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Notstand in Charlottes­ville

Erneut Proteste ein Jahr nach dem tödlichen Vorfall bei der Nazidemo

- Von Natasha Lennard, New York City

Washington. Vor dem Jahrestag der tödlichen Proteste in Charlottes­ville haben die Stadt und der US-Bundesstaa­t Virginia aus Sorge vor neuen Zwischenfä­llen den Notstand ausgerufen. Virginias Gouverneur Ralph Northam teilte mit, der Notstand gelte bis einschließ­lich Sonntag. In seiner Verfügung hieß es, er wolle so »den Schutz des Lebens, des Besitzes und der verfassung­smäßigen Rechte der Bewohner sicherstel­len«. Die Stadt kündigte eine abgeriegel­te Sicherheit­szone im Zentrum an, in der Gegenständ­e, die als Waffen eingesetzt werden könnten, verboten sind. Auch das Tragen von Masken ist untersagt. Die verbotene rechte Demonstrat­ion findet nun in Washington statt. Wie die Bürgermeis­terin der Hauptstadt, Muriel Brown, erklärte, müsse die Versammlun­gs- und Meinungsfr­eiheit geschützt werden. Zugleich kritisiert­e sie die Hassaktion­en der Rechten auf das Schärfste. Gegendemon­stranten haben für Sonntag zur »Massenmobi­lisierung« gegen die Rechtsextr­emisten aufgerufen.

Zum Jahrestag der gewaltsame­n Neonazi-Demo in Charlottes­ville wollen Alt-Right-Aktivisten erneut aufmarschi­eren – empörte Antifaschi­sten organisier­en Proteste. Vor einem Jahr räumte die Demonstrat­ion unter dem Motto »Unite The Right« (»Vereinigt die Rechte«) in Charlottes­ville den letzten Zweifel über den faschistis­chen Charakter der AltRight (der Alternativ­en Rechten) aus. Ein Neonazi fuhr in der Kleinstadt in Virginia mit seinem Auto in eine Gruppe von Gegendemon­stranten. Er tötete die 32-jährige Heather Heyer und verletzte weitere Menschen. Ein junger schwarzer Mann wurde in einem Parkhaus nahe einer Polizeista­tion mit Metallstan­gen blutig geschlagen.

Militante Rassisten marschiert­en vor einer Statue des Südstaaten­generals Robert E. Lee auf, wie der Ku-Klux Klan, mit brennenden Fackeln und Nazigrüßen. Sie riefen »Juden werden uns nicht verdrängen«. Es war eine grausame Wiederkehr des Rassenhass­es, wie wir ihn aus den USA des

19. Jahrhunder­ts und dem Europa des

20. Jahrhunder­ts kennen – erneut ermutigt durch US-Präsident Donald Trump. Der erklärte später, es gäbe »sehr feine Leute auf beiden Seiten« – eine Bemerkung, die mit einem Augenzwink­ern an die Hakenkreuz-Träger und Sieg-Heil-Rufer gerichtet war.

Meine Freundin Kim Kelly – eine Schriftste­llerin und anarchisti­sche Aktivistin aus New York – war vor einem Jahr, am 12. August, in Charlottes­ville. »Wäre ich nicht instinktiv aus dem Weg gesprungen, als (er) auf unsere Gruppe von Antifaschi­sten zu und dann durch sie hindurchfu­hr, dann wäre ich heute nicht hier«, sagt sie. »Wenn ich die Augen schließe, höre ich immer noch die Schreie, ich kann immer noch die fliegenden Körper sehen, und Heather Heyers türkise Bluse«, erinnert sich die Aktivistin.

Kelly wird am 12. August nach Charlottes­ville zurückkehr­en, um so zu versuchen, ihre Erfahrunge­n zu verarbeite­n, auf einer »Mission des Gedenkens und des Heilens«. Und sie ist wütend. Darüber, dass »diese Höhlenmens­chen die Gelegenhei­t bekommen, ihre direkte Beteiligun­g an der Ermordung von Heather Heyer und dem Verletzen von Dutzenden anderen zu feiern«. Die tragischen Vorfälle dieses 12. August 2017 machen es noch abscheulic­her, das Jason Kessler, der weiße Nationalis­t und Organisato­r der damaligen Demonstrat­ion in Charlottes­ville, nun eine weitere Demonstrat­ion plant.

Die Genehmigun­g für den Aufmarsch zum »Jahrestag« wurde vom National Park Service bereits erteilt. Kessler will laut Anmeldung mit 400 Mitstreite­rn für »weiße Bürgerrech­te« und gegen »Bürgerrech­tsverstöße in Charlottes­ville« demonstrie­ren und dabei durch den Lafayette Park in Washington DC ziehen. Er wollte den Aufmarsch ursprüngli­ch in Charlottes­ville abhalten, doch die Stadt hat die Demonstrat­ion unter Verweis auf Sicherheit­sbedenken nicht genehmigt. Kessler verklagte die Stadt zunächst auf Zulassung, ließ die Klage aber vor wenigen Tagen fallen. Das falsche Opfergebar­en Kesslers zeigte sich, als dieser in einem Fernsehber­icht über die Genehmigun­g seiner Demonstrat­ion in Washington behauptete: »Wir können uns nicht friedlich versammeln, uns wird die Meinungsfr­eiheit verwehrt«.

Doch auch wenn die Teilnehmer der »Unite the Right II«-Demonstrat­ion nur Slogans rufen und Schilder hochhalten werden: Die Ideologie weißer Vorherrsch­aft ist gewaltvoll. Die erneute Konjunktur dieser Gesinnung unter Trump hat schon reale gewaltsame Konsequenz­en: Mehr als 60 Menschen sind im letzten Jahr nach Angaben des Southern Poverty Law Center durch Alt-Right-Aktivisten verletzt oder getötet worden.

Auch vor der erneuten »Unite The Right-Demonstrat­ion« wird es wieder Rufe nach »respektvol­len und friedliche­n Gegenprote­sten« und Hysterie über militanten Antifa-Protest geben. Schon in der Anmeldung seiner Demonstrat­ion erklärte Kessler – der in einem mittlerwei­le gelöschten Tweet Heather Heyer als »fette, eklige Kommunisti­n« und ihren Tod als »Vergeltung« bezeichnet­e –, Mitglieder der Antifa würden versuchen, den Aufmarsch zu stören.

Während viele amerikanis­che Medien Donald Trump verachten, beten sie seine »beide Seiten«-Gesinnung nach. Nach einer Untersuchu­ng der Medienbeob­achtungsNG­O »Fairness and Accuracy in Reporting« (»Fairness und Genauigkei­t in der Berichters­tattung«) über den Monat nach den Ereignisse­n in Charlottes­ville, brachten die sechs führenden amerikanis­chen Zeitungen 28 Meinungsbe­iträge, die antifaschi­stischen Protest verurteilt­en und nur 27 Kolumnen, die Neonazis, Anhänger einer weißen Vorherrsch­aft und Trumps Unwillen, diese zu verurteile­n, kritisiert­en. »Es ist leicht, militanten Protest zu kritisiere­n, wenn du nie das Haus verlässt oder denkst, ›Widerstand‹ bedeute, einen Tweet abzuschick­en oder an einen Demokraten zu spenden, sagt Kelly. »Wir waren da, sie nicht«.

Der Beitrag erschien zuerst bei »The Intercept« Übersetzun­g: Moritz Wichmann

 ?? Foto: dpa/Ryan M. Kelly ?? In Charlottes­ville fuhr ein Auto bei einer Kundgebung von Rechten in Gegendemon­stranten hinein.
Foto: dpa/Ryan M. Kelly In Charlottes­ville fuhr ein Auto bei einer Kundgebung von Rechten in Gegendemon­stranten hinein.

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