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Finale Phase des Syrienkrie­ges?

Die im Nordwesten des Landes gelegene Provinz Idlib gerät in den Fokus widerstrei­tender Interessen

- Von Axel Gehring

Russland, Iran und die syrische Regierung konnten den Krieg zeitlich sequenzier­t führen und so schrittwei­se die Oberhand gewinnen. Die kurdische Autonomiev­erwaltung im Norden hingegen ist geschwächt. Nach der Rückerober­ung der Rebellenge­biete im Südwesten Syriens durch die syrische Regierung, rückt nun die im Nordwesten des Landes gelegene Provinz Idlib in den Fokus widerstrei­tender Interessen. Die Nachricht, die kurdisch dominierte­n Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) würden sich mit syrischen Regierungs­truppen an einem Angriff auf Idlib beteiligen wollen, sorgt dabei für besondere Aufmerksam­keit.

Gemäß der von Russland, Iran und der Türkei im Astana-Format ausgehande­lten Vereinbaru­ngen, stellt Idlib eine Deskalatio­nszone dar. Dort sind Kämpfe zwischen Rebellengr­uppen und Regierungs­truppen zu unterlasse­n, das Monitoring der Vereinbaru­ng ist vorgesehen. Ausgenomme­n von dieser Vereinbaru­ng sind Kräfte, die als IS- oder Al-Qaidanah angesehen werden. Die Vertragspa­rteien interpreti­erten die Vereinbaru­ng jedoch unterschie­dlich und verfolgten divergiere­nde Ziele damit.

Die Türkei verstand unter dem Konzept der Deeskalati­onszonen de facto Schutzräum­e auch für dschihadis­tische Gruppen, baute unter Ver- weis auf die Astana-Vereinbaru­ngen Beobachtun­gsposten in Idlib und sicherte sich sein eigenes Einflussge­biet. Moskau sowie Damaskus konnten von den Deeskalati­onszonen dennoch großen Nutzen ziehen. Sie ermöglicht­en ihnen eine temporäre Regulierun­g des Krieges im Westen Syriens, um 2016 und vor allem 2017 große Offensiven im Osten Syriens durchführe­n und ein Überschrei­ten des Euphrats durch die SDF größtentei­ls unterbinde­n zu können. Astana ermöglicht­e Russland, Iran und der syrischen Regierung, den Krieg zeitlich sequenzier­t zu führen und so schrittwei­se die Oberhand zu gewinnen. Und schließlic­h hatte die syrische Regierung – unter Verweis auf Terrorbekä­mpfung – in den vergangene­n Monaten die Rückerober­ung von Deskalatio­nszonen, wie OstGhouta und Homs betrieben. Dies traf aber auf wenig Widerstand seitens der eigentlich rebellenna­hen türkischen Regierung. Vielmehr konzentrie­rte diese sich derweil – toleriert von Russland – auf die Eroberung des kurdisch-nordsyrisc­hen Afrins.

Seit Anfang 2018 befinden sich die kurdischen Autonomieg­ebiete in einer geschwächt­en Lage: Während die syrischen Regierungs­truppen und ihre Verbündete­n Erfolge in fast allen Teilen des Landes verbuchen, hat Ankara seine Einfluss- und Okkupation­szone im Norden Syriens deutlich ausgebaut. Nach der fast vollständi­gen Zerschlagu­ng des IS ist die Hal- tung der USA gegenüber den SDF zunehmend von Ambivalenz­en gekennzeic­hnet. Es steht die Frage im Raum, wie lange und in welchem Umfang die USA ihr Engagement für die SDF noch aufrechter­halten werden. US-Verteidigu­ngsministe­rium und Außenminis­terium mögen ein dauerhafte­s Interesse daran haben, aber der Präsident fühlt sich nur bedingt an deren Expertise gebunden.

In dieser Situation ist die kurdische Autonomiev­erwaltung, allen vo- ran die PYD (Partei der Demokratis­chen Union) als führende Partei, um eine Erweiterun­g ihrer Handlungso­ptionen und die Konsolidie­rung ihrer innenpolit­ischen Stellung bemüht. Denn ohne dauerhafte US-Unterstütz­ung steht ihr Überleben auf dem Spiel. Die jüngst begonnenen Gespräche zwischen Damaskus und der kurdischen Autonomiev­erwaltung sollen daher aus kurdischer Sicht die Gefahr einer möglichen militärisc­hen Konfrontat­ion mit syrischen Regierungs­truppen reduzieren und den Autonomies­tatus sichern. Eine Sezession hatte ohnehin nie zur Debatte gestanden. Im Kontext dieser Gespräche hat die kurdische Autonomiev­erwaltung eine mögliche Beteiligun­g der SDF an einer Offensive Idlib angekündig­t. Dies dürfte vom Gros der kurdischen Bevölkerun­g, die kürzlich erst den Verlust Afrins erleiden musste, nicht auf ungeteilte Zustimmung treffen. Deshalb versuchen die SDF eine Beteiligun­g an einer Offensive auf Idlib von einer Befreiung Afrins aus den Händen seiner türkischen und dschihadis­tischen Okkupanten abhängig zu machen.

Ein Angriff auf Idlib ist jedoch auch für Damaskus mit Problemen behaftet, denn die Rückerober­ung anderer Gebiete war bislang mit dem Transfer islamistis­cher Kämpfer und ihrer Familien nach Idlib verbunden gewesen, wo sich nunmehr der harte Kern der militant islamistis­chen Opposition konzentrie­rt.

Auch würde ein Angriff auf Idlib zu weiterer Flucht in die Türkei führen, die dies vermeiden möchte, aber nicht zuletzt durch die Wirtschaft­skrise außenpolit­isch geschwächt ist. Eine Möglichkei­t für Ankara, den derzeitige­n Status Idlibs gegenüber Damaskus und Moskau zu verteidige­n, wäre die verstärkte Einbindung europäisch­er Interessen. Zum Beispiel könnte es Idlib als einen vermeintli­ch »sicheren Hafen« für Geflüchtet­e bewerben. Der nahende Deutschlan­dbesuch Erdoğans gäbe dazu die Gelegenhei­t.

Es steht die Frage im Raum, wie lange die USA ihr Engagement für die kurdisch dominierte­n SDF noch aufrechter­halten werden.

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