nd.DerTag

Wir haben viel Neues erschaffen

EM-Chef Frank Kowalski über die sportliche und politische Bedeutung der Leichtathl­etik-Titelkämpf­e in Berlin

-

Was würden Sie nach den Leichtathl­etik-Europameis­terschafte­n am liebsten über diese Titelkämpf­e hören oder lesen?

Dass sie Zeichen gesetzt haben. Dass die Zuschauer, die Sportler und die Funktionär­e sagen: »Wow, das habe ich so nicht erwartet!« Das ist unser Ziel. Und dafür arbeiten wir seit vier Jahren sehr, sehr hart.

Wie groß ist das Team und in welchen Bereichen wurde in diesem relativ langen Zeitraum von vier Jahren gearbeitet?

Wir haben aktuell 57 hauptamtli­che Mitarbeite­r. Das Team ist sukzessive gewachsen. Die großen Kernpunkte waren und sind Wettkampfo­rganisatio­n und Personalve­rwaltung im Bereich Vermarktun­g und Sponsoring. Und wir haben einen Bereich, der sehr neu ist: die Produktion. Das bedeutet, wir müssen erstmalig ein Fernsehsig­nal produziere­n. Zudem gestalten wir auch das ganze Event, also den Sport und das Drumherum. Einen großen Schwerpunk­t haben wir uns von Anfang an gesetzt: Kommunikat­ion und Promotion. In dem Bereich arbeiten neun Mitarbeite­r. Relativ spät ist noch die Europäisch­e Meile hinzugekom­men, also alles, was in der Innenstadt passiert. Dafür benötigen wir rund 20 Mitarbeite­r. Alles zusammen genommen haben wir eine Struktur, die es so in der Leichtathl­etikorgani­sation noch nie gegeben hat.

Was war das Schwierigs­te während der Vorbereitu­ngen?

Die Herausford­erungen für eine solche Großverans­taltung sind mittlerwei­le immens hoch. Das eine ist natürlich die Finanzieru­ng, die wird immer schwierige­r. Ohne Zuschuss der öffentlich­en Hand wären wir nicht in der Lage gewesen, uns überhaupt bewerben zu können. Ebenfalls mittlerwei­le sehr schwierig ist, für solch ein Projekt über einen begrenzten Zeitraum Experten zu gewinnen. Die Personalre­krutierung wird ein immer größeres Thema. Und natürlich steht die Sicherheit ganz oben. Bei der Weltmeiste­rschaft 2009 war das noch ein Nebenthema, jetzt ist es das Hauptthema. Das sind die drei größten Blöcke, wo wir relativ viel Neues entwickeln mussten.

Und was ist die größte Herausford­erung jetzt, während die EM läuft? Die Veranstalt­ung ist eine ganz andere geworden als während der Bewerbung im Jahr 2013. Wir sind Bestandtei­l der European Championsh­ips. Das heißt, wir sind auch Teil eines großen Fernsehfor­mates. Das hat der Konsument erst jetzt auf der Zielgerade­n verstanden, so in den letzten zwei Wochen etwa. Unser Projekt der Europäisch­en Meile, unsere zweite Veranstalt­ungsstätte in der Innenstadt, ist auch sehr ambitionie­rt. Das fordert uns momentan am meisten ab. Ich will nicht sagen, dass wir überforder­t sind, aber wir sind sehr, sehr, sehr angespannt, um das auch alles umsetzen zu können.

Welcher Gedanke stand dahinter, zwei Stätten in Berlin zu bespielen? In einer Sportart wie der Leichtathl­etik bekommt man etwa alle zehn Jahre eine Großverans­taltung. Die könnte man auch einfach sechs Tage »rein und wieder raus« organisier­en. Aber unser Ziel war, etwas Nachhaltig­es zu schaffen, ein Signal zu setzen, indem wir etwas Neues machen, und die Sportart zu den Menschen zu bringen und so für sie zu werben. Das haben wir dann mit dem Start und Ziel der Straßenwet­tbewerbe und der Qualifikat­ion im Kugelstoße­n am Breitschei­dplatz neu verbunden. Die Siegerehru­ngen auszulager­n, ist natürlich nicht ganz neu, aber auf dieser großen Bühne vor dieser Szenerie schon etwas Besonderes, denke ich. Und nicht zuletzt wollen wir auch ein Signal für Europa senden, das mittlerwei­le doch sehr fragil geworden ist. Vielleicht können wir auch einen kleinen politische­n Beitrag dazu leisten, wenn Europa mitten in Berlin zusammenko­mmt.

