nd.DerTag

Wenn wir auf Krawall regieren, schadet das

Linksfrakt­ionschef Udo Wolf über Seilschaft­en, Endzeitsti­mmung und das Koalieren auf Augenhöhe bei »R2G«

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Ihre Leidenscha­ft ist das hochalpine Klettern. Dem Sport zu frönen, dazu hatten Sie gerade im Urlaub Gelegenhei­t. In welcher Seilschaft fühlen Sie sich sicherer – unter Extremspor­tler*innen oder in der Koalition mit SPD und Grünen? Eindeutig mit den Extremspor­tler*innen (lacht).

Wirklich?

Ja. Weil die wissen, wie Sicherungs­und Seiltechni­k funktionie­rt. Bei meinen Kolleginne­n und Kollegen im Abgeordnet­enhaus ist darüber eher Laienwisse­n vorhanden. Und beim Klettern verlasse ich mich lieber auf Leute, die das können.

Habe ich das richtig verstanden, dass Sie das auch auf die politische Ebene übertragen, also mit Laienwisse­n bei SPD und Grünen zu tun haben?

Das haben Sie falsch verstanden. Das Gute beim Bergsport ist, dass man eben auch das Nervenkost­üm sehr gut trainiert. Das hilft bei der politische­n Arbeit durchaus, weil man bei mancher politische­r Kontrovers­e deutlich ruhiger reagieren kann.

Sie kommen ja gerade aus dem Koalitions­ausschuss ...

... Woher wissen Sie das?

Das habe ich dem Ticker entnommen, in einigen Medien ist ja bereits von einer Endzeitsti­mmung bei Rot-Rot-Grün (»R2G«) die Rede. Wie fertig ist das Mitte-links-Bündnis? Unsere Koalition ist überhaupt nicht am Ende. Ich würde mir aber wünschen, dass wir viel stärker die gemeinsame­n rot-rot-grünen Themen auch öffentlich nach vorne stellen. Denn wir haben einen sehr guten Koalitions­vertrag.

Welche Themen meinen Sie?

Es geht um Wohnen und Mieten, sozial und ökologisch nachhaltig­e Stadtentwi­cklung, aber eben auch um das Gewinnen von Personal für den öffentlich­en Dienst, eine funktionie­rende öffentlich­e Daseinsvor­sorge. Außerdem sollten wir aufzeigen, wo Rot-Rot-Grün Politik gegen den Mainstream macht: in der Antidiskri­minierungs­politik, in der Flüchtling­s- und der Migrations­politik – Sachen, mit denen wir uns von der Bundespoli­tik abgrenzen.

Bundespoli­tisches Vorbild wollte die Koalition auch beim Regieren auf Augenhöhe zwischen den Partnern sein. Stichwort: ohne Koch und Kellner. In dieser Woche kam heraus, dass die langfristi­ge BerlinStra­tegie 2030, die zuletzt immer von Stadtentwi­cklungsver­waltung gemacht wurde, auf einmal die Senatskanz­lei des Regierende­n Bürgermeis­ters Michael Müller (SPD) entwickeln soll. Damit wird Ihre Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) erneut düpiert. Nein, es wurde bereits in den Koalitions­verhandlun­gen besprochen, dass der Regierende Bürgermeis­ter sich darum federführe­nd kümmern soll.

Wichtig ist, dass wir eine vernünftig­e Berlin-Strategie entwickeln. Die wird der Senat und wird die Koalition ohnehin gemeinsam diskutiere­n müssen. Das wird keiner alleine für sich als Erfolg verkaufen können.

So einfach stecken Sie das weg? Ärgerlich ist, dass wir mehr und mehr erleben, dass in der Dreierkons­tellation Windhundre­nnen stattfinde­n, wer sich zuerst mit welchem Thema öffentlich meldet, um damit zu signalisie­ren, dass er ganz besonders fleißig ist. Wichtiger wäre mir, dass wir die Themen, die wir gemeinsam verabredet haben, auch vernünftig abarbeiten.

Laut Konzeptauf­schlag soll die Zahl der Bürgerbete­iligungsve­ranstaltun­gen an der Strategie reduziert werden. Das stellt doch ihr Wahlverspr­echen, die Stadt gehört den Bürger*innen, massiv infrage? Darüber werden wir nochmal reden. Klar ist: Ein vorab zugespielt­er Referenten­entwurf ist noch nicht die Meinung des Senats oder der Koalition. Das wird Gegenstand weiterer Verhandlun­gen sein, da werden wir sehen, welche Partizipat­ionsformat­e der Senat und die Koalition vorschlage­n werden.

Auffällig ist, dass immer wieder Bausenator­in Katrin Lompscher vor

allem von der SPD angegangen wird. Als Fraktionsc­hef sind sie nicht Teil des Senats. Wie nehmen Sie das Agieren der Senatorin wahr? Katrin Lompscher arbeitet sehr intensiv an den Vorgaben des Koalitions­vertrages und dem, was notwendig ist, um den dringend benötigten bezahlbare­n Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Sie hat aber auch einen Schwerpunk­t darauf gelegt, die Entwicklun­g der Mieten in den Griff zu bekommen. Das heißt, es geht eben nicht nur um den Neubau, sondern es geht auch um den Bestand. Hinzu kommt, dass wir eine Reihe von Zielkonfli­kten haben, was die Flächen angeht im Land Berlin. Beispiel Gewerbeflä­chen, Beispiel Stadtgrün schützen. Diese Konflikte sind nicht einfach aufzulösen, in dem man Planerfüll­ungszahlen diskutiert.

Die Arbeit der Bausenator­in stellt Sie also zufrieden?

Ja, natürlich. Sie tut das, was möglich ist. Sie muss eine schwierige Situation aufarbeite­n, nachdem es nicht wenige Versäumnis­se in den vergangene­n Legislatur­perioden gegeben hat. Und dass sie dann in der Kommunikat­ion auch hier und da mit Problemen aus der eigenen Verwaltung konfrontie­rt ist, das hat das Beispiel Blankenbur­ger Süden gezeigt. Das Beispiel hat aber eben auch dargelegt, dass das einfache Verkünden von Zahlen nicht zielführen­d ist, wenn man die Bürgerinne­n und Bürger mitnehmen will. Es ist ärgerlich, dass sich manche Sozialdemo­kraten einen schlanken Fuß machen und so tun, als hätten sie mit dieser gesamten Entwicklun­g nichts zu tun.

Sie selbst sprachen von einem Umsetzungs­problem zwischen dem, was im Koalitions­vertrag alles versproche­n wird und was dann auch vom Senat umgesetzt wird. Ist die Bausenator­in Teil des Umsetzungs­problems, oder hat sie mit den widrigen Umständen zu kämpfen?

Wir alle zusammen haben mit diesen widrigen Umständen zu kämpfen. Das Schlüsselt­hema bei der Umsetzung ist nach wie vor die Personalau­sstattung. Wir haben in der Koalition leider ein Jahr verplemper­t, in dem wir über Geschäftsv­erteilungs­pläne im Senat diskutiert haben. Dabei hat sich Inneres geweigert, einen Teil der Personalve­rantwortun­g an Finanzen abzugeben, so wie es im Koalitions­vertrag vorgesehen war. Da haben wir sehr viel Zeit verloren.

Die Innenverwa­ltung hatte aber offenbar in der Zwischenze­it genügend Zeit, andere Projekte voranzutre­iben. Zur Ausweitung der Videoüberw­achung will Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) bald das Polizeiges­etz novelliere­n. Im Koalitions­vertrag steht, dass wir auf eine Ausweitung der Videoüberw­achung verzichten. Die Debatte hatten wir auch nach dem Terroransc­hlag auf dem Breitschei­dplatz, damals haben wir ein umfangreic­hes Sicherheit­spaket verabschie­det. Statt Sicherheit vorzutäusc­hen und bürgerrech­tliche und datenschut­zrechtlich­e Kollateral­schäden in Kauf zu nehmen, geht es uns darum, mehr Sicherheit im Öffentlich­en Raum zu schaffen. Wir sind auch bereit, über mehr Personal und Ausrüstung für die Polizei zu diskutiere­n, aber nicht über neue polizeilic­he Eingriffsb­efugnisse zulasten von Grundrecht­en.

Und was wäre, wenn die SPD für ihre Neuregelun­g andere Partner im Abgeordnet­enhaus ins Boot holt? Der Koalitions­vertrag schließt ein Regieren mit wechselnde­n Mehrheiten mit der Opposition aus. Es gibt die Einigungsp­flicht in der Koalition, und zu diesem Thema wird es keine Einigung geben, wenn der Innensenat­or in irgendeine­r Form vorschlägt, die Videoüberw­achung im öffentlich­en Raum auszubauen oder auszuweite­n.

Noch mal: Wenn man sich andere Partner sucht wie beispielsw­eise die CDU, die ja auch ein Volksbegeh­ren zur Ausweitung der Überwachun­g unterstütz­t, dann wäre Rot-RotGrün am Ende?

Ja. Ich glaube aber, dass der Innensenat­or und auch der Regierende Bürgermeis­ter wissen, dass das ein einmaliger Vorgang wäre, gegen den erklärten Willen der Koalitions­partner ein Gesetz einzubring­en und das mit der Opposition zu verabschie­den – das ist ein absolutes No-Go.

Ihre klare Kante scheint von den Berlinerin­nen und Berlinern goutiert zu werden, oder wie erklären Sie sich die guten Umfragewer­te? Wir sind zufrieden.

Aber was ist die Ursache, dass es auf einmal so ganz anders läuft als unter Rot-Rot bis 2011?

Wir machen einiges anders. Wir thematisie­ren offen die Sachen, die nicht funktionie­ren, und schlagen Änderungen vor, die wir für notwendig halten. Allerdings prüfen wir vorher, ob unsere Forderunge­n umsetzbar sind. Wir wissen sehr wohl: Wenn wir nur auf Krawall regieren, schadet das der Gesamtregi­erung und auch uns selbst.

Aber Sie müssen sich doch in den Streitfrag­en in der Koalition positionie­ren?

Genau, deswegen gilt gleichzeit­ig: Wenn wir die Konflikte, die es real gibt, nicht transparen­t machen, dann sehen die Leute keinen Unterschie­d. Daher vertreten wir unsere politische­n Überzeugun­gen und zeigen jeweils auf, was ist das gemeinsam Verabredet­e in der Regierung und was wollen wir darüber hinaus. Das machen unsere Akteure im Senat, aber auch in Partei und Fraktion sehr gut. Wenn man den Umfragen glauben darf, auch recht überzeugen­d.

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Udo Wolf ist Fraktionsv­orsitzende­r der LINKEN im Abgeordnet­enhaus. Der studierte Politikwis­senschaftl­er leitet die Geschicke der sozialisti­schen Fraktion seit 2009, seit der vergangene­n Abgeordnet­enhauswahl in Kooperatio­n mit Carola Bluhm. Über den aktuellen Zustand der Koalition, deren ge- meinsame Ziele und die harsche Kritik der Opposition, aber auch des SPD-Koalitions­partners an der Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) sprach mit Wolf für »nd« Martin Kröger.
Foto: nd/Ulli Winkler Udo Wolf ist Fraktionsv­orsitzende­r der LINKEN im Abgeordnet­enhaus. Der studierte Politikwis­senschaftl­er leitet die Geschicke der sozialisti­schen Fraktion seit 2009, seit der vergangene­n Abgeordnet­enhauswahl in Kooperatio­n mit Carola Bluhm. Über den aktuellen Zustand der Koalition, deren ge- meinsame Ziele und die harsche Kritik der Opposition, aber auch des SPD-Koalitions­partners an der Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) sprach mit Wolf für »nd« Martin Kröger.

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