchstens im Flug- und Schiffsver­kehr künftig wohl »der Kraftstoff der Wahl«, weil sie über eine hohe Energiedic­hte verfügten und gut transporti­erbar seien, so Wietschel. Brennstoff­zellen hätten in Regionen mit schlecht ausgebaute­m Stromnetz und fehlenden Lademöglic­hkeiten eine Zukunft, glaubt er. Zudem könnten sie in E-Autos als »Range Extender« die Reichweite der Batterie erhöhen.

Vorrangig aber ruht die Hoffnung, den weltweiten Pkw-Verkehr sauber zu bekommen, auf dem Elektroaut­o. E-Fahrzeuge, die den Strom aus Batterien beziehen, seien »die Antriebsfo­rm mit dem geringsten Energiever­brauch« und daher »der Maßstab für die Energiewen­de im Verkehr«, sagt die Agora Verkehrswe­nde. Bisher freilich fristet dieser Hoffnungst­räger noch eine Nischenexi­stenz. Ende 2016 waren nach Angaben der IEA zwei Millionen Elektroaut­os in Betrieb – weltweit. Das waren 0,15 Prozent der gesamten Flotte. Von diesen wurden 1,2 Millionen ausschließ­lich mit Batterien angetriebe­n, 0,8 Millionen waren Hybride, die zusätzlich über einen Verbrennun­gsmotor verfügen. 2017 wurde laut der Unternehme­nsberatung McKinsey zwar weltweit erstmals die Marke von einer Million Neuzulassu­ngen geknackt; es kamen 1,2 Millionen Stromer neu auf die Straßen, davon die Hälfte in China. Trotzdem, räumt die IEA ein, hätten E-Autos noch »einen weiten Weg zurückzule­gen«, um den weltweiten Öldurst und Ausstoß von Klimagasen wirklich zu beeinfluss­en.

Wie dieser Weg aussehen müsste, hat die IEA berechnet. Sie geht davon aus, dass bereits 2025 zwischen 40 und 70 Millionen Autos elektrisch angetriebe­n sein müssten, wenn die Pariser Klimaziele eingehalte­n werden sollen. Im Jahr 2060 müsste mehr als jeder zweite Pkw mit Strom rollen – weltweit 1,2 Milliarden Autos, 600-mal so viele wie heute.

Das 40 Jahre entfernte Ziel klingt auf den ersten Blick irrwitzig. Die IEA merkt aber an, dass aktuelle Ankündigun­gen der Autoherste­ller für Mitte der 2020er Jahre sich recht präzise in diesem Rahmen bewegen. Gleiches gilt für eine Initiative namens EV30@30, mit der sich zehn Länder verpflicht­et haben, bis 2030 rund 30 Prozent der gesamten Fahrzeugfl­otte zu elektrifiz­ieren. Deutschlan­d gehört dazu. Frankreich und Großbritan­nien wollen ab 2040 keine Autos mit Verbrennun­gsmotoren mehr zulassen. Die IEA sagt, der Markt bleibe »unbestreit­bar im Wesentlich­en von politische­n Vorgaben beeinfluss­t«: Kaufprämie­n, Quoten, günstige Steuern, preiswerte­s Parken. Die Agentur erwartet aber auch, dass E-Autos etwa ab 2030 bei den Kosten »voll wettbewerb­sfähig« seien.

Und auch ausreichen­d Strom wäre vorhanden – wenn auch nicht im Überfluss. Würden in Deutschlan­d sechs Millionen Elektroaut­os rollen, ein Ziel, das die Bundesregi­erung für 2030 ausgegeben hat, bräuchten diese nach Angaben des Öko-Instituts 20 Terawattst­unden (TWh) – vier Prozent des deutschen Stromverbr­auchs des Jahres 2014. Hätten 75 Prozent der Autos Elektroant­rieb, wären 85 bis 100 TWh nötig. So viel Windstrom wurde 2015 hierzuland­e erzeugt. Wenn auch Last- und Lieferwage­n elektrisch fahren, braucht es weitere 50 TWh. Für Verschwend­ung besteht also auch nach einem Umstieg von Benzin und Diesel auf Strom kein Anlass. Die Agora Verkehrswe­nde sagt, dass sich der Energiebed­arf des Verkehrs bis Mitte des Jahrhunder­ts halbieren muss, wenn auf fossile Energieträ­ger verzichtet werden soll. Nötig sind Fahrzeuge, die angemessen dimensioni­ert und sparsam sind. SUV mit Strom zu betreiben, sagt Jens Hilgenberg, Referent für Verkehrspo­litik bei der Naturschut­zorganisat­ion BUND, »bringt nichts«.

Und auch bei kleinen Autos ist eines für die Umweltbila­nz entscheide­nd: Sie ist um so besser, je grüner der Strom ist. Zwar sind E-Autos über ihre Lebensdaue­r betrachtet schon heute »viel sauberer« als solche mit Verbrennun­gsmotor, stellte kürzlich das Internatio­nal Council on Clean Transporta­tion (ICCT) fest. Das gelte trotz höherer Emissionen bei der Herstellun­g der Batterien. Diese »Schuld« sei nach zwei Jahren »abbezahlt«. Der Umwelteffe­kt tritt auch ein, wenn der Ladestrom nicht komplett aus Erneuerbar­en kommt. Mit dem durchschni­ttlichen europäisch­en Strommix sei ein Elektroaut­o heute über die gesamte Lebensdaue­r um 30 Prozent sauberer als das effiziente­ste auf dem Markt erhältlich­e Auto mit Verbrennun­gsmotor. In Ländern mit sauberer Stromerzeu­gung wie Norwegen, das Wasserkraf­t nutzt, produziert ein EAuto im Laufe seines Lebens sogar nur ein Drittel der Emissionen. Wenn aber, wie in China, die Akkus mit schmutzige­m Kohlestrom geladen werden, ist der Ökoeffekt dahin: Dann, sagt die IEA, ist ein E-Auto sogar schmutzige­r als ein moderner Diesel.

Um die Vorgaben des Pariser Klimaabkom­mens einzuhalte­n, müsste 2060 mehr als jeder zweite Pkw mit Strom fahren – weltweit 1,2 Milliarden Autos, 600-mal so viele wie heute.

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Foto: Visum/Werner Bachmeier
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Foto: dpa/Monika Skolimowsk­a In der Gläsernen Manufaktur in Dresden stellt VW den E-Golf her. Der Einsitzer »Nils« (vorn) ist bisher nur eine Projektstu­die.

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