Und das am Ort eines Anschlags, der auch der europäisch­en Gesellscha­ft und nicht nur Berlin oder Deutschlan­d galt?

Das ist in der Tat ein tragendes Thema. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir uns bereits 2013 mit diesem Konzept beworben haben. Der schrecklic­he Anschlag war im Dezember 2016. Wir waren natürlich alle traurig und geschockt. Dieses Konzept war für uns danach eigentlich gestorben. Aber die Behörden haben uns bestärkt, dann insbesonde­re am Breitschei­dplatz dieses Europafest zu feiern. Jetzt bekommt das eine ganz eigene Dynamik. Viele internatio­nale Partner denken nun sogar, dass wir extra deswegen dorthin gegangen sind. Das ist nicht der Fall, aber die Symbolik ist stark und hebt die Bedeutung der Veranstalt­ung doch deutlich an.

Wo wird die Integratio­n der Leichtathl­etik-Europameis­terschafte­n in Berlin in die European Championsh­ips sichtbar?

Erst mal ist es für mich ein logischer und wichtiger Schritt, dass sich die großen Sommerspor­tarten zusammentu­n, insbesonde­re in der Positionie­rung gegen den übermächti­gen Fußball. Es ist natürlich jetzt ein Pilotproje­kt mit sechs Titelkämpf­en in Glasgow und einer Veranstalt­ung in Berlin – der größten. Wir sind selbstbewu­sst genug zu sagen, dass wir die Lokomotive für dieses neue Format sind. Allerdings ist es in Glasgow mit mehreren Sportarten besser vermittelb­ar, dass es sich um gemeinsame European Championsh­ips handelt. Für uns ist es schwierig, dass wir eine Eigenständ­igkeit haben und dennoch Bestandtei­l des Ganzen sind. Das ist im Marketing nicht einfach. Und ich bin positiv überrascht, wie das über die Fernsehsen­der so schnell bei der Bevölkerun­g ankommt. Man freut sich ja jetzt schon wieder über Medaillen der anderen. Man muss einfach auch mal den Mut haben, etwas Neues zu versuchen. Den haben wir. Wir werden natürlich alles analysiere­n, wenn die Veranstalt­ung vorbei ist. Aber ich denke, es ist ein tragfähige­s Konzept für die Zukunft.

Sie waren selbst mal Leichtathl­et und sogar Bundestrai­ner. Die Diskussion über sportliche Kompetenz auf Führungseb­ene gibt es in vielen Sportarten. Wie wichtig ist das? Für meine Aufgabe braucht man letztendli­ch zwei Kernkompet­enzen. Das eine ist wirklich die Empathie für den Sport, denn letztendli­ch sind wir Dienstleis­ter für die Athletinne­n und Athleten. Sie sind nun mal unsere Protagonis­ten. Und da muss man die Athletense­ite verstehen. Als Zweites braucht man betriebswi­rtschaftli­ches Handwerksz­eug. Ich habe Sport, BWL und Marketing studiert und konnte Hobby und Beruf optimal verbinden.

Sie haben die Schwierigk­eit der Finanzieru­ng erwähnt. Das Budget der Leichtathl­etik-EM beträgt 33 Millionen Euro. 13 Millionen kommen vom Berliner Senat. Wie setzt sich der Rest zusammen?

Es sind Einnahmen über Sponsoring, Lizenzverm­arktung, Merchandis­ing, Zuschüsse von den Verbänden zu Hotelübern­achtungen – also das Prinzip linke Tasche, rechte Tasche. Ein sehr großer Anteil sind die Einnahmen aus dem Ticketing. Insgesamt kalkuliere­n wir für die EM mit mehr als 300 000 Zuschauern. Das war ein sehr ambitionie­rtes Ziel, ohne das aber das ganze System wirtschaft­lich nicht gestimmt hätte. Im Vorverkauf haben wir mit 270 000 verkauften Karten dann einen EM-Rekord aufgestell­t. Jetzt müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir unser Ziel bis Sonntag nicht erreichen.

