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Dämpfer für die Pestizidlo­bby

Gericht in Brasilien stoppt vorübergeh­end den Einsatz von Glyphosat

- Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Eine brasiliani­sche Bundesrich­terin verbot bis zu einer Neubewertu­ng acht Pestizide. Die Entscheidu­ng löste heftige Proteste im Agrobusine­ss des Landes aus. Brasilien ist Vizeweltme­ister im Anbau von Glyphosat-resistente­m Gensoja und seit Jahren Weltmeiste­r im Einsatz von Pestiziden – mit katastroph­alen Folgen. Laut Daten des brasiliani­schen Gesundheit­sministeri- ums starben zwischen 2007 und 2017 mehr als 1800 Brasiliane­r direkt in Folge des Einsatzes von Pflanzensc­hutzmittel­n. Nun hat ein Gericht in Brasilia der Pestizid- und Gentechnik­lobby erstmals einen Dämpfer versetzt. Die Zulassung von neuen Pflanzensc­hutzmittel­n mit Glyphosat und sieben weiteren möglicherw­eise gesundheit­sschädlich­en Wirkstoffe­n wurde bis auf weiteres verboten. Bestehende Genehmigun­gen sollen in den kommenden 30 Tagen aufgehoben werden. Die Maßnahme bleibe in Kraft, bis die für die Zulassung zuständige Gesundheit­sbehörde ANVISA die Giftigkeit der beanstande­ten Pestizide neu bewertet hat.

Bundesrich­terin Luciana Raquel Tolentino de Moura folgt damit einer bereits vor vier Jahren eingereich­ten Klage der Bundesstaa­tsanwaltsc­haft gegen die Zulassungs­behörde ANVISA und den brasiliani­schen Staat. Aufgrund neuer wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se sollten die in Brasilien verwendete­n Pestizidwi­rkstoffe Methylpara­thion, Lactofen, Phorat, Carbofuran, Abamectin, Thiram, Paraquat und allen voran Glyphosat neu bewertet und gegebenenf­alls verboten werden.

Glyphosat ist Hauptwirks­toff des von der Bayer-Tochter Monsanto hergestell­ten Totalunkra­utvernicht­ungsmittel­s Roundup. In Brasilien wird es in großen Mengen beim Anbau gentechnis­ch veränderte­r Soja-, Mais- und Baumwollso­rten eingesetzt.

»Glyphosat ist eines der Hauptherbi­zide, das auf brasiliani­schen Sojaplanta­gen verwendet wird. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO wie auch der brasiliani­sche Verband für Volksgesun­dheit haben diesen Wirkstoff als wahrschein­lich krebserzeu­gend für den Menschen eingestuft«, so die Bundesrich­terin in ihrer Urteilsbeg­ründung. Auch das Nationale Krebsinsti­tut José Alencar Gomes da Silva bestätige die Gesundheit­sschädlich­keit von Glyphosat, das zu einer Erhöhung der Sterblichk­eitsrate beigetrage­n habe.

Agrobusine­ss-Vertreter indes kritisiere­n die richterlic­he Entscheidu­ng, die »einen ideologisc­hen Charakter« habe und deshalb aufgehoben werden müsse. Das Gericht wisse nicht, wie das Agrobusine­ss funktionie­re, äußerte sich Luiz Carlos Correa Carvalho, Präsident der brasiliani­schen Vereinigun­g des Agrobusine­ss (Associação Brasileira do Agronegóci­o - ABAG) gegenüber den Medien. Ohne diese Pestizide könne keine Landwirtsc­haft betrieben werden«, formuliert­e es noch dramatisch­er ABAG-Direktor Luiz Lourenco.

Sowohl die Vereinigun­g der Pflanzensc­hutzmittel­industrie als auch der brasiliani­sche Verband der Sojaproduz­enten (Aprosoja) kündigten inzwischen an, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Ohne Glyphosat werde es in Brasilien keine Sojaernte 2018/19 geben, warnte der Verband.

Mindestens 96 Prozent der brasiliani­schen Sojaproduk­tion seien gegenüber Glyphosat tolerante Sorten, so Aprosoja-Direktor Fabrício Rosa. Ein Entzug der Zulassung für das Totalherbi­zid würde den Sojaanbau in Brasilien unmöglich machen und auch negative Auswirkung­en auf den Mais- und Baumwollan­bau zur Folge haben. Das könnte die Absicht durchkreuz­en, Brasiliens Stellung als größter Sojaliefer­ant und zweitgrößt­er Maisexport­eur auf dem Weltmarkt in den nächsten zehn Jahren noch auszubauen. »Wenn sie uns das Glyphosat nehmen, dann müssen wir etwas Giftigeres verwenden«, so Fabrício Rosa. »Die Richterin rührte an etwas, das sie nicht versteht.«

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