Finale Phase des Syrienkrieges?
Die im Nordwesten des Landes gelegene Provinz Idlib gerät in den Fokus widerstreitender Interessen
Russland, Iran und die syrische Regierung konnten den Krieg zeitlich sequenziert führen und so schrittweise die Oberhand gewinnen. Die kurdische Autonomieverwaltung im Norden hingegen ist geschwächt. Nach der Rückeroberung der Rebellengebiete im Südwesten Syriens durch die syrische Regierung, rückt nun die im Nordwesten des Landes gelegene Provinz Idlib in den Fokus widerstreitender Interessen. Die Nachricht, die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) würden sich mit syrischen Regierungstruppen an einem Angriff auf Idlib beteiligen wollen, sorgt dabei für besondere Aufmerksamkeit.
Gemäß der von Russland, Iran und der Türkei im Astana-Format ausgehandelten Vereinbarungen, stellt Idlib eine Deskalationszone dar. Dort sind Kämpfe zwischen Rebellengruppen und Regierungstruppen zu unterlassen, das Monitoring der Vereinbarung ist vorgesehen. Ausgenommen von dieser Vereinbarung sind Kräfte, die als IS- oder Al-Qaidanah angesehen werden. Die Vertragsparteien interpretierten die Vereinbarung jedoch unterschiedlich und verfolgten divergierende Ziele damit.
Die Türkei verstand unter dem Konzept der Deeskalationszonen de facto Schutzräume auch für dschihadistische Gruppen, baute unter Ver- weis auf die Astana-Vereinbarungen Beobachtungsposten in Idlib und sicherte sich sein eigenes Einflussgebiet. Moskau sowie Damaskus konnten von den Deeskalationszonen dennoch großen Nutzen ziehen. Sie ermöglichten ihnen eine temporäre Regulierung des Krieges im Westen Syriens, um 2016 und vor allem 2017 große Offensiven im Osten Syriens durchführen und ein Überschreiten des Euphrats durch die SDF größtenteils unterbinden zu können. Astana ermöglichte Russland, Iran und der syrischen Regierung, den Krieg zeitlich sequenziert zu führen und so schrittweise die Oberhand zu gewinnen. Und schließlich hatte die syrische Regierung – unter Verweis auf Terrorbekämpfung – in den vergangenen Monaten die Rückeroberung von Deskalationszonen, wie OstGhouta und Homs betrieben. Dies traf aber auf wenig Widerstand seitens der eigentlich rebellennahen türkischen Regierung. Vielmehr konzentrierte diese sich derweil – toleriert von Russland – auf die Eroberung des kurdisch-nordsyrischen Afrins.
Seit Anfang 2018 befinden sich die kurdischen Autonomiegebiete in einer geschwächten Lage: Während die syrischen Regierungstruppen und ihre Verbündeten Erfolge in fast allen Teilen des Landes verbuchen, hat Ankara seine Einfluss- und Okkupationszone im Norden Syriens deutlich ausgebaut. Nach der fast vollständigen Zerschlagung des IS ist die Hal- tung der USA gegenüber den SDF zunehmend von Ambivalenzen gekennzeichnet. Es steht die Frage im Raum, wie lange und in welchem Umfang die USA ihr Engagement für die SDF noch aufrechterhalten werden. US-Verteidigungsministerium und Außenministerium mögen ein dauerhaftes Interesse daran haben, aber der Präsident fühlt sich nur bedingt an deren Expertise gebunden.
In dieser Situation ist die kurdische Autonomieverwaltung, allen vo- ran die PYD (Partei der Demokratischen Union) als führende Partei, um eine Erweiterung ihrer Handlungsoptionen und die Konsolidierung ihrer innenpolitischen Stellung bemüht. Denn ohne dauerhafte US-Unterstützung steht ihr Überleben auf dem Spiel. Die jüngst begonnenen Gespräche zwischen Damaskus und der kurdischen Autonomieverwaltung sollen daher aus kurdischer Sicht die Gefahr einer möglichen militärischen Konfrontation mit syrischen Regierungstruppen reduzieren und den Autonomiestatus sichern. Eine Sezession hatte ohnehin nie zur Debatte gestanden. Im Kontext dieser Gespräche hat die kurdische Autonomieverwaltung eine mögliche Beteiligung der SDF an einer Offensive Idlib angekündigt. Dies dürfte vom Gros der kurdischen Bevölkerung, die kürzlich erst den Verlust Afrins erleiden musste, nicht auf ungeteilte Zustimmung treffen. Deshalb versuchen die SDF eine Beteiligung an einer Offensive auf Idlib von einer Befreiung Afrins aus den Händen seiner türkischen und dschihadistischen Okkupanten abhängig zu machen.
Ein Angriff auf Idlib ist jedoch auch für Damaskus mit Problemen behaftet, denn die Rückeroberung anderer Gebiete war bislang mit dem Transfer islamistischer Kämpfer und ihrer Familien nach Idlib verbunden gewesen, wo sich nunmehr der harte Kern der militant islamistischen Opposition konzentriert.
Auch würde ein Angriff auf Idlib zu weiterer Flucht in die Türkei führen, die dies vermeiden möchte, aber nicht zuletzt durch die Wirtschaftskrise außenpolitisch geschwächt ist. Eine Möglichkeit für Ankara, den derzeitigen Status Idlibs gegenüber Damaskus und Moskau zu verteidigen, wäre die verstärkte Einbindung europäischer Interessen. Zum Beispiel könnte es Idlib als einen vermeintlich »sicheren Hafen« für Geflüchtete bewerben. Der nahende Deutschlandbesuch Erdoğans gäbe dazu die Gelegenheit.
Es steht die Frage im Raum, wie lange die USA ihr Engagement für die kurdisch dominierten SDF noch aufrechterhalten werden.