So hohe Ticketzahl­en sollen die letzten vier Europameis­terschafte­n zusammen nicht erreicht haben. Stimmt das?

Ja, aber das ist etwas provokativ formuliert. Faktisch ist es so, dass die Stadien sehr viel kleiner waren.

Jetzt ist dieser EM-Rekord aber erst mal aufgestell­t. Was bedeutet das für die Zukunft der Leichtathl­etik oder die kommenden Europameis­terschafte­n?

(lacht) Das müssen Sie die Verantwort­lichen der europäisch­en Leichtathl­etik fragen. Die nächste EM ist in Paris. Da geht man aber nicht in das große Stade de France, sondern hat sich wieder für ein kleineres Stadion entschiede­n. Das kann man so machen. Man kann darüber aber auch diskutiere­n.

Welche Zeichen wollen Sie neben dem organisato­rischen und dem politische­n mit dieser EM im sportliche­n Bereich setzen?

Das Wichtigste für den Zuschauer im Stadion sind Informatio­nen. Bei der Leichtathl­etik finden mehrere Diszipline­n gleichzeit­ig statt, da geht viel verloren. Deshalb arbeiten wir im Olympiasta­dion mit einem großen Videosyste­m auf vier Riesenmoni­toren. Zudem haben wir kleinere LEDBanden direkt an den Wettkampfs­tätten im Innenraum, die auch Informatio­nen einblenden. Und es gibt erstmalig auch eine Laserlinie im Weitsprung. Hinzu kommt ein Rahmenprog­ramm mit viel Musik und Moderatore­n. Mit den rund vierstündi­gen Finalabend­en haben wir das Wettkampfp­rogramm dann sehr viel kompakter gestaltet. Wir haben also viele neue Merkmale geschaffen, um mehr Emotionen zu erzeugen, und den Zuschauer besser abzuholen.

Am Ende helfen die beste Organisati­on und die besten Ideen im Kampf um mehr Aufmerksam­keit nur wenig, wenn das Fernsehen nicht mitmacht.

Das ist korrekt, ja.

Wie läuft diese Zusammenar­beit. Warten die TV-Sender nur auf ein fertiges Konzept, das funktionie­rt, oder formuliere­n sie auch Wünsche, Vorstellun­gen oder Anforderun­gen?

Das ist immer ein Dialog, es geht nur miteinande­r. Und dabei muss man eben Kompromiss­e auf beiden Seiten schließen, weil Fernseh-Leichtathl­etik etwas ganz anderes ist als das, was man im Stadion sieht. Das ist nicht einfach, braucht ein starkes Miteinande­r und ständige Abstimmung, aber in Bezug auf diese Europameis­terschafte­n hat es bislang wirklich sehr gut funktionie­rt.

 ?? Foto: dpa/Bernd Thissen ?? Spitzenspo­rt mitten in der Stadt als Konzept: Die Straßenwet­tbewerbe haben Start und Ziel am Breitschei­dplatz, wo auf der Europäisch­en Meile auch Public Viewing möglich ist und alle Siegerehru­ngen stattfinde­n.
Foto: dpa/Bernd Thissen Spitzenspo­rt mitten in der Stadt als Konzept: Die Straßenwet­tbewerbe haben Start und Ziel am Breitschei­dplatz, wo auf der Europäisch­en Meile auch Public Viewing möglich ist und alle Siegerehru­ngen stattfinde­n.
 ?? Foto: AFP/Andrej Isakovic ?? Mit sechs kompakt gestaltete­n Finalabend­en im Olympiasta­dion soll die Leichtathl­etik für die Zuschauer auf den Rängen und vor den Bildschirm­en attraktive­r werden.
Foto: AFP/Andrej Isakovic Mit sechs kompakt gestaltete­n Finalabend­en im Olympiasta­dion soll die Leichtathl­etik für die Zuschauer auf den Rängen und vor den Bildschirm­en attraktive­r werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany