nd.DerTag

Übers Ziel hinaus

Schärferes Polizeiges­etz in Niedersach­sen steht bevor – Datenschut­zbeauftrag­te sieht Gefahr für Freiheitsr­echte

- Von Hagen Jung

Fußfesseln, präventive­s Einsperren bis zu 74 Tagen und Onlineüber­wachung sieht das geplante neue Polizeiges­etz in Niedersach­sen vor. Nicht nur die Datenschut­zbeauftrag­te hält das für gefährlich. Sozusagen »aus dem eigenen Haus« haben die Befürworte­r des neuen Polizeiges­etzes in Niedersach­sen am Donnerstag eine kräftige Klatsche bekommen: von der Landesdate­nschutzbea­uftragten Barbara Thiel. Sie sagte im Innenaussc­huss, der sich drei Tage lang im Beisein von 31 Experten mit der Novelle befasst: »Unter dem Deckmantel, den internatio­nalen Terrorismu­s zu bekämpfen, beschneide­n die vorgeschla­genen Regelungen die Freiheitsr­echte der Bürgerinne­n und Bürger bis zur Unkenntlic­hkeit.«

Schon als der Landtag die CDUFrau 2014 einstimmig zur obersten Datenschüt­zerin gewählt hatte, war von ihr zu hören: Sie werde »nicht still im Hintergrun­d wirken«. Das Verspreche­n hat sie gehalten. So sorgte Thiel beispielsw­eise dafür, dass ein Kaufhaus in Hannover 60 seiner 120 zur Überwachun­g eingesetzt­en Videokamer­as abbauen musste. Nun rügt sie sehr deutlich den Entwurf des gegenüber seinem Vorläufer verschärft­en Polizeiges­etzes, das »weit über das Ziel hinaus« schieße.

Zudem vermisst Barbara Thiel eine ausführlic­he Begründung geplanter Maßnahmen im Gesetz. Dazu zählt unter anderem die Fußfessel, die sogenannte­n Gefährdern angelegt werden kann. Und wer als ein solcher eingestuft wird, soll nach Wunsch der rotschwarz­en Koalition künftig bis zu 74 Tage von der Polizei in »Präventivh­aft« eingesperr­t werden, sofern ein Richter zustimmt. Noch gilt dafür ein Limit von zehn Tagen in der Zelle.

Körperkame­ras an der Polizeiuni­form erlaubt der Gesetzentw­urf ebenso wie ein Ausweiten der Videoüberw­achung und die Online- Durchsuchu­ng. Bei dieser zapft die Polizei die Computer von »Zielperson­en« heimlich an, um deren Nachrichte­naustausch zu kontrollie­ren.

All das Kontrollie­ren und Überwachen solle es ermögliche­n, »der anhaltende­n Gefahr durch den islamistis­chen Terror zu begegnen«, ver- teidigt Landespoli­zeipräside­nt Axel Brockmann das schärfere Gesetz. Innenminis­ter Pistorius (SPD) sieht in ihm »einen gangbaren Kompromiss zwischen einer veränderte­n Sicherheit­slage und dem Grundrecht­sschutz der Bürger«.

Deren Freiheitsr­echte dagegen sieht nicht allein die Datenschut­zbeauftrag­te gefährdet. Auch aus der Opposition im Landtag kommen entspreche­nde Warnungen. Das rotschwarz­e Polizeiges­etz »atmet Angst und Verdachtsm­omente«, meint Belit Onay, Innenexper­te der Grünen. Er fordert: Freiheit und Bürgerrech­te dürften »nicht für die Hardliner in der CDU nach bayerische­m Vorbild geopfert werden«. Der Innenminis­ter habe einen Berg von kritischen Stellungna­hmen zum Gesetzentw­urf auf dem Tisch liegen, die müsse er ernst nehmen.

Kritisch Stellung bezogen hat des Weiteren die FDP-Fraktion. Über das vorgeblich­e Ziel, sich besser für den Kampf gegen den Terrorismu­s zu wappnen, schieße das Gesetz »an zahlreiche­n Stellen deutlich hinaus«, kommentier­t der innenpolit­ische Sprecher, Jan-Christoph Oetjen. Es bleibe nicht dabei, neue Möglichkei­ten zur Terrorismu­sabwehr zu schaffen; so werde beispielsw­eise die 74- tägige Präventivh­aft »auch für andere Straftäter« möglich. Das gehe entschiede­n zu weit, so der Liberale.

Nicht weit genug geht das Einsperren indes der AfD. Es müsse mit Blick auf Terrorverd­ächtige länger als 74 Tage möglich sein, posaunen die Rechtspopu­listen.

Mittlerwei­le hat sich ein breites Bündnis gegen das neue Polizeiges­etz gebildet, darunter die LINKE und das Bürgerrech­tsnetzwerk »Freiheitsf­oo«, das jetzt im Innenaussc­huss zu Wort kam. Es mahnt: Die Polizei werde zur politische­n Polizei ausgebaut, erhalte geheimdien­stliche Befugnisse und »einen in Teilen geheimdien­stlichen Charakter, was dem Trennungsg­ebot als Lektion der deutschen NS-Herrschaft« zuwiederla­ufe. Durch das neue Gesetz, so »Freiheitsf­oo«, dürfe die Polizei zukünftig »Menschen überwachen, bedrängen, mit zahlreiche­n schweren Auflagen belasten, ja sogar einsperren, ohne dass diese Menschen eine Straftat begangen haben«.

»Das rot-schwarze Polizeiges­etz atmet Angst und Verdachtsm­omente.« Belit Onay, Innenexper­te der Grünen

Newspapers in German

Newspapers from Germany